Werner Fischer

Date of Birth:
16.06.1927, Augsburg
Deceased:
04.06.1941, Hartheim/Linz

Residencies

Augsburg, Donauwörther Straße 155
Ursberg, St. Josefskongregation

Last voluntary residence

Places of persecution

Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee

Tötungsanstalt Hartheim bei Linz
„Aktion T4“

Memorial sign

Am 14. Oktober 2021 wurde für Werner Fischer ein Stolperstein vor dem Eingang zum Eschenhof in der Donauwörther Straße 155 verlegt.

Biography

Werner Fischer, geb. 1927, ermordet am 4.6.1941 in Hartheim/Linz im Rahmen der Aktion T4

Werner ist am 16. Juni 1927 in Augsburg geboren. Er ist das uneheliche Kind des Schreibers Fritz Werner1 und der aus Augsburg-Oberhausen stammenden Elisa Mathilde Fischer. Diese heiratet am 20. Juli 1928 den Maler Josef Kratzer2 . Die junge Familie zieht in die Donauwörther Straße 155.3 Werners Halbbruder Ignaz wird am 17. November 1928 geboren, seine Halbschwester Elisabeth am 27. Januar 1931.4

Wegen einer sehr starken körperlichen und geistigen Beeinträchtigung kommt Werner im Alter von 3 Jahren und 3 Monaten in die St. Josefskongregation nach Ursberg. Dort wird er am 15. September 1930 aufgenommen. Anfangs übernimmt der Landesfürsorgeverband Schwaben die Kosten, ab Oktober 1936 die Armenfürsorge.

Am 19. November 1940 wird Werner Fischer von Ursberg in die Heil- und Pflegeanstalt in Kaufbeuren überwiesen und erhält dort die Patientennummer 11750.

Aktion T4 als Ursache seiner Verlegung

Seit Beginn der „Euthanasie-Aktion“ im Herbst 1939, veranlasst durch den Leiter der Reichskanzlei Philipp Bouhler und organisatorisch durchgeführt durch die Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße 45 , erfolgt die massenhafte Verlegung von Patienten aus karitativen Anstalten wie Ursberg, Lautrach und Holzhausen nach Kaufbeuren.

Diese Patienten werden vorwiegend zur Tötung nach Kaufbeuren-Irsee verbracht. Von dort erfolgt ab August 1940 die „Verlegung“ der ersten Patienten in die Vernichtungsanstalten Grafeneck und Hartheim und dort im Rahmen der sogenannten T4 Aktionen deren Ermordung.6

Dieser „Selektion lebensunwürdigen Lebens“ im Rahmen der Aktion T4 gehen umfangreiche Planungen voraus. Am 9.10.1939 werden vom Leiter der Abteilung IV des Reichsministerium des Inneren, Leonardo Conti, die in Frage kommenden Heil- und Pflegeanstalten zur Benennung bestimmter Patienten mittels Meldebögen aufgefordert.7 In einem beigefügten Merkblatt ist angegeben, welche Patienten nach Berlin gemeldet werden müssen:

  • Patienten mit Schizophrenie, Epilepsie, Encephalitis, Schwachsinn, Paralyse, Chorea Huntington, Menschen mit seniler Demenz oder anderen neurologischen Endzuständen, wenn sie nicht oder nur noch mit mechanischen Arbeiten beschäftigt werden können,
  • Menschen, die schon länger als fünf Jahre in der Anstalt sind,
  • Kriminelle „Geisteskranke“,
  • Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht artverwandten Blutes sind8

Diese Meldebögen werden über den zuständigen Referenten Herbert Linden im RMdI an die T4 Zentrale weitergeleitet. Drei „Gutachter“ entscheiden aufgrund der Meldebögen, also nicht aufgrund eigener Untersuchungen, über Tod oder Weiterleben der Patienten.9

Wir müssen davon ausgehen, dass dem Kaufbeurer Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser seit dem Frühjahr 1940 von Berlin Listen mit den Namen der Patienten zugesandt werden, welche die Gutachter der Aktion T410 in Berlin für „lebensunwürdig“ halten und welche dementsprechend in eine Reichsanstalt überwiesen werden sollen.11 . Dr. Valentin Faltlhauser ist seit September 1940 selbst Gutachter. Vielleicht hat er seit dieser Zeit selbst Listen angefertigt, weil er ja die Patienten vor Ort besser kennt als die Gutachter in Berlin, die vom Schreibtisch aus ihre Todesurteile fällen. Zumindest wird er ab Juni 1940 auf den Listen, die aus Berlin kommen, Veränderungen bzw. Ergänzungen vorgenommen haben.12 Als Gutachter der Aktion T4 ist Faltlhauser auch „Mitglied einer Kommission, die in unzuverlässigen Anstalten die zur Tötung bestimmten Patienten vor Ort auswählte“.13

Werner Fischer als Patient in Kaufbeuren

Der Patientenbogen Werner Fischers in Kaufbeuren hält am 20. Dezember 1940 fest, dass er sich nicht sprachlich artikulieren könne, er lalle, wippe beständig mit dem Oberkörper, grimassiere, sei in ständiger Unruhe. Mit Vorliebe schnappe er anderen Patienten das Essen weg.

