Maria Pfaffenzeller

Geboren:
22.01.1883, Augsburg
Gestorben:
05.06.1941, Hartheim bei Linz

Wohnorte

Augsburg, Stadtbachquartier 7
Augsburg, Stadtbachquartier 24
Augsburg, Stadtbachquartier 35 (Reischlestraße 31)

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee

Tötungsanstalt Hartheim bei Linz
„Aktion T4“

Erinnerungszeichen

Für Maria Pfaffenzeller wurde am 4. November 2019 in der Reischlestraße 31 ein Stolperstein verlegt.

Biografie

Maria Pfaffenzeller, geb. 22. Januar 1883, ermordet in Hartheim am 5. Juni 1941, Opfer der Aktion T41

Maria Pfaffenzeller wird am 22.1.1883 in Augsburg als 6. Kind der Eheleute Michael und Adelheid Pfaffenzeller geboren.2 Die beiden hatten am 6. April 1875 ihre Hochzeit gefeiert.3

Von den insgesamt 10 Kindern versterben 8 im Kindesalter. Seit Beginn ihrer Ehe wohnt die Familie Pfaffenzeller im Stadtbachquartier in verschiedenen Unterkünften.4 Der in der Baumwollspinnerei am Stadtbach tätige Fabrikarbeiter Michael Pfaffenzeller verstirbt 1893 im Alter von 41 Jahren an Lungentuberkulose5 , von den Kindern überleben nur die erstgeborene Tochter Theresia, geb. am 14.10.1874 und Maria Pfaffenzeller ihren Vater. Theresia überlebt ihren Vater nur um 2 Jahre.6

Mangelnde Hygiene, schlechte ärztliche Vorsorge sowie Unterernährung dürften die Gründe für den frühen Tod der Kinder gewesen sein. Michaels Wochenlohn war überaus niedrig.7

Es muss deprimierend für die Mutter Adelheid gewesen sein, dass sie nach dem Tod ihres Mannes fast ganz alleine dasteht. Die von Geburt an geistig behinderte Maria muss am 13.5.1894 im Alter von 11 Jahren in die Anstalt nach Ursberg, nachdem 14 Tage vorher auch noch die jüngste Tochter Johanna verstorben ist.8 Die Mutter muss ab sofort einem Broterwerb nachgehen und kann sich nicht mehr um ihre kranke Tochter kümmern. Die Kosten für die Unterbringung übernimmt der Landesfürsorgeverband Schwaben.9

Der Fragebogen zur ärztlichen Untersuchung des körperlichen und geistigen Zustandes der 18-jährigen Maria vom 13.1.1901 in Ursberg stellt fest, Maria sei etwas eigensinnig, aber ruhig, gesellig und anhänglich. Schule habe sie keine besucht. Der Grund der Überweisung ins Heim der St. Josefskongregation sei der Mangel einer passenden Erziehung in der Familie gewesen.10 Dr. Josef Sprengler, Praktischer Arzt in Augsburg erstellt am 13. Oktober 1902 zur Überprüfung des Gesundheitszustandes von Maria das folgende Gutachten: Maria leide an harmlosen Schwachsinn, die Ursache der Krankheit sei unbekannt, eine Besserung sei nicht abzusehen.11

Das Schicksal der gesamten Familie Pfaffenzeller muss angesichts der geschilderten Umstände, des Todes aller 9 Geschwister und ihres Vaters, als unfassbar tragisch angesehen werden. Das Schicksal der einzig überlebenden Tochter Maria ist es ebenfalls.

Bereits am 9.10.1939 werden vom Leiter der Abteilung IV des Reichsministerium des Inneren (RMdI), Leonardo Conti, die in Frage kommenden Heil- und Pflegeanstalten zur Benennung bestimmter Patienten mittels Meldebögen aufgefordert.12 In einem Merkblatt sind folgende Kriterien angegeben:

  • Schizophrenie, Epilepsie, Encephalitis, Schwachsinn, Paralyse, Chorea Huntington
  • Menschen mit seniler Demenz oder anderen neurologischen Endzuständen, wenn sie nicht oder nur noch mit mechanischen Arbeiten beschäftigt werden können
  • Menschen, die schon länger als fünf Jahre in der Anstalt sind
  • Kriminelle „Geisteskranke“
  • Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht artverwandten Blutes sind13

Diese Meldebögen werden über den zuständigen Referenten Herbert Linden im RMdI an die T-4 Zentrale weitergeleitet. Drei „Gutachter“ entscheiden aufgrund der Meldebögen, also nicht aufgrund eigener Untersuchungen über Tod oder Weiterleben der Patienten.14

Am 19.11.1940 wird Maria in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren überwiesen.

