Augsburg, Hindenburgstraße 66
Augsburg, Schertlinstraße 6 E23
Augsburg, Schertlinstraße 8e l /84
Ab 13.3.1937 KZ Dachau
Ab 16.5.1938 KZ Flossenbürg
Ab 18.7.1942 KZ Ravensbrück
Ab 3.11.1942 KZ Dachau
Johann Satzinger wird am 17. Januar 1892 in der Gemeinde Amsham, Tabor, BA Pfarrkirchen geboren. Sein Vater ist der Maurer Ignaz, seine Mutter Kreszenz Satzinger, geb. Hilger aus Egglham.1
Johann absolviert die Volksschule. Ob er eine weiterführende Ausbildung genossen hat, wissen wir nicht. In Augsburg ist er seit Frühjahr 1918 als Fabrikarbeiter nachweisbar.2
Am 5. Oktober 1918, kurz vor Kriegsende heiratet er mit 26 ½ Jahren die aus Schöllnach in Niederbayern stammende, um 2 Jahre ältere Witwe Katharina Hafner, geb. Bauer.3 Sie bringt zwei Töchter mit in die Ehe, Regina und Katharina.4 .
8 Tage nach ihrer Heirat kommt ihre erste gemeinsame Tochter Kreszenz zur Welt.5 Einen Monat später ist der 1. Weltkrieg zu Ende. Johann Satzinger wohnt mit seiner Ehefrau und den Kindern in der Hindenburgstraße 666
In die Zeit zwischen 1920 und 1923 fallen mehrere Straftaten Johanns. Sie sollten im Kontext der krisenhaften politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Weimarer Republik (Lasten des Versailler Vertrages, Gebietsabtretungen, Reparationszahlungen, Hochinflation, hohe Arbeitslosigkeit) gesehen werden, ohne die Straftaten exkulpieren zu wollen.7
Aller Wahrscheinlichkeit hatte Johann wie Millionen von Arbeitern immense Probleme, eine dauerhafte Beschäftigung zu finden.
Am 31.3.1920 wird er wegen Diebstahls verhaftet, im August des gleichen Jahres kommt er wegen „Schleichhandels“ bis zum 15. März 1921 für 8 Monate hinter Gitter, vom 25. April bis zum 6. Juni 1921 sitzt er eine 6-wöchige Gefängnisstrafe wegen „Hausfriedensbruch“ ab. Die Motive und genaueren Umstände hierfür sind uns unbekannt. Jedenfalls werden die Kinder aus erster Ehe, Regina und Katharina nach Kallmünz ins Kinderhaus verbracht.8
Vom 8. März 1922 bis zum 22. Mai 1923 verbüßt Johann eine 15-monatige Gefängnisstrafe im Gefängnis Laufen wegen Körperverletzung. Auch hier tappen wir wegen seiner Motive im Dunkeln.
Am 16. August 1927 wird Johanns erster Sohn geboren. Er erhält den Namen des Vaters. 3 Jahre später kommt am 2. Oktober 1930 Theresia zur Welt. Seit 1927 wohnt die Familie in der Schertlinstraße 6 E23.9 Die Adressen Schertlinstraße 6e 23 und 8e 84 waren Teil des damaligen „Schertlinhofes“.
Dies war ein Wohnviertel von Städtischer als auch Reichsbahn-Baugenossenschaft gebauten Massenunterkünften für „Geringverdiener“. Dort wohnten Invaliden, Witwen, Hilfsarbeiter, Weichensteller, Weber etc. Der Zugang zum Schertlinhof muss in etwa zwischen den heute bestehenden Adressen Schertlinstraße 6 bis 8 gewesen sein, etwas zurückversetzt.10
Wir müssen davon ausgehen, dass Johann noch weitere Straftaten begangen hat, denn er gerät ab 1937 in das Visier der Nazis.