Das Stadtjugendamt Augsburg richtet am 13. Februar eine Anfrage an die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. Es geht um die Vormundschaft und Kostenübernahme für den Patienten Werner Fischer. Der stellvertretende Anstaltsleiter Dr. Gärtner antwortet folgendermaßen:

An das Stadtjugendamt Augsburg

Amtsvormundschaft, 4.3.41
Betr. F.R.434/27 Vormundschaft über Werner Fischer, geb. 16.6.27

Zur Anfrage vom 13.2.41 teile ich mit, dass in dem Befinden des Werner Fischer seit seiner Überstellung von Ursberg in die hiesige Anstalt am 19.11.40 bis heute keinerlei Veränderung zu verzeichnen ist. Es handelt sich um eine hochgradige Form von Schwachsinn ohne Sprachäußerung. Der Kranke muss größtenteils gepflegt werden. Gegenüber dem Pflegepersonal zeigt er sich kindlich anhänglich. Nicht selten zeigt er ziellose, triebhafte Unruhe und lallt in schreienden Tönen. i.A. gez. Gärtner, Oberarzt.14

Die weiteren Einträge im Patientenbogen zu Werner Fischer sind spärlich. Die beiden letzten Einträge lauten:

28.3.41 Unzugänglich, lebhaft, lallt, macht den ganzen Tag stereotaktische Bewegungen mit Händen und Armen. Pflegebedürftig, in dumpfer, zielloser Unruhe. Gez. Gärtner.15

4.6.1941 „verlegt“.

Abtransport mit den grauen Bussen nach Hartheim

Werner Fischer bleibt nur knappe 7 Monate in Kaufbeuren. Am 4. Juni 1941 wird er mit 69 weiteren Patienten aus Kaufbeuren mit den grauen Bussen in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz transportiert und dort aller Wahrscheinlichkeit am gleichen Tag mit Gas ermordet.

Hierunter sind 24 Personen, die erst am 19. November 1940 von Ursberg nach Kaufbeuren verlegt worden sind.

11 Personen sind aus Augsburg und näherer Umgebung, nämlich Atterer Josef aus Inningen, geb. 1882; Betzel August geb. 1912; Heinle Johann, geb. 1906; Heinzelmann August aus Bonstetten, geb. 1877; Henle Ludwig, geb. 1903; Hutner Ludwig, geb. 1920; Mayer Johann aus Gersthofen, geb. 1919; Mittl Wilhelm, geb.1902; Off Pius aus Bonstetten, geb. 1895; Port Richard, geb. 1878 und Schindele Karl, geb. 1879.16

Die Behörden in Augsburg erhalten vom Standesamt Hartheim die Nachricht, dass Werner Fischer am 17. Juni 1941 in Hartheim bei Linz verstorben sei. Doch selbst dieses Todesdatum haben die Nazis gefälscht, um die Massenmorde zu vertuschen. Bereits am Tag darauf, am 5. Juli 1941 erfolgt die „Verlegung“ von 71 Frauen aus Kaufbeuren nach Hartheim und deren Ermordung.17

Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, StD, Gegen Vergessen - Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben; 86368 Gersthofen, Haydnstr. 53 bernhard.lehmann@gmx.de

