Augsburg, Völkstraße 33
Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski
Trude Herrmann wurde am 11. April 1925 als zweite Tochter von Josef Herrmann und Cilli, geb. Stern (siehe Biografie Cilly und Josef Herrmann) in Augsburg geboren. Der Vater führte am Obstmarkt eine Manufaktur für Gürtel und Hosenträger. Trudi, wie sie die Familie nannte, wuchs mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Margot in der Völkstraße 33 in einem gutbürgerlichen Mehrfamilienhaus auf, das Rudolf Nathan 1902 von Adam Keller im Neo-Renaissancestil hatte errichten lassen.
Das Familienleben war sehr liebevoll. Die Herrmanns lebten ein traditionelles jüdisches Leben. Der Besuch des Schabbatgottesdiensts in der nahen Synagoge und das Einhalten des wöchentlichen Ruhetags waren ebenso selbstverständlich wie das Beachten der Speiseregeln. Meist feierten die Herrmanns Schabbat im Kreis der Großfamilie. Zu ihr gehörten die Brüder von Cilli Herrmann, Justin und Max Stern. Sie lebten mit ihren Familien ganz in der Nähe; Justin Stern (1885 Alzenau-1949 New York) mit seiner Frau Erna, geb. Nußbaum, und den zwei Söhnen Manfred (1924-2014) sowie Heinz (geb. 1927) in der Mozartstraße 7, Max Stern (1881 Harburg-1955 London) und dessen Frau Frieda (1893 Wenings/Hessen-1958 London) mit ihrem Sohn Martin (1921 Augsburg-1983 London) in der Hermannstraße 7.
Trude war in der Kinderschar die zweitjüngste und die heiß geliebte Spielgefährtin von Heinz: „Trudi war meine Spielkameradin. Wir waren immer zusammen“, erzählte er als Zeitzeuge bei einemLEBENSLINIEN-Projekt des Jüdischen Kulturmuseum 2013.1
Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war Trude erst acht Jahre alt. Wie ihre Schwester besuchte sie die katholische Volksschule St. Elisabeth.2 Ob es den Eltern gelang, das kleine Mädchen von der wachsenden judenfeindlichen Atmosphäre in der Stadt abzuschirmen, ist nicht bekannt. Ihre älteren Cousins erlitten Anfeindungen und sogar körperliche Übergriffe. Auch der zehnjährige Heinz und seine Mutter wurden einmal, als sie gerade beim Einkaufen waren, von aufgehetzten Jugendlichen mit Steinen beworfen. Dabei riefen sie den alten Spottvers: “Jud, Jud, Hep! Hep! Wenn dich nur der Teufel hätt‘!“
Für alle Augsburger Juden wurde nun die Spielstätte des jüdische Sportvereins, die die Kultusgemeinde 1933 im Süden der Stadt für die aus den paritätischen Vereinen ausgeschlossenen jüdischen Jugendlichen ausbauen ließ, der einzige Rückzugsraum, an dem sie sicher waren vor der feindlich gewordenen Umwelt. Auch Trude besuchte ihn gerne mit ihrer älteren Schwester.
Die gewalttätigen Ausschreitungen am 10. November 1938 und den Tagen danach machten der Familie endgültig klar, dass sie in Deutschland ihres Lebens nicht mehr sicher war. Verzweifelt bemühten sich die Eltern um eine Emigration. Für Trude und Margot eröffnete sich die Möglichkeit, mit einem sogenannten Kindertransport nach England zu gelangen wie ihr ein Jahr älterer Cousin Manfred. Doch als Trude beim Abschied sah, dass Heinz bei den Eltern blieb, wollten weder sie noch Margot die Reise ins Unbekannte antreten. Sie blieben in Augsburg in der Hoffnung, dass die erforderlichen Papiere bald kommen würden. Doch sie kamen nie. Am 2. April 1942 haben die Nationalsozialisten die Familie in den Osten deportiert. Ziel des Transports war das Transitghetto Piaski bei Lublin. Dort verliert sich ihre Spur. Ob sie unter den dort herrschenden katastrophalen Bedingungen zugrunde ging oder noch in ein Vernichtungslager weiter verschleppt wurden, ist unbekannt. 1948 wurde Trude Herrmann vom Amtsgericht Augsburg für tot erklärt. Es gibt kein Grab für sie. Manfred, dem die Emigration über England in die USA gelang, hat später ein Gedicht für Trude und Margot Herrmann verfasst:
For Margot and Trudi
Their holy dust awaits me.
Hands cannot hold or form it
Into that soft frame
The laughter of these girls
Whose lives were doomed from the outset
Beaten by racial nonsense and hate
Lips that piously spelled
French and Latin verbs
And bent knees to friendly nuns.
O stones, build me a hill in their name
From a grove of cedars
A pass to walk on, sea on one side
Mountains on the other.
I don’t remember what their eyes were like
Or how their hands composed music
Of their being. Now their soft voices
Bend in the wind reciting Heine.
My cousins, Magrot and Trudi
Were killed in the Holocaust.3
Benigna Schönhagen
2019
Benigna Schönhagen, „… und dann heißt’s Abschied nehmen aus Augsburg und Deutschland.“ Der Weg der Familie Stern aus Augsburg. (Lebenslinien. Deutschjüdische Familiengeschichten 06), Augsburg 2013.
Fred Stern, Corridors of Light, Leonia/USA 2007.