Gegen Kleinkriminelle, Obdachlose, Wanderarbeiter, Alkoholiker, Bettler gehen die Nationalsozialisten von Anfang an erbarmungslos vor. Sie gelten als sog. „Asoziale“ und „Gewohnheitsverbrecher“, gegen welche sie ab 24. November 1933 „Maßnahmen der Sicherung und Besserung“ ins deutsche Strafrecht einführen.11 Die Novelle wird unter § 42e in das RStGB eingefügt.12
Neben der dort verankerten „Sicherheitsverwahrung“ sind jetzt die Zwangsunterbringung in Heil-und Pflegeanstalten, Trinkerheilanstalten, Entziehungsanstalten und Arbeitshäusern, die Untersagung der Berufsausbildung, die Reichsverweisung und die „Entmannung“ „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“ möglich.13
Fortan können die Gerichte Angeklagte, die sie nach § 351 RStGB wegen Bettelei, Landstreicherei, Verwahrlosung, „Arbeitsscheu“, Obdachlosigkeit oder Prostitution verurteilt haben, im Anschluss an die Strafhaft direkt in ein Arbeitshaus einweisen, um die Betroffenen „zur Arbeit anzuhalten und an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen.“14
Indem das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ die Sicherheitsverwahrung in letzter Instanz der Abwägung der „Gefährlichkeit“ nach „Gesamtwürdigung“ der Taten“ den Richtern anheimstellt, liegt sie de facto in deren subjektiven Ermessen.
Vor diesem Hintergrund muss die Einweisung Johann Satzingers in die verschiedenen KZ gesehen werden. Seine Zwangsaufenthalte im KZ Dachau, Flossenbürg und Ravensbrück dienten der Brechung seiner Persönlichkeit und der Vernichtung durch Arbeit.
Ab 13.3.1937 KZ Dachau als Häftl.nr. 11902
ab 16.5.1938 KZ Flossenbürg als Häftl.nr. 174
ab 18.7.1942 KZ Ravensbrück als Häftl.nr. 2452
ab 3.11.1942 KZ Dachau als Häftl.nr. 38506
Johann Satzinger wird am 13. März 1937 als Neuzugang der Kategorie PSV (Polizeiliche Sicherungsverwahrung) mit der Nr. 11902 ins KZ Dachau eingewiesen.15 Er wird im Block 8 untergebracht, gilt als BV (Berufsverbrecher) und muss den grünen Winkel tragen.16
Gemäß dem am 24.11.1933 erlassenen „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“17 konnten rückfällige Straftäter, d.h. zweimal rechtskräftig verurteilte Personen bei einer dritten Straftat in Sicherungsverwahrung genommen werden, sofern der Delinquent als Gewohnheitsverbrecher taxiert wurde.18 und dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit notwendig erschien. Damit konnten die Strafen von rückfälligen Straftätern über Gebühr verlängert werden. Ab 1941 war sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich.19
Die Vorbeugehaft hat als spezifisch Nationalsozialistisches Unrecht zu gelten, denn weder war der Freiheitsentzug richterlich angeordnet, noch zeitlich befristet noch durch Rechtsmittel anfechtbar noch an das Begehen einer konkreten Straftat gebunden, also an Kriterien, die heute für einen Rechtsstaat verbindlich sind.20
Bei den sog. „Asozialen“ genügte „gemeinschaftsschädigendes“ Verhalten für eine Sicherungsverwahrung aus. Für eine Klassifizierung als „Berufsverbrecher“ wiederum waren allein die Vorstrafen ausschlaggebend. Zum Zeitpunkt der Verhängung der „Vorbeugungshaft“ hatten diese vermeintlichen „Berufsverbrecher“ ihre Strafen bereits verbüßt. Gemessen an rechtsstaatlichen Maßstäben waren sie rehabilitiert. Dennoch kamen sie ins Konzentrationslager.
