Krakau/Polen
Augsburg, Inneres Pfaffengäßchen 14
„Schutzhaft“ in Augsburg
KZ Buchenwald
KZ Dachau
Tötungsanstalt Hartheim bei Linz
Roman Filasiewicz wird am 29. Juni 1903 in Krakau geboren. Seine Eltern sind Claudius und Julia Filasiewicz, geb. Rettinger aus Lemberg.1 Roman ist mit Sabina Rosa Marja, geb. Drojecka verheiratet, mit der er in Warschau eine Wohnung hat.2 Das Ehepaar hat nachweislich 3 Kinder, vielleicht sogar 4.3
Seine um 5 Jahre jüngere Schwester Renata ist Kunstgewerblerin und Modezeichnerin. Sie verheiratet sich 1934 mit dem aus Lemberg stammenden polnischen Ingenieur Ladislav Hans Hassmann, mit dem sie einen Sohn Konrad Anton hat. Wie Roman ist die Familie seiner Schwester ebenfalls in Warschau wohnhaft.4 Seit 1941 läuft in Warschau ihr Naturalisierungsverfahren. Wir wissen allerdings nicht, ob sie die polnische Staatsbürgerschaft erhalten hat.
Roman ist Tiefbauingenieur. Wir wissen nicht, wie und aus welchen Gründen er während des Krieges nach Deutschland gekommen ist, jedenfalls ist er in Deutschland nicht zwangsinterniert, sein Wohnsitz in Augsburg ist ab dem 13. Juni 1940 die „Herberge zur Heimat“ der Inneren Mission im Inneren Pfaffengäßchen 14.5
Es ist möglich, dass Roman Filasiewicz zu den wenigen Polen gehörte, die sich ab Oktober 1939 freiwillig zur Arbeit nach Deutschland anwerben ließen6 , möglicherweise zählte er über seine Mutter zur deutschen Minderheit in Polen? Ebenso denkbar ist es, dass Roman nach der Annexion von Schlesien und Ostpreußen und der Zusammenfassung der Gebiete von Krakau, Warschau, Radom und Lublin zum „Generalgouvernement“ unter der Führung von Hans Frank7 als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert wurde.8
Dennoch bleibt es erklärungsbedürftig, weshalb Roman Filasiewicz sich relativ frei in Deutschland bewegen und seinen Wohnsitz selbst wählen durfte. War dies auf seine hohe berufliche Qualifikation und den Arbeitskräftebedarf oder auf seine Abstammung (siehe Vita seiner Schwester, Naturalisierungsverfahren) zurückzuführen?
Jedenfalls gerät Roman alsbald ins Visier der Nazis. Die Gestapo Augsburg nimmt ihn am 14. September 1940 in „Schutzhaft“9 . Als Grund wird angegeben, er sei arbeitsunwillig, habe Sabotage betrieben und sich mit gefangenen Franzosen unterhalten.10
Roman wird am 26. November 1940 ins KL Buchenwald mit der Häftlingsnummer 1328 eingewiesen. Seine Unterschrift lässt auf einen selbstbewussten, intelligenten und gebildeten Mann schließen. In der Effektenkammer muss er einen Hut, ein Paar Schuhe, einen Mantel, einen Kittel, ein Hemd, Brieftasche, Zigaretten, Geldbörse, eine Zigarettenspitze und eine Uhr abliefern. Er verrichtet in Buchenwald Zwangsarbeit.11
Wir kennen die 5 Arbeitskommandos, zu denen Roman ab 3. Dezember 1940 abgestellt ist. Dem letzten Arbeitskommando in Buchenwald wird er am 18. Juni 1942 zugeteilt.12
Am 7. Juli 1942 wird Roman Filasiewicz von Buchenwald ins KL Dachau überstellt und als Häftling 30937 registriert.13
Erfassung durch die „Aktion 14f13“14
Ab 1934 sinkt der Anteil der politischen Häftlinge im KL Dachau, ab dieser Zeit richtet sich der SS-Terror gegen die sog. „Asozialen“, Obdachlose, Wanderarbeiter, Fürsorgeempfänger, Sinti und Roma.15
Ab Ende 1936 entwickelt sich das KL-System endgültig zum rechtsfreien Raum, indem alle Personen weggesperrt und ermordet werden sollen, die nicht ins Konzept der rassistischen Gesellschaft des NS-Regimes passen.16
Am 14.10.1942 wird Roman Filasiewicz nach 3 Monaten im KZ Dachau mit einem sogenannten „Invalidentransport“ mit weiteren polnischen Häftlingen in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz „verlegt“.17
Nach Einstellung der Krankenmorde („Aktion T4“) im August 1941 werden unter der „Aktion 14f13“ nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge zu ihrer Ermordung nach Hartheim bei Linz gebracht und meist am gleichen Tag durch Gas ermordet18
Der Hauptgrund für die nach dem Aktenzeichen „14f13“ benannte Mordaktion im Frühjahr 1941 war der stark steigende Anteil kranker und entkräfteter Häftlinge in den Konzentrationslagern. Ausgezehrt von den unmenschlichen Arbeits-und Lebensbedingungen galten diese als „arbeitsunfähig“ und sollten, wie es im nationalsozialistischen Sprachgebrauch hieß, einer „Sonderbehandlung“ unterzogen, d.h. physisch vernichtet werden.