Seit Beginn der „Euthanasie-Aktion“, veranlasst durch den Leiter der Reichskanzlei. Philipp Bouhler und organisatorisch durchgeführt durch die Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße 415 erfolgt die massenhafte Verlegung von Patienten aus karitativen Anstalten wie Ursberg, Lautrach und Holzhausen nach Kaufbeuren. Diese Patienten werden vorwiegend zur Tötung nach Kaufbeuren-Irsee verbracht. Von dort erfolgt ab August 1940 die „Verlegung“ der ersten Patienten in die Vernichtungsanstalten Grafeneck und Hartheim und dort im Rahmen der sogenannten T-4 Aktionen deren Ermordung.16

Maria ist nur ein halbes Jahr in Kaufbeuren. Die Patientenakte ist dünn und liest sich wie folgt:

31.12.40:
„Immer sehr freundlich. Kommt bei jeder Visite entgegengelaufen. Spricht mit einer kindlichen, albernen Sprache. Bettelt meist um Heiligenbilder. – Kann nichts arbeiten.“
7.3.41:
„Während der körperlichen Untersuchung ist Pat. voller Angst. Sie lässt sich nicht in den Mund schauen und fürchtet die Perkussion. Aufdecken lässt sie sich erst, nachdem ihre Sorge, dass dies eine Sünde sei, beschwichtigt wurde.“
23.5.41:
„Pat. ist immer gut zu haben. Sie redet in ihrer ganz kindlichen Manier bei jeder Visite so ziemlich dieselben Worte: ‚Kleine Bildeln‘, und ‚Vergelts Gott‘. Sie meint die von ihr leidenschaftlich gesammelten Heiligenbilder, mit denen sie sich den ganzen Tag beschäftigt. …. Eine Unterhaltung ist mit ihr schon wegen ihrer Schwerhörigkeit nicht möglich. Pat. hört zwar nichts, aber sie kann, wenn man ihr Zeit läßt, doch allerhand erzählen. Man sieht Pat. nie traurig; sie lacht und grinst unablässig. W.“
*5.6.41:
„wird verlegt“ (in deutscher Schrift)*17

Gemeinsam mit 70 weiteren Frauen aus Kaufbeuren und Irsee18 wird Maria Pfaffenzeller am 5. Juni nach Schloß Hartheim verbracht. Darunter befinden sich viele Personen aus Augsburg.19 Dort werden die eingelieferten Menschen entkleidet, gemessen, gewogen, fotografiert und dann den Ärzten vorgeführt. Personendaten werden überprüft und auffallende Kennzeichen wie Operationsnarben vermerkt, die für die Erstellung der fingierten Todesursache von Bedeutung sein können. Die Gaskammern sind mit Brauseköpfen ausgestattet. Meist werden 30 und mehr Menschen zugleich vergast. Die Tötung erfolgt durch Kohlenmonoxydgas, das der Anstaltsarzt einströmen lässt. Die Zufuhr des Gases beträgt in der Regel 20 Minuten, sie wird eingestellt, wenn sich im Vergasungsraum keine Bewegung mehr feststellen lässt. In der Regel werden die Ermordeten in anstaltseigenen Krematorien verbrannt, die Goldkronen werden zuvor herausgebrochen. Das so gewonnene „Rohmaterial“ wird über die Zentraldienststelle T 4 an die Degussa geliefert und zu Feingold verarbeitet.20

Sterbeurkunde von Maria Pfaffenzeller. (Bundesarchiv Berlin)

Als sich Nachrichten über den Tod seiner behinderten Mündel häufen, meldet der Richter Lothar Kreyssig aus Brandenburg an der Havel seinen Verdacht Reichsjustizminister Franz Gürtner und erstattet schließlich Anzeige wegen Mordes gegen Reichsleiter Philipp Bouhler, den Verantwortlichen der T-4 Aktion. Anstatt verhaftet zu werden, wird der Richter aber lediglich in den Ruhestand versetzt.21 Er hat ein mutiges Zeichen gegen das Verschweigen und Vertuschen und Verdrängen gesetzt.22

Erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, StD a.D., 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53