Unterschiedliche Verhaltensdispositionen, regionale und soziale Herkunft, Charakter, Mentalität, Weltanschauung etc. verstärkte die bereits vor der Verhaftung bestehende Isolation der Betroffenen. Die Herausbildung einer gemeinsamen Gruppen-Identität und ein gemeinschaftliches Handeln der Gruppenmitglieder waren unter diesen Umständen kaum möglich. Deshalb waren die „Asozialen“ ungleich weniger als andere Häftlingsgruppen in der Lage, in ihrer Gruppe gemeinsame Strategien für den Überlebenskampf in den Lagern zu entwickeln.21
Zusätzlich erschwert wurde das Lagerleben für die „Asozialen“ noch dadurch, dass sie in der Hierarchie der Häftlinge den untersten Platz einnahmen. Sowohl Lagerpersonal wie auch Mitgefangene begegneten ihnen mit der gleichen Voreingenommenheit und Ablehnung, die ihnen auch in der Gesamtgesellschaft entgegengebracht wurde: „‚Asoziale‘ galten als unzuverlässig und unsolidarisch, die vielfach von Hass, Eifersucht und Missgunst geprägt waren und durch gegenseitige Verleumdungen und Beschimpfungen den ohnehin harten Lageralltag noch erschwerten.22
Wir haben Belege für Johann Satzingers Zwangsinternierung im KZ Flossenbürg vom 16. Mai 1938 bis zum 18.7.1942.23
Der Arbeitskräftebedarf gab hierfür den Ausschlag. Es ist bemerkenswert, dass er diesen Einsatz überlebt hat. Die SS als Profiteur der Häftlingszwangsarbeit ließ dort Granit abbauen.24 Das KZ war im Mai 1938 gegründet worden. Johann Satzinger war einer der ersten Häftlinge, der dort zum Einsatz kam, er hat die Häftlingsnummer 174.
Im Steinbruch der Deutschen Erd- und Steinwerke (DESt) arbeiteten die Häftlinge ohne Sicherheitsvorkehrungen. Sie mussten bei jedem Wetter Erde abtragen, Granitblöcke absprengen, Loren schieben und Steine schleppen. Unfälle waren an der Tagesordnung. Kälte, harte Arbeit, völlige unzureichende Ernährung und willkürliche Gewaltanwendung von SS-Männern und Kapos führten zum Tod vieler Häftlinge.25 Vier Jahre härtester Arbeit haben Johann völlig ausgelaugt. Die Schikanen der SS-Verbände haben seinen Charakter gebrochen.
Am 18. Juli 1942 wird er nach mehr als 4 Jahren Zwangsarbeit in Flossenbürg ins KZ Ravensbrück überstellt.26 Er wird als Häftling der Kategorie BV unter der Nr. 2452 geführt. Er hat eine Mütze, einen Mantel, eine Hose, eine Weste, zwei Hemden, 2 Paar Socken, 1 Paar Handschuhe und zwei Bilder mit sich, die für ihn in der Effektenkammer verwaltet werden.27
Die Konzentrationslager waren jedweder Kontrolle durch die Judikative entzogen. Es herrschten Terror und Willkür. Gesundheit, Leben und Überleben der Häftlinge lagen in der alleinigen Verfügungsgewalt der SS. Jedem, der ins Konzentrationslager kam, ist allein durch die Tatsache seiner dortigen Inhaftierung Unrecht geschehen.
Am 3. November 1942 kommt Johann Satzinger als Häftling Nr. 38506 zurück ins KZ Dachau.28 Es verwundert nicht, dass er bereits nach 2 Monaten ins Krankenrevier kommt.29
3 ½ Monate nach der Rückführung nach Dachau ist Johann Satzinger tot.30 Der Leichenschauschein attestiert „Versagen von Herz und Kreislauf bei Unterleibstyphus“31 . Er verstarb auf Block 13, der Typhusbaracke.32
Der Mitgefangene Edgar Kupfer-Koberwitz vermerkt in seinen „Dachauer Tagebücher“ für den 20. Februar 1943:
„Wir erfahren jetzt nur selten etwas vom Lager, – heute jedoch kam die Nachricht, dass Scharlach und Masern im Lager ausgebrochen sein sollen. – Am vorgestrigen Tage sind 20 Scharlachfälle ins Revier geliefert worden. … Außerdem sind am gleichen Tage 10 Fälle Typhus eingeliefert worden, mit positivem Befund. – Also, die Epidemie ist noch nicht zu Ende.“33
Offensichtlich wurde Johann Satzinger eines der zahllosen Opfer der Typhusepidemie im Lager. Die sterblichen Überreste wurden verbrannt. Die Urne wurde auf dem Augsburger Westfriedhof auf dem Gräberfeld Nr. 29, Reihe 15, Nr. 275 bestattet.34
Die Witwe Katharina Satzinger stellte gemeinsam mit ihren 5 Kindern am 8. Januar 1950 bei der Landesentschädigungsanstalt (LEA) einen Antrag auf Entschädigung „wegen Schadens an Leben und Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen“.35
Am 28. Juli 1955 erhielt sie und ihre Kinder den folgenden Entscheid:
„Das BLEA ist zur Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche zuständig, da der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes seinen Wohnsitz in Augsburg hatte (§ 89 Abs.2a) Die geltend gemachten Ansprüche wegen Schadens an Leben und wegen Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen sind nicht begründet.
