Hainsfarth
Augsburg, Völkstraße 33
Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski
Josef (Joseph) Herrmann wurde am 5. August 1884 in Hainsfarth, Landkreis Donau-Ries geboren. Seine Eltern waren der „Handelsmann“ Ignaz Herrmann und Klara, geb. Gutmann. Nach einer Ausbildung zum Kaufmann diente Josef Herrmann während des gesamten Ersten Weltkriegs als Soldat. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet.1 Nach seiner Rückkehr zog er Anfang 1919 nach Augsburg und eröffnete am Obstmarkt eine „Hosenträger-Manufaktur“.2 Ein Jahr später heiratete er Cilli (Zilli) Stern aus Augsburg, deren Vater Moses Löb Stern (1852-1920) dort einen Stoffhandel betrieben hatte.
1921 zog das junge Paar in das gutbürgerliche Bismarckviertel. Sie lebten in der Völkstraße 33 im ersten Stock eines stattlichen Mehrfamilienhauses.
Dort wuchsen die zwei Töchter des Paares, Margot (geb. 1921) und Trude (geb. 1925) auf (siehe die Biografien von Margot und Trude Herrmann). Die Familie verbrachte viel gemeinsame Zeit mit den in der Nachbarschaft lebenden Familien von zwei Brüdern von Cilli Herrmann. Der Zusammenhalt in der Großfamilie war eng. Nahezu jeden Schabbat traf man sich zu gemeinsamen Spaziergängen und anderen Unternehmungen.
Josef Herrmann war ein gläubiger Jude. Er besuchte nicht nur regelmäßig die Synagoge, sondern engagierte sich auch in der Kultusgemeinde. Dort leitete er den Israelitischen Männerverein und war Stellvertreter des Synagogen- und Friedhofvorstehers.
Ob sein Geschäft im April 1933 von der Boykottaktion der NSDAP betroffen war, ist nicht bekannt. Doch während des Novemberpogroms 1938 wurde Josef Herrmann wie die meisten anderen jüdischen Männer in Augsburg von der Gestapo verhaftet und im Polizeigefängnis festgehalten. Allerdings gehörte er nicht zu den über hundert Männern, die wie sein Schwager Justin Stern ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurden. Nach dem Novemberpogrom zwangen die NS-Behörden ihn, sein Geschäft aufzugeben.3 Ab 1939 dufte kein Jude mehr ein Geschäft oder Gewerbe
betreiben. So verlor die Familie ihre Existenzgrundlage, durfte aber auch nicht mehr frei über ihr Erspartes verfügen. Mit Kriegsbeginn wurden die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Staats immer bedrängender. Schon seit Januar 1939 musste Josef Herrmann den Zwangsnamen „Israel“, seine Frau und die beiden Töchter den Zwangsnamen „Sara“ führen.
In der Großfamilie wurde früh nach Möglichkeiten zur Emigration gesucht. Auch Josef und Cilli Herrmann versuchten, nach England zu gelangen, und erbaten dafür von bereits ausgewanderten Verwandten die erforderlichen Affidavits und finanzielle Unterstützung. Ihre beiden Töchter meldeten sie für einen Kindertransport an, der sie in Großbritannien in Sicherheit bringen sollte. Doch als im Juli 1939 der Tag des Abschieds kam, brachten die beiden Mädchen es nicht übers Herz, sich von den Eltern zu trennen. Gemeinsam wartete die Familie auf die notwendigen Papiere und das von Verwandten versprochene Geld, das zur Einwanderung von Großbritannien verlangt wurde.
Während immer mehr Augsburger Jüdinnen und Juden Deutschland verließen und auch der Rabbiner noch kurz vor Kriegsbeginn fliehen konnte, versuchte der verbliebene Gemeindevorstand, den in Augsburg Zurückgebliebenen so gut zu helfen wie es ging. Zusammen mit Benno Arnold übernahm Josef Herrmann das schwere Amt, die in Auflösung begriffene Gemeinde zu leiten und zusammenzuhalten. Zudem verwaltete er die Kleiderkammer, die dringend notwendig war, weil der NS-Staat Juden keine Kleiderkarten zugestand.
Im Januar 1940 zwangen die Nationalsozialisten die Herrmanns, ihre schöne Wohnung in der Völkstraße zu verlassen und in ein sogenanntes „Judenhaus“ in die Hermannstraße 10 umzuziehen. 1941 mussten Cilli und Margot Zwangsarbeit in der Ballonfabrik für die Rüstungsindustrie leisten. Nun mussten sie alle den gelben Stern tragen und waren für jedermann sichtbar als „Volksfeinde“ gezeichnet und der Verachtung preisgegeben. Seit dem Auswanderungsverbot im Oktober 1941 saßen sie endgültig in der Falle. Als im November die ersten Deportationsbefehle kamen, musste Josef Hermann helfen, diese zu organisieren. Im März des folgenden Jahres stand er selbst auf der Liste zusammen mit seiner Familie.
Am 2. April 1942 ging der Transport mit 124 Männer, Frauen und Kindern über das Lager Milbertshofen bei München in das zum „Generalgouvernement“ erklärte, von den Deutschen besetzte Polen. Zielort war das Transitghetto Piaski. In dem kleinen Ort bei Lublin hatten die Nazis ungefähr 6.000 einheimische Juden in ein umzäuntes Ghetto gepfercht. Es gab es weder Wasserleitung noch Kanalisierung und nur einen einzigen Brunnen mit Trinkwasser. Einer der wenigen Überlebenden berichtete: „An Hunger starben hier täglich zwanzig bis dreißig Menschen, die zu vollkommenen Skeletten abgemagert waren. […] Trotz dieser katastrophalen Verpflegungsverhältnisse wurden alle arbeitsfähigen Männer und Frauen täglich gruppenweise zu Erd-, Garten- und Straßenunterhaltungsarbeiten herangezogen.“4 Auch Josef Herrmann und seine Familie ist von dort nicht zurückgekehrt. Entweder sind sie dort elend zugrunde gegangen oder sie wurden noch in ein Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ weiterdeportiert. 1960 hat das Amtsgericht Augsburg die Familie für tot erklärt.5
Benigna Schönhagen
2019
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Gewerbekartei II (GK II):
– GK II Josef Herrmann, 1884
Meldekarten II (MK II):
– MK II Josef Herrmann, 1884
Arnold Hindls, Einer kehrte zurück. Bericht eines Deportierten, Stuttgart 1965, S. 12–32.
Benigna Schönhagen, „… und dann heißt’s Abschied nehmen aus Augsburg und Deutschland.“ Der Weg der Familie Stern aus Augsburg. (Lebenslinien. Deutsch-Jüdische Familiengeschichten 06), Augsburg 2013.