Augsburg, Ulmer Straße 185
Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski
In der Ulmer Straße 185 lebten bis 1942 Mitglieder der Großfamilie, denen die Viehhandlung „Gebrüder Einstein“ in Kriegshaber gehörte. Die Firma mit ihrem bis ins Allgäu reichenden Handelsgebiet zählte bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten zu den renommiertesten Viehhandelsunternehmen in Schwaben.
Das Haus wurde 1906 von Babette Einstein (1842-1914) errichtet, nachdem ihr Mann Simon (1837-1906) gestorben war. Bis dahin hatten Simon und Babette Einstein mit ihren Kindern in der Kriegshaberstraße 7 gewohnt.
Das Ehepaar hatte 8 Söhne, von denen einer ein Jahr nach der Geburt starb. Den Unterhalt für die Familie hatte Simon Einstein als Metzger und Viehhändler verdient. Mit dieser Arbeit hatte er den Grundstein für die Zucht- und Schlachtviehhandlung „Gebrüder Einstein“ gelegt, die sechs seiner Söhne bis 1938 in Arbeitsteilung führten.
Max Einstein, der am 21. Februar 1876 als vierter Sohn von Simon und Babette Einstein in Kriegshaber zur Welt kam, stieg als Einziger nicht in den Familienbetrieb ein. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann entschied er sich für ein anderes Unternehmen. Er arbeitete für die Likör- und Essigfabrik Binswanger in der Augsburger Innenstadt. Sein Wohnsitz befand sich 30 Jahre lang in der Ulmer Straße 185. Er heiratete im März 1938 Johanna Stern, die am 15. Februar 1882 in Körbecke im Kreis Soest geboren worden war.
Heinrich Einstein, der am 10. Oktober 1878 geborene fünfte Einstein-Bruder, ließ sich ebenfalls zum Kaufmann ausbilden und hatte dann später die kaufmännische Leitung der Firma „Gebrüder Einstein“ inne. Seit 1922 war er außerdem Vorsitzender des „Verein der Viehhändler von Schwaben und Neuburg“. Er übernahm das Amt von seinem Bruder Ludwig, der den Berufsverband der schwäbischen Viehhändler 1908 mitbegründet hatte, und übte es bis April 1933 aus. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde er zusammen mit den anderen jüdischen Vorstandsmitgliedern aus seiner Position gedrängt.
Heinrich Einstein lebte von 1906 bis 1942 im Erdgeschoss der Ulmer Straße 185 bei seinem Bruder Moriz und dessen Familie. Moriz und Isak Einstein, die beiden jüngsten Einstein-Brüder, waren nach dem Tod der Mutter Eigentümer des Hauses geworden. Isak Einstein lebte mit seiner Familie im ersten Stock.
Isak Einstein kam am 7. März 1884 zur Welt und wurde wie sein Vater Metzger und Viehhändler. Sein Handelsbezirk innerhalb des Familienunternehmens war die Gegend um Königsbrunn und Bobingen. 1912 heiratete er Ida Schlossberger, die am 1. Juni 1890 in Unterdeufstetten bei Crailsheim geboren wurde. Vier Jahre später bekamen beide eine Tochter, die sie Beate (1916-2008) nannten. Beate Einstein konnte 1939 nach Großbritannien emigrieren.
Moriz Einstein wurde am 9. November 1886 geboren. Er wurde ebenfalls Viehhändler und betreute die Filiale des Familienbetriebs in Denklingen. Die Firma hatte noch eine weitere Zweigstelle in Schongau. 1922 heiratete Moriz Einstein Lydia Seligman aus Regensburg, die am 5. Januar 1900 in Lambsheim bei Ludwigshafen zur Welt gekommen war. Beide bekamen zwei Kinder: 1924 den Sohn Siegbert und 1925 die Tochter Liese.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erfuhren die Einstein-Brüder in ihrem persönlichen Umfeld weiterhin so viel Respekt, dass sie nicht das Gefühl hatten, ernsthaft gefährdet zu sein. Deshalb planten sie zunächst keine Emigration im Unterschied zu ihren älteren Kindern, die nach und nach auswanderten. Die Großfamilie genoss bis 1933 hohes Ansehen in Kriegshaber, da sie nicht nur in der jüdischen Gemeinde, sondern auch in einer ganzen Reihe von allgemeinen Vereinen und sozialen Einrichtungen wie z.B. dem Roten Kreuz engagiert war.
Die Ereignisse im November 1938 machten den Brüdern ihre bedrohte Existenz bewusst. Sie beschlossen, Deutschland gemeinsam zu verlassen. Eine getrennte Emigration konnten sie sich nicht vorstellen. Da sie kein Land fanden, das allen Familienmitgliedern eine gemeinsame Einwanderung ermöglichte, entschlossen sich Moriz und Lydia Einstein, ihre Kinder Siegbert und Liese im Juli 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien zu schicken. Sieben Monate nach ihrer Ankunft starb Siegbert Einstein völlig unerwartet an einer Herzentzündung. Die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erschütterte Moriz und Lydia Einstein tief. Wie erhaltene Briefe des Ehepaars zeigen, wurde ihre Situation danach immer unerträglicher und hoffnungsloser.
Nach dem Beginn der Deportationen aus Augsburg im November 1941 kam die ständige Angst vor dem Abtransport hinzu. Max, Johanna und Heinrich Einstein mussten sich viereinhalb Monate später von ihren Verwandten verabschieden. Sie wurden am 2. April 1942 zusammen mit ihrer Schwägerin Camilla, der zweiten Ehefrau des 1939 verstorbenen ältesten Einstein-Bruders Samuel, von Augsburg nach München gebracht. Zwei Tage später wurden sie in das Transitghetto Piaski bei Lublin deportiert. Dort kamen sie alle ums Leben.
Kurz danach wurden Isak und Moriz Einstein gezwungen, das Haus in der Ulmer Straße 185 an die Polizeiverwaltung des Deutschen Reichs zu verkaufen und mit ihren Ehefrauen in so genannte „Judenhäuser“ umzuziehen. Zu einer solchen Zwangsunterkunft für Juden war inzwischen auch die Wohnung im Erdgeschoss der Synagoge in Kriegshaber geworden. Dort lebten Moriz und Lydia Einstein seit Juni 1942. Isak und Ida Einstein mussten ihre letzten Monate in Kriegshaber im „Judenhaus“ in der Ulmer Straße 207 verbringen. Im September 1942 wurden der dritte noch in Kriegshaber lebende Einstein-Bruder Hermann und dessen Ehefrau Mina ebenfalls in der Wohnung in der Synagoge einquartiert. Die drei Ehepaare wurden am 8. oder 9. März 1943 nach München gebracht. Von dort wurden sie am 13. März in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie alle ermordet wurden.
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?result#frmResults (aufgerufen am 19.06.2017)
Monika Müller, „Es ist ein hartes Los, das uns getroffen hat.“ Der Weg der Familie Einstein aus Augsburg-Kriegshaber (Lebenslinien. Deutsch-jüdische Familiengeschichte, Bd. 5), Augsburg 2012.