Fußnoten
  1. Die „Aktion T4“ ist eine nach 1945 gebräuchlich gewordene Bezeichnung für die systematische Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland unter der Leitung der Zentraldienststelle Berlin, Tiergartenstraße 4: Zur Genese der T-4 Aktion: Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013, S. 42ff; Thomas Stöckle, Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen, 3. Auflage 2012, S. 73ff.
  2. StadtAA, MK I Michael Pfaffenzeller.
  3. StadtAA, MK I Michael Pfaffenzeller
  4. StadtAA, MK I Michael Pfaffenzeller. Stadtbachquartier 7, 24 und nach dem Tod von Michael zieht die Mutter ins Stadtbachquartier 35.
  5. Laut den Unterlagen des Bundesarchivs Berlin ist Maria am 22.1.1883 geboren[^Bundesarchiv Berlin R 179/Nr. 21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller.
  6. Theresia Pfaffenzeller verstirbt am 5.4.1896, StadtAA, MK I Michael Pfaffenzeller.
  7. StadtAA, MK I Michael Pfaffenzeller.
  8. Adelheid Pfaffenzeller verehelicht sich 1896 nach dem Tod der ältesten Tochter Theresia ein zweites Mal. Auskunft Stadtarchiv Augsburg, Georg Feuerer, e-mail vom 19.3.2019.
  9. BArch R 179/Nr. 21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller.
  10. BArch R 179/Nr. 21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller: Fragebogen der St. Josefskongregation Ursberg, Station Thannhausen. (Anstalt für Schwachsinnige, Blinde, Taubstumme, Epileptische, Krüppelhafte) zur ärztlichen Untersuchung des körperlichen und geistigen Zustandes vom 13.10.1901.
  11. BArch R 179/21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller: Gutachten Dr. Josef Sprengler, prakt. Arzt Augsburg.
  12. https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4.
  13. Meldebogen in Faksimile: https://www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana34.htm.
  14. Nach: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/aktion-t4-systematischer-mord-der-nazis-an-behinderten-menschen/ vgl. zur Aktion T-4 allgemein: Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Zweite Auflage, Berlin 1989; Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002; Ernst Klee (Hrsg.) Dokumente zur „Euthanasie“. Frankfurt/Main 1985.
  15. Vgl. hierzu: Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Zweite Auflage, Berlin 1989; Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002; Ernst Klee (Hg.), Dokumente zur „Euthanasie“. Frankfurt/Main 1985.
  16. Erich Resch/Petra Schweizer-Martinschek, Die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee während der NS-Zeit, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, S. 114-133, hier S. 120.
  17. BArch R 179/Nr. 21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller.
  18. Vgl. Hist.Arch BKH Kaufbeuren, Standbücher zu den Zu- und Abgängen Frauen 1941. Mittlerweile hat das Bundesarchiv die Namen der Opfer auf seiner Homepage veröffentlicht, deren Akten dort eingesehen werden können, darunter befinden sich die Namen der Augsburger und Augsburgerinnen, die im Rahmen der Aktion T-4 nach Grafeneck und Hartheim deportiert und dort ermordet wurden: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Aus-unserer-Arbeit/liste-patientenakten-euthanasie.pdf?__blob=publicationFile.
  19. Beim Transport vom 5.6. 1941 nach Hartheim kamen folgende Frauen neben Maria Pfaffenzeller aus Augsburg: Biedermann Anna, geb. 28.1.1910; Brunninger Berta, geb. 8.4.1882; Büchler, Rosa, geb. 6.6.1896, Füsser, Pauline, geb. 28.5.1889; Hausenblas, Maria, geb. 19.6.1893; Hayn, Maria, geb. 8.12.1895; Heinzel, Rosa, geb. 1.3.1903; Kaiser, Afra, geb. 31.8.1863; Kaltner, Philomena, geb. 23.6.1874; Konrad, Johanna, geb. 27.3.1887; Küspert, Josefa, geb. 1.3.1912; Lang, Johanna, geb. 30.6.1884; Lehner, Maria, geb.5.5.1895; Mörz, Therese geb. 10.3.1925; Pfeiffer, Sofie, geb. 12.10.1875; Püttner, Anna, geb. 6.5.1897; Ruile, Wilhelmine, geb. 19.5.1892; Schauler, Kreszenz, geb. 7.11.1900; Stöckel, Aloisia, geb. 24.4.1887. Vgl. hierzu Hist.Arch BKH Kaufbeuren, Standbücher zu den Zu- und Abgängen Frauen 1941.
  20. Michael von Cranach, In Memoriam. Bad Wörishofen 1999, S. 12ff; https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/aktion-t4-systematischer-mord-der-nazis-an-behinderten-menschen/.
  21. https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/lothar-kreyssig/?no_cache=1 Kurzbiografie; http://www.thlz.com/artikel/15060/ Kreyssig wurde 1942 wegen seines Protestes mit 44 Jahren in den Ruhestand versetzt.
  22. Hans-Joachim Döring, (Hg.), Lothar Kreyssig. Aufsätze, Autobiografie und Dokumente; Leipzig 2011. http://www.thlz.com/artikel/15060/.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Bundesarchiv Berlin (BArch)
– R 179/Nr. 21730 Patientenakte Maria Pfaffenzeller

Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKH Kaufbeuren)
– Standbücher zu den Zu- und Abgängen Frauen 1941

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten I (MK I):
– Michael Pfaffenzeller

Veröffentlichte Quellen:

Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein

Internet:
Literatur:

Götz Aly (Hg.), Aktion T4: 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Zweite Auflage, Berlin 1989.

Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013.

Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002.

Erich Resch/Petra Schweizer-Martinschek, Die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee während der NS-Zeit, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz (Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14), Thalhofen 2015, S.114-133.

Michael von Cranach, In Memoriam, Bad Wörishofen 1999.

Thomas Stöckle, Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen, 3. Auflage 2012.