Augsburg, Sebastianstraße 33
Augsburg, Branderstraße 8
Augsburg, Laugingerstraße 3
Augsburg, Zimmermannstraße 12
Augsburg, Pfärrle 10
Augsburg, Schützenstraße 12
Augsburg, Sebastianstraße 33/III
Augsburg, Branderstraße 8
Augsburg, Sebastianstraße 33/III
Augsburg, Laugingerstraße 3/III bei Stapf
Augsburg, Sebastianstraße 33/3
Augsburg, Zimmermannstraße 12/Wiedemann
Augsburg,Sebastianstraße 33 Eltern
Augsburg, Pfärrle 10
Augsburg, Sebastianstraße 33
Augsburg, Brandnerstraße 21/0 bei Sammüller von Dachau
Augsburg, Sebastianstraße 33
Augsburg, Schützenstraße 12/2 Eltern
KZ Dachau
Johann Schweymaier ist am 12. September 1902 in Augsburg geboren.1 Er ist das einzige Kind des Schlossers Adolf und seiner Ehefrau Amalie Schweymaier, geb. Gruber.2
Über seine schulische Laufbahn und seinen beruflichen Werdegang wissen wir so gut wie nichts. Er ist Eisendreher von Beruf und als solcher bereits als 13-jähriger in Illesheim und in Pfaffenhofen/Ilm, Gemeinde Westerndorf als Lehrling gemeldet.3
Von Januar 1917 bis August 1920 ist er wieder bei seinen Eltern in Augsburg, Reischlestraße 32 wohnhaft. Mit ihnen zieht er im Herbst 1920 in die Sebastianstraße 33.4 Im März 21 ist er in der Wolfzahnstraße 19, dann bis zum Mai 1922 in der Inneren Uferstraße 19 nachweisbar.
Johann ist der typische Wanderarbeiter, der infolge einer unzureichenden Ausbildung in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gezwungen ist, seine Arbeitskraft an verschiedensten Orten anzubieten. Es kann nur am Rande erwähnt werden, dass sich die Belastungen des Versailler Vertrags, Verschuldung des Reiches, die inflationäre Entwicklung, die Demobilisierung, die instabile Lage mit zahlreichen Regierungswechseln sowie die zunehmende Radikalisierung extrem ungünstig auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der Weimarer Republik bis 1923 ausgewirkt haben.5
Seit dem Kaiserreich betrachten die Behörden das Wandern zwecks Arbeitssuche zunehmend als überflüssig. Die Behörden stilisieren „sinnlos erscheinendes“ Wandern „systematisch zur asozialen und krankhaften Eigenschaft der Betroffenen“6 und stigmatisieren diese Personen entsprechend.
Seit dem Ende der 1920-er Jahre werden die Landstraßen des Deutschen Reiches von Facharbeitern, ungelernten Arbeitern, kleineren Angestellten und einer wachsenden Zahl von Jugendlichen bevölkert, die aufgrund von Massenarbeitslosigkeit ihre Beschäftigung verloren haben bzw. keinen Ausbildungsplatz finden. Um zu überleben, nehmen diese Menschen Gelegenheitsarbeiten an, betteln oder schlagen sich mit Hausieren, Musizieren, manchmal auch mit Betrügereien und kleinkriminellen Delikten wie Essensdiebstählen und Zechbetrug durch.7
In der Zeit vom Juni 1922 bis zum März 1924 wird Johann insgesamt 6-mal wegen Bettels und Landstreicherei verhaftet.8 Er verbüßt eine geringfügige Haftstrafe im Strafgefängnis in Landshut, als unliebsame Person wird er im Januar 1924 aus Ingolstadt und Umgebung für zwei Jahre ausgewiesen.
Ab dem 9. Juni 1924 verbüßt Johann in Landsberg am Lech eine 9-monatige Gefängnisstrafe wegen Raubes ab und wird von dort im Januar 1925 entlassen.9 Seine Tat soll nicht entschuldigt werden, allerdings ist zu berücksichtigen, dass es für einfache Arbeiter angesichts der politischen und sozialen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit ungemein schwierig war, sich über Wasser zu halten.
