Donauwörth
Augsburg, Kirchgasse 22
Augsburg, Jesuitengasse 28
Augsburg, Jesuitengasse 22
Augsburg, Pfärrle 10
Augsburg, Jesuitengasse 28
KZ Dachau
KZ Mauthausen
Tötungsanstalt Hartheim/Linz
Matthäus Merkle ist am 26. Juni 1886 in Donauwörth geboren. Seine Eltern sind der Schneidermeister Matthäus Merkle und die Hausfrau Anna, geb. Stärker.1
Über seine schulische Laufbahn und berufliche Ausbildung ist uns nichts bekannt. Jedenfalls ergreift Matthäus den Beruf eines Monteurs.
Im I. Weltkrieg wird er ernsthaft verletzt und gilt als Invalide. Matthäus gerät mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt, 1918 ist er in der Strafanstalt Amberg, 1924 verbringt er einige Wochen in der Strafanstalt Augsburg.
In der Inflationsphase oder kurz danach lernt er seine aus Häder bei Dinkelscherben stammende Frau Rosa, geb. Wiedemann kennen2 , die er am 20. Dezember 1924 heiratet. Mit ihr hat er drei Kinder: zwei Töchter, Elisabeth, geb. am 14.8.1925 und Rosa, geb. am 15.9.19263 ; der Name des dritten Kindes ist uns nicht bekannt.
Ende Juni 1927, also mit 41 Jahren wird Matthäus Merkle in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen.4 Spätestens im Februar 1928 ist er wieder in Augsburg nachweisbar. Wegen einer Suchtkrankheit kommt Matthäus vom Juni 1929 bis September 1932 und dann wieder vom Mai bis September 1933 in die Kaufbeurer Anstalt5 . Er ist bis Oktober 1935 mit Unterbrechungen in der Jesuitengasse gemeldet6 .
Am 5. August 1930 wird Matthäus vom Amtsgericht Augsburg entmündigt, die Gründe hierfür dürfte seine Suchterkrankung gewesen sein.7 Die Ehe mit Rosa wird am 17. Januar 1934 vom Landgericht Augsburg „aus Verschulden des Ehemanns“ geschieden.
Mittlerweile hatte die Bayerische Politische Polizei, Bezirksamt Deggendorf Matthäus am 21.11.1933 in Schutzhaft genommen und ihn ins KZ Dachau überstellt.8 Hatte sich Matthäus Merkle in Deggendorf politisch gegen den Nationalsozialismus positioniert? Dafür spricht, dass er bei seinen KZ-Aufenthalten und den uns zugänglichen Listen als „Schutzhäftling“ bzw. „Sch 2x KL“ (Schutzhäftling 2x im KZ) bezeichnet wird, nicht als AZR (Arbeitszwang Reich) bzw. ASO („Asozial“) oder BV („Berufsverbrecher“). Das könnte auf eine Inhaftierung aus politischen Gründen hinweisen. Aber wir haben keine Gewissheit. Eine Inhaftierung zu einem solch frühen Zeitpunkt aus anderen „ordnungspolitischen“ Motiven ist durchaus ebenfalls denkbar und in diesem Fall sogar wahrscheinlicher (Inhaftierung von Arbeitslosen, Wohlfartsempfängern, Kleinkriminellen, vermeintlichen „Asozialen“, Alkoholikern usw.). Im Jahresverlauf 1933 sanktionierte eine Reihe von Gerichtsentscheidungen die breite Auslegung der Schutzhaft. Ab 7. November 1934 ist Merkle jedenfalls wieder in Augsburg, Pfärrle10 gemeldet, ab Mitte Dezember 1934 wieder in der Jesuitengasse 28.9
Seine weiteren Aufenthalte im KZ kennen wir allerdings. Die KZ Lagerleitung Dachau führt eine eigene Liste der Häftlinge, die bereits „zum 2. Mal oder häufiger im KZ Dachau“ arretiert wurden.10
Am 17. Februar 1942 kommt Matthäus Merkle mit einem sog. „Invalidentransport“ mit weiteren 59 Häftlingen der Buchstaben L-M in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz und wird dort mit Gas ermordet.12 Nach Einstellung der Krankenmorde der Aktion T4 im August 194113 werden im Rahmen der Aktion 14f1314 nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge zu ihrer Ermordung nach Hartheim bei Linz gebracht und meist am gleichen Tag durch Gas ermordet.15
Vom 3. bis 7. September 1941 begutachteten Prof. Hermann Nitsche, Prof. Werner Heyde, Dr. Theodor Steinmeyer, Dr. Rudolf Lonauer und andere rund 2.000 Häftlinge im KZ Dachau. Für kranke und invalide Häftlinge gab es in Dachau ein eigenes Invalidenlager.16
Im Verlauf der „Sonderbehandlung 14f13“ wurden Häftlinge auch unabhängig von der T4 Gutachtergruppe selektiert.
Kranke und arbeitsunfähige Gefangene wurden direkt aus den Revieren und Blocks zusammengeholt und in ein Ärztezimmer geführt. Die Häftlinge wurden aber nicht untersucht, sondern die Selektion wurde rein nach ihrem Aussehen vorgenommen.
Im Januar 1942 erfolgte der erste Invalidentransport nach Hartheim. Matthäus Merkle wird am 17.2.1942 mit der „ersten Welle“ bei einem der 15 Transporte nach Hartheim verbracht.
Die Häftlinge mussten sich im Häftlingsbad ausziehen, ihre Krücken, Prothesen, Brillen und Kleider ablegen und wurden mit alter Kleidung ausgestattet. Anschließend wurden diese Häftlinge auf LKWs verladen und nach Hartheim abtransportiert.17
Die erste der 5 Wellen (15.1.-3.3.42) umfasste 15 Transporte mit 1452 Häftlingen, die zweite (4.5.-11.6.42) sechs Transporte mit 561 Häftlingen, die dritte (10.8.-12.8.42) zwei Transporte mit 181 Häftlingen, die vierte (7.10. – 14.10.42) drei Transporte mit 330 Häftlingen, die fünfte (27.11.-8.12.42) sechs Transporte mit 69 Häftlingen.
Den Verwandten wird mitgeteilt, dass Matthäus Merkle am 26. April 1942 in Dachau an „Versagen von Herz- und Kreislauf bei Darmkatarrh“ verstorben sei.18 Todesursache und Todeszeitpunkt sind frei erfunden, um die wahren Umstände der sogenannten „Invalidentransporte“ und die Morde an den Häftlingen zu vertuschen.
Matthäus Merkles Todestag ist der 17. Februar 1942. Seine sterblichen Überreste sind auf dem Westfriedhof in Augsburg beigesetzt.19
© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD Gegen Vergessen-Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben
2020, ergänzt 2023
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekartei II (MK II):
– Matthäus Merkle
Archiv BKH Kaufbeuren
Merkle Matthäus Patientennr. 7784
ITS Bad Arolsen
– Matthäus Merkle
Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, 2. Auflage, Linz 2008.
Astrid Ley, Vom Krankenmord zum Genozid. Die „Aktion 14f13“ in den Konzentrationslagern, in: Dachauer Hefte, 25 (2009), S. 36–49.
Wolfgang Neugebauer, Die „Aktion T4“, in: Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, 2. Auflage, Linz 2008, S. 17-34.
Florian Schwanninger, „Wenn du nicht arbeiten kannst, schicken wir dich zum Vergasen.“ Die „Sonderbehandlung 14f13“ im Schloss Hartheim 1941–1944, in: Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, 2. Auflage, Linz 2008, S. 155-208.