Footnotes
  1. Weitere Informationen über den Vater sind nicht vorhanden, weder im Stadtarchiv Augsburg noch im R 179-22004, Patientenakte von Werner Fischer.
  2. BA Berlin, R 179-22004, Patientenakte von Werner Fischer; StadtAA, MB Ignaz Kratzer; StadtAA Werner Fischer: Ignaz Kratzer ist am 26.Mai 1902 in Oberhausen/Augsburg geboren, verst. am 30.1.1974 in Steppach. Seine Eltern sind der Ausgeher Julian Kratzer und Kreszentia Kratzer, geb. Reiner. Elisa Mathilde Fischer ist am 5. September 1902 ebenfalls in Augsburg-Oberhausen geboren, ebenda. Ihre Eltern sind der Techniker Julius Fischer, verst. 3.4.1917, und Elise Fischer, geb. Paun.
  3. StadtAA, MB Ignaz Kratzer.
  4. StadtAA, MB Ignaz Kratzer: Elise Kratzer verstirbt am 23.2.1963 in Irsee, ihr Bruder Ignaz am 30.1.1974 in Steppach.
  5. Vgl. hierzu: Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 2. Auflage, Berlin 1989; Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002; Ernst Klee (Hg.), Dokumente zur „Euthanasie“, Frankfurt/Main 1985.
  6. Erich Resch/Petra Schweizer-Martinschek, Die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee während der NS-Zeit, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S.114-133, hier S. 120.
  7. Thomas Stöckle, Grafeneck 1940, 3. Auflage, Tübingen 2012, S. 34-39; Götz Aly, Die Belasteten, Frank/Main 2012, S. 54f; https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4.
  8. Meldebogen in Faksimile: https://www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana34.htm.
  9. Zur Aktion T-4: Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 2. Auflage, Berlin 1989; Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002; Ernst Klee (Hg.) Dokumente zur „Euthanasie“, Frankfurt/Main 1985. Siehe auch: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/aktion-t4-systematischer-mord-der-nazis-an-behinderten-menschen/.
  10. Die „Aktion T4“ beinhaltete die systematische Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen. Sie wurde zwar nach Protesten der Kirchen im August 1941 eingestellt, aber dann dezentral fortgesetzt. In den Heil- und Pflegeanstalten wurden in der Folgezeit Patienten mit Luminal und Skopolamin oder mit der sog. Hungerkost ermordet. Mit der Durchführung der Aktion T4 wurde die Kanzlei des Führers beauftragt. Die Organisation wurde als „Zentraldienststelle“ getarnt und hatte ihren Sitz in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Vgl. hierzu: Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 2. Auflage, Berlin 1989; Götz Aly, 2012, S. 42ff; Thomas Stöckle, 2012, S. 73ff.
  11. Wie Anmerkung 12; vgl. Götz Aly, 2012, S. 42ff; Thomas Stöckle, 2012, S. 73ff.
  12. Ulrich Pötzl, Sozialpsychologie, Erbbiologie und Lebensvernichtung. Valentin Faltlhauser, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1995, S. 22, insbes. 241; Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, in: Stefan Dieter (Hg.), 2015, S. 272-276.
  13. Ulrich Pötzl, 1995, S. 209.
  14. BA Berlin, R 179-22004, Patientenakte von Werner Fischer, Schreiben Dr. Gärtner an das Stadtjugendamt Augsburg vom 4.3.1941.
  15. Eintrag von Dr. Lothar Gärtner, stellvertretender Anstaltsleiter in Kaufbeuren, Er erhängte sich am 1.7.45. Tags darauf besichtigten die Besatzungstruppen zum ersten Mal die Heil- und Pflegeanstalt und sprachen von einer „totalen Ausrottungsmaschinerie“: zitiert nach von Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, in: Stefan Dieter (Hg.), 2015, S. 282; Hist. Archiv BKH Kaufbeuren, R179/22004 Patientenbogen Werner Fischer.
  16. Mittlerweile hat das Bundesarchiv die Namen der T4 Opfer auf seiner Homepage veröffentlicht, deren Akten dort eingesehen werden können. Nicht zu allen oben genannten Patienten sind im Bundesarchiv Akten einsehbar: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Aus-unserer-Arbeit/liste-patientenakten-euthanasie.pdf?__blob=publicationFile. Vgl. auch: Hist. Archiv BKH Kaufbeuren, Standbücher der Zu- und Abgänge der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, Männer, Frauen 1940 und 1941.
  17. Hist. Archiv BKH Kaufbeuren, Standbücher Zu- und Abgänge Männer, Frauen 1941.
Sources and literature
Unpublished sources:

Bundesarchiv Berlin (BA Berlin)
– R 179-22004, Patientenakte von Werner Fischer

Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren
(Hist. Archiv BKH Kaufbeuren)
– Historisches Archiv BKH Kaufbeuren, Standbücher der Zu- und Abgänge Männer, Frauen 1941

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Werner Fischer
– Ignaz Kratzer

Published sources:

Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein

Internet:
Literature:

Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 2. Auflage, Berlin 1989.

Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900–1945, Zürich 2002.

Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.

Ernst Klee (Hg.), Dokumente zur „Euthanasie“, Frankfurt/Main 1985.

Ulrich Pötzl, Sozialpsychologie, Erbbiologie und Lebensvernichtung. Valentin Faltlhauser, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1995.

Thomas Stöckle, Grafeneck 1940, 3. Auflage, Tübingen 2012.