Aus dem Gefängnis kommend, wohnt er zeitweise wieder bei seinen Eltern in der Sebastianstraße 33, wird im August in Kaufbeuren vom Amtsgericht wegen Diebstahls angeklagt, im Oktober 1925 von der Polizeidirektion Stuttgart verhaftet, im Dezember 1926 kommt er in Saarburg wegen Bettels für 1 Tag ins Gefängnis, 1927 verbüßt er in Frankfurt eine 4-monatige Strafe ab.10
Ab Juni 1928 begibt er sich für 3 Jahre auf Wanderschaft, wohnt dann im Januar 1931 kurzfristig bei seinen Eltern, ehe er vom 7. Juli bis Ende November 1931 eine 4 ½ monatige Haftstrafe im Katzenstadel verbüßt.11
Unmittelbar nach der Machtübernahme gehen die Nationalsozialisten gegen Kleinkriminelle, Obdachlose, Wanderarbeiter, Alkoholiker, Bettler sofort erbarmungslos vor. Sie gelten als sog. „Asoziale“ und „Gewohnheitsverbrecher“, gegen welche sie ab 24. November 1933 „Maßnahmen der Sicherung und Besserung“ ins deutsche Strafrecht einführen.12 Die Novelle wird unter § 42e in das RStGB eingefügt.13 Indem das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ die Sicherungsverwahrung in letzter Instanz der Abwägung der „Gefährlichkeit“ nach „Gesamtwürdigung“ der Taten“ den Richtern anheimstellt, obliegt sie de facto in deren subjektiven Ermessen.
Im Prinzip konnte jeder, der von den sozialen Normen der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ abwich, als „Asozialer“ ins Konzentrationslager deportiert werden. Die große Mehrheit der Häftlinge fiel unter eine der oben genannten Gruppen. In den Konzentrationslagern kennzeichnete die SS die „Asozialen“ mit einem schwarzen Winkel auf der Häftlingskleidung.14
Gemäß dem am 24.11.1933 erlassenen „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“15
konnten rückfällige Straftäter, d.h. zweimal rechtskräftig verurteilte Personen bei einer dritten Straftat in Sicherungsverwahrung genommen werden, sofern der Delinquent als Gewohnheitsverbrecher taxiert wurde16
und dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit notwendig erschien. Damit konnten die Strafen von rückfälligen Straftätern über Gebühr verlängert werden. Ab 1941 war sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich.17
Am 18. September 1942 verständigten sich schließlich der Reichsführer SS, Heinrich Himmler mit dem Reichsjustizminister Otto Alfred Thierack auf die folgende Vorgehensweise:
„Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. … Es besteht Übereinstimmung darüber, dass … in Zukunft Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von ordentlichen Gerichten, soweit es sich um Strafsachen handelt, abgeurteilt werden sollen, sondern durch den Reichsführer SS erledigt werden.“[1] Die Zuführung der Sicherungsverwahrten in die Konzentrationslager und ihre „Vernichtung durch Arbeit“ war durch diese Entscheidung eingeleitet und legitimiert.
Johann Schweymaier gerät wegen wiederholter trivialer Vergehen in den Fokus der Staatspolizeileitstelle München und der NS-Strafjustiz.
Er wird am 17. April 1934 erstmals ins KZ Dachau als Polizeihäftling eingewiesen und verbleibt dort bis zum 18. Februar 1935.
Aber er ist kaum 2 Monate wieder in Augsburg, da gerät er ab 12. April 1935 erneut als Polizeihäftling (PH) in „Schutzhaft". Johann verbringt genau 3 Jahre ununterbrochen im KZ Dachau. Vom 30.11.36 bis 24.12.36 ist er im Krankenhaus Schwabing, den medizinischen Grund hierfür kennen wir allerdings nicht.18 Am 20.4.39, nach einer Amnestie anlässlich des „Führergeburtstages“ darf Johann wieder nach Augsburg zurück.19
Er wohnt wiederum bei seinen Eltern, die mittlerweile in die Schützenstraße 12/2 umgezogen sind.20
Aber das NS-Terrorregime erweist sich als unerbittlich. Am 16. August 1939 wird Johann erneut ins KZ Dachau eingewiesen.
