Viktoria Pfundmeier

Date of Birth:
18.10.1905, Augsburg
Deceased:
10.04.1966, Höchstädt

Residencies

Gersthofen, Sommerstraße 7 (heute Schillerstraße 7)
Höchstädt, Herzogin-Anna-Straße 52

Last voluntary residence

Places of persecution

Gesundheitsamt Augsburg

Memorial sign

Für Viktoria Pfundmeier wurde am 17. Juli 2022 in der Schillerstraße 7 in Gersthofen ein Stolperstein verlegt.

Biography

Viktoria Pfundmeier, geb. 18.10.1905 in Augsburg,
verst. 10.04.1966 in Höchstädt,
zwangssterilisiert, Gersthofen, Sommerstraße 7 (heute Schillerstraße 7)

Elternhaus

Viktoria Pfundmeier ist am 18. Oktober 1905 in Augsburg geboren. Ihre Eltern sind der Reichsbahnschaffner Ludwig und seine Ehefrau Viktoria Pfundmeier, geb. Bauer.1 Gemeinsam mit ihren Eltern wohnt Viktoria in Gersthofen in der Sommerstraße 7.2 Sie hat 12 Geschwister3 , von denen einige das Kindesalter nicht überleben.

Körperliche und geistige Beeinträchtigung

Viktoria ist körperlich missgebildet und leidet unter Drüsenstörungen. Sie ist von Geburt an geistig beeinträchtigt. Im zweiten Jahr ihrer Schulpflicht versetzen sie die Lehrer in die Sonderschule, aus der sie 1920 mit der Gesamtnote III entlassen wird. Einen Beruf übt Viktoria nicht aus.4 Gemäß dem Rollenverständnis der damaligen Zeit war es üblich, dass Frauen in den seltensten Fällen höhere Schulen besuchten. In den meisten Fällen waren sie im Haushalt tätig, verheiratete Frauen sollten ihren Männern den „Rücken freihalten“ und sich der Kindererziehung widmen.

Viktoria stickt zu Hause und kann sehr schön schreiben. Lesen und rechnen ist für sie kaum möglich. Aber wie soll sie das auch erlernen, wenn sie nicht individuell gefördert wird?

Viktoria ist von Natur aus gutmütig, kann aber auch gereizt auf die Neckereien ihrer Geschwister reagieren. Am Alltagsleben der Familie nimmt sie rege teil. Sie ist ein wenig eitel und hält sich sehr sauber. Sie übersieht es nie, wenn eine ihrer Schwestern ein neues Kleid bekommt. Sie gibt solange keine Ruhe, bis man ihr auch etwas kauft.5

Antrag auf Zwangssterilisation durch das Gesundheitsamt

Der Bezirksarzt meldet sie beim Gesundheitsamt Augsburg, das beim Erbgesundheitsgericht Augsburg den Antrag auf Zwangssterilisation der nunmehr 32-jährigen Viktoria Pfundmeier stellt.

Historisch-politischer Hintergrund der Zwangssterilisationen

Seit dem 1.1.1934 ist das Gesetz der Nazis „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft, das diese bereits am 14. Juli 1933 verabschiedet haben.6

Demaskierend ist die offizielle Begründung dieses Gesetzes:

„Der fortschreitende Verlust wertvoller Erbmasse muss eine schwere Entartung aller Kulturvölker zur Folge haben. Von weiten Kreisen wird heute die Forderung gestellt, durch Erlass eines Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses das biologisch minderwertige Erbgut auszuschalten. So soll die Unfruchtbarmachung eine allmähliche Reinigung des Volkskörpers und die Ausmerzung von krankhaften Erbanlagen bewirken.“7

Die wahnhaften rassistischen Vorstellungen bilden demzufolge die Grundlage für die Zwangssterilisation von bis zu 400.000 Menschen im sog. III. Reich. Betroffen sind vor allem Fürsorgeempfänger, Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, „Asoziale“, Geisteskranke, körperlich Beeinträchtigte und andere Menschen, die nicht den sozialdarwinistisch-rassistischen Wahnvorstellungen der Nazis entsprechen. Nach Meinung der nationalsozialistischen Machthaber sollen sich diese „Ballastexistenzen“, wie sie von vielen Eugenik-Befürwortern genannt werden, nicht fortpflanzen dürfen. Ärzte, Sozialarbeiter und Lehrer haben im Fall „erblich bedingter“ Auffälligkeiten und Krankheitsbilder die gesetzliche Pflicht zur Anzeige beim Gesundheitsamt, welches dann nach Erstellung eines Gutachtens beim Erbgesundheitsgericht die Sterilisation der angezeigten Personen beantragt.8

Gesetz zur „Verhinderung erbkranken Nachwuchses“

§1 des Gesetzes lautet:

(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.

(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:

  • angeborenem Schwachsinn,
  • Schizophrenie,
  • zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
  • erblicher Fallsucht,
  • erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
  • erblicher Blindheit,
  • erblicher Taubheit,
  • schwerer erblicher körperlicher Missbildung.

(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.9

Funktion der Erbgesundheitsgerichte

Eigens dafür geschaffene Erbgesundheitsgerichte sollen darüber entscheiden, wer als „erbkrank“ im Sinne der Nationalsozialisten zu gelten habe.10 Anträge zur Unfruchtbarmachung können die Bezirksärzte, die Leiter von Heil- und Pflegeanstalten oder von Strafanstalten bei den Erbgesundheitsgerichten stellen, die den Amtsgerichten angegliedert sind.11

Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Frage der Erblichkeit einer bestimmten Erkrankung oder Einschränkung sich in den 1930-er und 1940-er Jahren sich kaum beantworten ließ, stand doch eine genetische Diagnostik damals noch nicht zur Verfügung.12

Vorladung vor das Erbgesundheitsgericht Augsburg

Gemäß dieser Sachlage wird Viktoria gemeinsam mit ihrer Mutter am 12.10.1937 vor das Erbgesundheitsgericht Augsburg geladen. Das Gericht hält sich an das Gutachten des Gesundheitsamtes Augsburg. Das Gericht entscheidet unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Hartmann und den Beisitzern, Bezirksarzt Dr. Gloel und des Nervenarztes Dr. Willburger einstimmig, Viktoria Pfundmeier unfruchtbar zu machen.