Die Aktion ging auf eine Anordnung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler zurück, nach der Häftlinge durch Ärzte der „Aktion T4“ („Euthanasie“-Aktion) ausgewählt und in den Tötungszentren der „Aktion T4“ ermordet werden sollten.19
Die für die „Sonderbehandlung 14f13“ in Betracht gezogenen Häftlinge wurden bereits vor Eintreffen einer für die Aussonderung zuständigen Ärztekommission auf Meldebogen erfasst. Die Lagerkommandanten erhielten dazu ein Muster des Meldebogens mit der Aufforderung, dort Fragen zu den in Betracht kommenden Häftlingen zu beantworten, zum Beispiel zur Diagnose bei körperlichen „unheilbaren Leiden“ oder zum Einweisungsgrund.
Sodann mussten die in der Vorauswahl in den KZ erfassten Häftlinge vor der Ärztekommission antreten. Eine ärztliche Untersuchung fand nicht statt. In der Rubrik „Diagnose“ auf den Meldebogen finden sich unter anderem Eintragungen wie „Rasseschänder“, „Hetzer und Deutschenfeind“, „berüchtigter Kommunist“. Als Ort der Tötung der im KZ Dachau ausgewählten Häftlinge war die Tötungsanstalt Hartheim/Linz vorgesehen, in der bereits im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion („Aktion T4“) Behinderte ermordet worden waren.
Einige Zeit nach der „ärztlichen Erfassung“ wurden die Häftlinge abtransportiert. Kurz nach ihrer Ankunft in Hartheim wurden sie dem Anstaltsarzt vorgeführt, auf Goldzähne untersucht, entsprechend gekennzeichnet und anschließend in der Gaskammer ermordet. Den Leichen wurden die Goldzähne entfernt, die päckchenweise in die Zentraldienststelle in Berlin geschickt wurden. Anschließend wurden die sterblichen Überreste der Ermordeten verbrannt.
Die erste der 5 Wellen (15.1.-3.3.42) umfasste 15 Transporte mit 1452 Häftlingen, die zweite (4.5.-11.6.42) sechs Transporte mit 561 Häftlingen, die dritte (10.8.-12.8.42) zwei Transporte mit 181 Häftlingen, die vierte (7.10. – 14.10.42) drei Transporte mit 330 Häftlingen, die fünfte (27.11.-8.12.42) sechs Transporte mit 69 Häftlingen.
Gemäß den Erhebungen des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes in Bad Arolsen fielen der Sonderbehandlung 14f13 insgesamt 2593 Häftlinge des KZ Dachau zum Opfer.20
Roman Filasiewicz gehörte zur vierten Welle der Häftlingstransporte von Dachau nach Hartheim mit insgesamt 330 Häftlingen, darunter viele seiner Landsleute. Am Tage seiner Ankunft, am 14.10.1942, wird Roman Filasiewicz dort mit Gas ermordet.21
Die Sterbeurkunde von Roman Filasiewicz vom 18. November 1942 indizierte als Todesursache „Kreislaufschwäche bei eitriger Mandelentzündung mit Sepsis“.
Todesursache, Todesort und Todeszeitpunkt waren frei erfunden. Das Standesamt Dachau stellte für die in Hartheim bei Linz ermordeten Personen die Totenscheine aus.22
© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen - Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, alle Rechte beim Autor.
2021
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
– Ausländerkartei, Filasiewicz, Roman (Kopie Arolsen Archives)
https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/polen/index.html
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/252527/kz-buchenwald
https://collections.arolsen-archives.org/archive/5856418/?p=1&s=Filasiewicz%20Roman&doc_id=5856422
https://collections.arolsen-archives.org/archive/5856418/?p=1&s=Filasiewicz%20Roman&doc_id=5856419
https://collections.arolsen-archives.org/archive/10043453/?p=1&s=Filasiewicz%20Roman&doc_id=10043457.
https://collections.arolsen-archives.org/archive/72226412/?p=1&s=Filasiewicz%20Roman&doc_id=72226413
https://collections.arolsen-archives.org/archive/80649392/?p=1&s=filasiewicz&doc_id=80649394, abgerufen am 2.12.2020 (Renata Filasiewicz)
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/besatzungsregime-in-polen.html
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/schutzhaft.html
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/zwangsarbeit-in-polen.html
Dirk Riedel, Vom Terror gegen politische Gegner zur rassischen Gesellschaft. Die Häftlinge des Konzentrationslager Dachau 1933-1936, in: Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hg.): „… der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933-1936, Frankfurt/Main 2017, S. 73-96.
Florian Schwanninger, „Wenn du nicht arbeiten kannst, schicken wir dich zum Vergasen.“ Die „Sonderbehandlung 14f13“ im Schloss Hartheim 1941–1944, in: Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, 2. Auflage, Linz 2008, S. 155-208.