Cilli Herrmann, geb. Stern

Geboren:
07.05.1894, Augsburg
Gestorben:
Todestag und Todesort nicht bekannt

Wohnorte

Augsburg, Völkstraße 33

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski

Erinnerungszeichen

Am 23. Januar 2019 wurde ein Erinnerungsband für die Familie Herrmann in der Völkstraße 33 angebracht.

Biografie

Cilli (Zilli) Herrmann, geb. Stern wurde am 7. Mai 1894 in Augsburg geboren. Ihr Vater Moses Löb Stern (1852–1920), genannt Moritz, stammte aus dem hohenlohischen Michelbach a.d.Lücke und hatte sich in Harburg als Händler niedergelassen.1 Später zog er nach Augsburg, wo er in der Hermanstraße 7 als Händler für Stoffe und Kurzwaren gemeldet war. Seine Frau und Cillis Mutter Sara (1858-1927) stammte aus der weitverzweigten und sehr angesehenen Deller-Familie in Fischach.2 Ihr Grabstein ist auf dem Friedhof der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg in der Haunstetter Straße erhalten.

Grabstein von Sara Stern, 2013. (JM)

Die Inschrift lobt Cillis Mutter als fromm und wohltätig:
„Sie strebte nach guten Werken so lange sie lebte.
Diejenigen, welche die Religion übten, wurden besonders
von ihr verehrt.
Den Waisen und Wandernden öffnete sie weit ihre Hände.
Alle ihre Lebenswege waren ein Wandel in wahrer
G’ttesfurcht.
So war und lebte Frau Sara, die Frau des Mosche Arjeh.
Sie verschied am Tage, da unser Heiligtum zerstört wurde.“

Cilli wuchs mit drei älteren Brüdern auf. Über ihre Ausbildung ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie, dem Frauenbild der Zeit entsprechend, keine Berufsausbildung erhalten hat, sondern zuhause auf ein Leben als Hausfrau und Mutter vorbereitet wurde. 1920 heiratete sie den zehn Jahre älteren Kaufmann Josef Herrmann (1883-1942?), der aus Hainsfarth, Lkr. Nördlingen stammte (siehe Biografie Josef Herrmann). Das Paar zog 1920 in eine helle und großzügige Wohnung im ersten Stock der Völkstraße 33. 1921 kamen Margot und 1925 Trude auf die Welt. In dem gutbürgerlichen Gründerzeitviertel lebten auch zwei von Cillis drei Brüdern mit ihren Familien, Max (1881-1955) in der Hermanstraße 7 und Isaak/Justin (1885-1943) in der Mozartstraße 7. Nur Jacob Stern (1883-1968) hatte sich in Frankfurt am Main niedergelassen. Die Cousins und Cousinen spielten gerne zusammen, vor allem als nach 1933 ihre nichtjüdischen Spielkameraden sie mieden.

Der Zusammenhalt in der Stern-Familie war eng und liebevoll. Jeden Schabbat trafen sich die Geschwister mit ihren Familien zum gemeinsamen Spaziergang. Zum Laubhüttenfest fuhren die Familien gerne nach Fischach, um mit der Deller-Familie gemeinsam zu feiern. Der Tradition gemäß nahm sie dort sieben Tage lang ihre Mahlzeiten in der prächtig bemalten Laubhütte, nach dem hebräischen Begriff auch Sukka genannt, ein. Die Dellersche Sukka zeigte nicht nur eine idealisierte Darstellung von Jerusalem, sondern auch die Fischacher Judengasse mit der Urgroßmutter vor ihrem Haus. In der NS-Zeit gelangte die Laubhütte im Gepäck von Emigranten in das damalige Palästina. Heute kann sie in der Dauerausstellung des Israel Museums in Jerusalem bewundert werden.

Darstelllung des Deller-Hauses in der Laubhütte mit der Urgroßmutter vor der Haustür. (Henry Stern)

Doch Cilli und Josef Herrmann hatten auch nichtjüdische Freunde, mit denen sie viel unternahmen. Besonders beliebt waren die Kostümfeiern zu Fasching. Ihr Neffe Henry/Heinz, jüngster Sohn von Cillis Bruder Justin, hat seine Tante als lebenslustig und weltoffen in Erinnerung.3 Ihre beiden Töchter schickte sie auf die Schule St. Elisabeth, wo sie von katholischen Schwestern unterrichtet wurden. Als nach 1933 die Lehrerinnen und Lehrer anderer Schulen jüdischen Kindern das Leben schwer machten und sie quälten, wurden sie von den Lehrerinnen von St. Elisabeth gut behandelt. So mussten die jüdischen Mädchen an Schabbat nicht in die Schule gehen, damit sie das jüdische Ruhegebot einhalten konnten.4 Doch mit dem Novemberpogrom endete dieser Freiraum.