In der Begründung führt das Gericht aus, dass Viktoria den Intelligenzprüfungsbogen nicht habe beantworten können und nicht bildungsfähig sei. Das Gericht kommt daher zur Folgerung, dass

„nach Inhalt der vorliegenden Unterlagen und dem persönlichen Eindruck … für das Gericht nicht der geringste Zweifel bestehe, dass sie in hohem Grade schwachsinnig ist. Angeborener Schwachsinn ohne äußere Ursache in früher Jugend. Angeborener Schwachsinn im Sinne § 1 Abs. II Ziffer 1 des EGG.
Gez. Dr. Gloel, Hartmann, Dr. Willburger"

Die mittlerweile verwitwete Mutter wendet zwar ein, dass Viktoria an Männern nicht interessiert sei und das Haus nicht verlasse. Wegen ihrer körperlichen Missbildung sei auch nicht zu erwarten, dass sich ein Mann sexuell mit ihr einlasse.

Zwangssterilisation

Aber die Justiz im NS-Staat ist gnaden- und erbarmungslos. Viktoria Pfundmeier wird im Städtischen Krankenhaus Augsburg am 19. Januar 1938 zwangssterilisiert.13 Erst nach 12 Tagen wird sie am 1.2.38 aus dem Krankenhaus entlassen.

Viktoria wird 1961 aus Gersthofen abgemeldet und ist ab 12. Januar 1961 im Caritasaltersheim im Höchstädter Schloss in der Herzogin-Anna-Straße 52 untergebracht.14

Viktoria verstirbt am 10. April 1966 in Höchstädt.15 Die Todesursache ist nicht bekannt.16 Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie 61 Jahre alt.

© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, StD, Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, 86368 Gersthofen, Haydnstr. 53, alle Rechte beim Autor

Footnotes
  1. StadtAGerst, EWO-Karten Pfundmeier Viktoria
  2. Die Schillerstraße wurde von 1928 bis 7.9.1933 „Sommerstraße“ (das Erbgesundheitsgericht schrieb irrig „Sonnenstraße“) und vom 7.9.1933 bis Juni 1945 „Schlageterstraße“ genannt (Quelle: Chronik Gersthofen 1954, S. 252).
  3. StadtAGerst, EWO-Karten. Sie ist das drittgeborene Kind. Die zwei älteren Geschwister sind Ludwig geb. 1901, Sophie 26.08.1902 in Augsburg. Ihre jüngeren Geschwister sind Jakob 23.10.1908, der als Kind verstirbt; Therese 24.02.1910; Gregor 21.09.1911; Jakob 15.09.1913; Wilhelm 17.04.1915 in Augsburg, verst. 03.02.1989 in Gersthofen, verh. mit Josefa Riedl; Maria 08.11.1919; Schwester: Erna 28.07.1921, vgl. EWO-Karten (Pfundmeier Viktoria, geb. Baur; Pfundmeier Wilhelm; Pfundmeier Viktoria
  4. StAA, Sterilisationsakte XIII 357/37 Pfundmeier Viktoria
  5. StAA, Sterilisationsakte XIII 357/37 Pfundmeier Viktoria
  6. RGBl. I, S.125, abgedruckt bei: http://www.documentarchiv.de/ns/erbk-nws.html
  7. Abgedruckt in: Drucksache 16/38111 – Antrag auf Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 In: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode, 13. Dezember 2006.
  8. So Wolfgang Benz, Verweigerte Erinnerung, in: Margret Hamm (Hrsg.): Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-“Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland; Berlin 2017, S. 15-22.
  9. RGBl. I, S.125, abgedruckt bei: http://www.documentarchiv.de/ns/erbk-nws.html
  10. Ebenda, § 4: http://www.documentarchiv.de/ns/erbk-nws.html
  11. Ebenda, § 6
  12. Stefanie Westermann, „Ein Mensch, der keine Würde mehr hat, bedeutet auf dieser Welt nichts mehr“. Zwangssterilisierte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Margret Hamm (Hrsg.): Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-„Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland; Berlin 2017, S. 23-40, hier S. 27.
  13. StAA, Sterilisationsakte XIII 357/37 Pfundmeier Viktoria
  14. Mitteilung der Verwaltungsgemeinschaft Höchstädt an der Donau, Herrn Lucas Thümmler vom 13.1.2022 und 18.1.22.
  15. StAA, Sterilisationsakte XIII 357/37 Pfundmeier Viktoria
  16. Mitteilung der Verwaltungsgemeinschaft Höchstädt an der Donau, Herrn Lucas Thümmler vom 13.1.2022.
Sources and literature
Unpublished sources:

Stadtarchiv Gersthofen (StadtAGerst)

  • EWO Karten Pfundmeier Viktoria

Staatsarchiv Augsburg (StAA)

  • Sterilisationsakte XIII 357/37 Pfundmeier Viktoria
Published sources:

Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 25.7.1933, RGBL 1933, Nr. 86, S. 529

Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein

Internet:
Literature:

Stefanie Westermann, „Ein Mensch, der keine Würde mehr hat, bedeutet auf dieser Welt nichts mehr“. Zwangssterilisierte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Margret Hamm (Hg.): Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-“Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland; Berlin 2017, S. 23-40.