Nur 4 Monate später verstirbt Johann Schweymaier am 18. Dezember 1939 als Häftling Nr. 34864 im KZ Dachau.21 Der Totenschein konstatiert als Todesursache akute Herz- und Kreislaufschwäche infolge einer doppelseitiger Unterlappen- Lungenentzündung.22
Auf der untersten Stufe der Häftlingshierarchie dadurch, dass sie in der Hierarchie der Häftlinge den untersten Platz einnahmen. Sowohl Lagerpersonal wie auch Mitgefangene begegneten ihnen mit der gleichen Voreingenommenheit und Ablehnung, die ihnen auch in der Gesamtgesellschaft entgegengebracht wurde: „‚Asoziale‘ galten als unzuverlässig und unsolidarisch, die vielfach von Hass, Eifersucht und Missgunst geprägt waren und durch gegenseitige Verleumdungen und Beschimpfungen den ohnehin harten Lageralltag noch erschwerten.23
Die Vorbeugehaft hat als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht zu gelten, denn weder war der Freiheitsentzug richterlich angeordnet, noch zeitlich befristet noch durch Rechtsmittel anfechtbar noch an das Begehen einer konkreten Straftat gebunden, also an Kriterien, die heute für einen Rechtsstaat verbindlich sind.24
Bei den sog. „Asozialen“ genügte „gemeinschaftsschädigendes“ Verhalten für eine Sicherungsverwahrung aus. Für eine Klassifizierung als „Berufsverbrecher“ wiederum waren allein die Vorstrafen ausschlaggebend. Zum Zeitpunkt der Verhängung der „Vorbeugungshaft“ hatten diese vermeintlichen „Berufsverbrecher“ ihre Strafen bereits verbüßt. Gemessen an rechtsstaatlichen Maßstäben waren sie rehabilitiert. Dennoch kamen sie ins Konzentrationslager.
Am 26. März 1969, also fast 30 Jahre nach dem Tod von Johann Schweymaier wird von der Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Mordes an 23 Personen im KZ Dachau eingeleitet, darunter an Johann Schweymaier. Aus diesem Grund holt die Staatsanwaltschaft in Bad Arolsen beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes Informationen ein.25
Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ist nicht bekannt, aller Wahrscheinlichkeit wurde es wegen Aussichtslosigkeit eingestellt.26 Von besonderem Interesse war der Staatsanwaltschaft die Religionszugehörigkeit der Ermordeten.27
Fazit: Johann Schweymaier wurde zum Teil Opfer der sozialen und politischen Umstände der Weimarer Republik und definitiv Opfer der Ideologie und der rigiden Ordnungsvorstellungen des NS-Terrorregimes. Er wurde wegen geringfügiger, trivialer Vergehen immer wieder inhaftiert und als mehrfach vorbestrafter Häftling schließlich ermordet.
Erst am 13. Februar 2020 wurden die berechtigten Ansprüche der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ vom Deutschen Bundestag allgemein anerkannt.28 Seit 1988 wurden gerade einmal 330 Entschädigungsanträge von Angehörigen dieser Opfergruppe eingereicht. Die Scham und Stigmatisierung dieser Opfergruppe war auch in der Nachkriegszeit geschichtswirksam.
Endlich soll Aufklärung und Forschung zum Thema der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ intensiviert und Anerkennung für enormes Leid in die Tat umgesetzt werden. Zudem soll eine Wanderausstellung in Gedenkstätten gezeigt werden.
"Niemand saß zurecht im KZ", sagt die Sozialdemokratin Marianne Schieder MdB mit großem Nachdruck.29
Die Anerkennung der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer, ihre volle Rehabilitierung, ist ein emphatisches Bekenntnis zu den Prinzipien des Rechtsstaates. Als solches kann und sollte sie auch öffentlich und in der Bildungsarbeit vermittelt werden, denn „Verbrechen, auch begangen an Verbrechern, sind Verbrechen!“30
© StD Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen-Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben bernhard.lehmann@gmx.de
2021
ITS Bad Arolsen
– 1.1.6.2./10296859 Individuelle Unterlagen des KZ Dachau
– 6.3.3.5/105613388 Korrespondenz File 209/656
– Korrespondenz file 209/656; AZ U 13 Js 13/67
– Korrespondenz T/D 973345: Dokumentenauszug an die Staatsanwaltschaft beim LG München 2
– 1.1.6.1./9920242: Listen über Entlassungen aus dem KZ Dachau 1934-1945
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Adolf Schweymaier
Meldekartei (MK):
– Johann Schweymaier
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Arbeitslosigkeit_(Weimarer_Republik)
file:///C:/ZS_KM%2015.5.19%20Dst/Asoziale/Haftarten_dt_final_aroa.pdf
https://www.spdfraktion.de/themen/ns-opfer-anerkennung-so-genannte-asoziale-berufsverbrecher