Nach § 1 Abs. 1 BEG hat Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz, war unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt wurde und dadurch u.a. Schaden an Leben und im wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat.
Auf Grund der vorliegenden amtlichen Unterlagen steht fest, dass der Verstorbene wegen seines sozialen Verhaltens am 13.3.1937 in polizeiliche Sicherungsverwahrung genommen und in das KZ Dachau eingewiesen wurde, nicht aber aus einem der in § 1 BEG angeführten Gründe.
Die geltend gemachten Ansprüche waren daher wegen Fehlens eines Zusammenhangs mit etwaigen Verfolgungsmaßnahmen nach § 1 BEG – ohne Überprüfung weiterer Anspruchsvoraussetzungen – in vollem Umfange abzulehnen."
München, den 28.7.1955 Vizepräsident; Sachgebietsleiter Dr. Dr. Klein; Eisenmann, Sachbearbeiter36
Es ist signifikant für die Rechtsprechung unmittelbar nach dem Krieg, dass weder der 5-jährige KZ-Aufenthalt inklusive gnadenloser Ausbeutung der Arbeitskraft, Demütigungen und körperlichen Misshandlungen ebenso wenig als Entschädigungsgrund angesehen wurde wie seine letztendliche Ermordung im KZ.
Erst am 13. Februar 2020 wurden die berechtigten Ansprüche der sog. „Asozialen“ bzw. der sog. „Berufsverbrecher“ vom Deutschen Bundestag allgemein anerkannt.37 Seit 1988 wurden gerade einmal 330 Entschädigungsanträge von Angehörigen dieser Opfergruppe eingereicht. Die Scham und Stigmatisierung dieser Opfergruppe war auch in der Nachkriegszeit geschichtswirksam.
Endlich soll Aufklärung und Forschung zum Thema der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ intensiviert und Anerkennung für enormes Leid in die Tat umgesetzt werden. Zudem soll eine Wanderausstellung in Gedenkstätten gezeigt werden.
"Niemand saß zurecht im KZ", sagt die Sozialdemokratin Marianne Schieder MdB mit großem Nachdruck.38
Die Anerkennung der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer, ihre volle Rehabilitierung, ist ein emphatisches Bekenntnis zu den Prinzipien des Rechtsstaates. Als solches kann und sollte sie auch öffentlich und in der Bildungsarbeit vermittelt werden, denn „Verbrechen, auch begangen an Verbrechern, sind Verbrechen!“39
© Biografie erstellt von StD Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen – Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben, alle Rechte vorbehalten
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)
Landesentschädigungsamt (LEA):
– 31626 Satzinger Johann
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Johann Satzinger
ITS Bad Arolsen
– Dokumente Satzinger Johann
Dokument 654-PS abgedruckt bei IMT: Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher…, fotomech. Nachdruck München 1989, Dokumente Bd. 26
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
Wolfgang Ayaß, Schwarze und grüne Winkel. Die nationalsozialistische Verfolgung von „Asozialen“ und „Kriminellen“ — ein Überblick über die Forschungsgeschichte, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.), Ausgegrenzt. „Asoziale“ und „Kriminelle“ im nationalsozialistischen Lagersystem, Bremen 2009, S. 16-30.
Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 1988.
Julia Hörath, Rechtshistorische Grundlagen der KZ-Haft von sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“. Ein Überblick. Schriftliche Stellungnahme zur 36. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages, am 6. November 2019.
KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.), Editorial, in: Ausgegrenzt. „Asoziale“ und „Kriminelle“ im national-sozialistischen Lagersystem. Bremen 2009, S. 7-15.
Christa Schikorra, Schwarze Winkel im KZ. Die Haftgruppe der „Asozialen“ in der Häftlingsgemeinschaft, in: Dietmar Sedlaczek, u.a. (Hg.), „minderwertig“ und „asozial“. Stationen der Verfolgung gesellschaftlicher Außenseiter, Zürich 2005, S. 116-119.
Nikolaus Wachsmann, Hitler’s Prisons. Legal Terror in Nazi Germany, New Haven/London 2004.