Da die Familie ein traditionelles jüdisches Leben pflegte, führte Cilli Herrmann einen koscheren Haushalt. Das wurde schwieriger, als der Freistaat Bayern 1930 das Schächten verbot. Wie Cilli nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die wachsende Bedrängnis für Juden erlebte und mit ihrem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und ihren wirtschaftlichen Einschränkungen zurecht kam, ist nicht bekannt. Wie ihre Brüder haben aber auch sie und ihr Mann irgendwann verstanden, dass sich die Situation nicht bessern würde und sich um eine Möglichkeit zur Emigration bemüht. Nachdem im November 1938 offene Gewalt gegenüber Juden ausgebrochen, Josef Herrmann im Katzenstadel festgehalten, sein Schwager Justin Stern ins Konzentrationslager nach Dachau verschleppt worden war, meldete das Paar seine Töchter für einen „Kindertransport“ nach Großbritannien an. Doch als im Juni 1939 ein Platz für sie frei wurde, brachten die Eltern es nicht übers Herz, sich von ihren Kindern zu trennen. Sie beschlossen, als Familie gemeinsam auszuwandern. Mit wachsender Verzweiflung warteten sie auf die erforderlichen Papiere und das notwendige Geld, um das sie bereits ausgewanderte Verwandte gebeten hatten. Mit Kriegsbeginn wurde ihr Bewegungsraum immer enger. Ihr Vermögen war beschlagnahmt, der Aufenthalt in der Öffentlichkeit am Abend verboten, der Besuch von Kino und Theater verboten und die Versorgung auf den Lebensmittelkarten auf ein Minimum reduziert worden. Seit Dezember 1938 musste Cilli wie ihre Töchter den Zwangsnamen „Sara“ führen, ihr Mann den Zwangsnamen „Israel“.5 Später wurde die Familie gezwungen, ihre schöne und vertraute Wohnung aufzugeben. Die städtische Meldekartei führt sie seit dem 1. April 1940 in der Hermannstraße 4, 2. Stock, wo sie die Wohnung mit einer Familie oder einer einzelnen Person namens „Mühlhauser“ teilen mussten.

Eintrag von Cilli Herrmann im Poesiealbum von Kunigunde Hutzmann vom 21.04.1941. (Schwester Edelwina Hutzmann)
Erste Seite der nach 1945 erstellten Liste der Jüdinnen und Juden, die in der Augsburger Ballonfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. (JM)

Margots Freundin Kundigunde Hutzmann, die sie selbst in dieser Zeit noch besucht hat, berichtete allerdings  von einem sog. Judenhaus neben dem katholischen Friedhof, also von der Hermanstraße 10.6 Wohl zum Abschied trugen Cilli und ihre Tochter Margot sich im April 1941 in das Poesiealbum von Kunigunde Hutzmann ein. Cilli schrieb: „Denke: ‚Beten steht bei mir. Erhören u. Gewähren in des Höchsten Hand.‘ Mit den besten Wünsche für die Zukunft. Ihre Frau Herrmann.“

Zwei Wochen später erhielten die 56jährige Cilli und die 20jährige Margot Herrmann die Aufforderung zur Zwangsarbeit in der Ballonfabrik Augsburg.

Seit September mussten sie wie alle anderen Jüdinnen und Juden den gelben Stern am Mantel tragen, der sie als „Volksfeindin“ kennzeichnete und den Demütigungen der Nationalsozialisten und Rassisten preisgab. Im Oktober desselben Jahres machte dann das Auswanderungsverbot des NS-Staats alle ihre Hoffnungen auf Rettung zunichte. Ende März 1942 erhielten Cilli und Josef Herrmann den Deportationsbefehlt für sich und ihre Töchter. Am 2. April mussten sie mit 124 anderen Augsburger Jüdinnen und Juden den Weg nach Piaski, im damaligen Generalgouvernement, antreten. In den Akten heißt es „evakuiert“. Weder Cilli und noch ihre Familie haben diese ‚Evakuierung‘ überlebt (siehe Biografie Josef Herrmann). Wo und unter welchen Umständen sie starben, ist ungeklärt. 1960 hat das Amtsgericht Augsburg Cilli Herrmann sowie ihren Mann und ihre zwei Töchter für tot erklärt.

Benigna Schönhagen

Angehörige
Fußnoten
  1. Wenn nicht anders angegeben, finden sich die Belege in: Benigna Schönhagen, „… und dann heißt’s Abschied nehmen aus Augsburg und Deutschland.“ Der Weg der Familie Stern aus Augsburg. (Lebenslinien. Deutsch-Jüdische Familiengeschichten 06), Augsburg 2013. | Unless indicated otherwise, documents can be found in: Benigna Schönhagen, „… und dann heißt’s Abschied nehmen aus Augsburg und Deutschland.“ Der Weg der Familie Stern aus Augsburg. (Lebenslinien. Deutsch-Jüdische Familiengeschichten 06), Augsburg 2013.
  2. StadtAA, MK II, Josef Herrmann, 1884. | Augsburg City Archives, MK II. Josef Herrmann, 1884.
  3. Mündliche Mitteilung von Henry Stern am 23.1.2019. | Oral communication of Henry Stern on January 23, 2019.
  4. Schwester Edelwina Hutzmann, Erinnerungen an Margot, in: Ein gewisses jüdisches Etwas. Eine Ausstellung zum Selbermachen vom 12. Juni bis 30. August 2009. Dokumentation der Ausstellung, Augsburg 2009, S.14.
  5. StadtAA, MK II, Josef Herrmann, 1884. | Augsburg City Archives, MK II, Josef Herrmann, 1884.
  6. Wie FN 4. Dort auch das Folgende. | As footnote 4. All following references ibidem.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten II (MK II):
– MK II Josef Herrmann, 1884

Veröffentlichte Quellen:

Ein gewisses jüdisches Etwas. Eine Ausstellung zum Selbermachen vom 12. Juni bis 30. August 2009. Dokumentation der Ausstellung, hrsg. von Benigna Schönhagen, Augsburg 2009, S.14.

Benigna Schönhagen, „… und dann heißt’s Abschied nehmen aus Augsburg und Deutschland.“ Der Weg der Familie Stern aus Augsburg. (Lebenslinien. Deutsch-Jüdische Familiengeschichten 06), Augsburg 2013.