Ludwig Hofmann

Geboren:
27.01.1910, Reitenbuch, LK Augsburg
Gestorben:
23.01.1945, Kaufbeuren

Wohnorte

Augsburg, Katharinengasse 20
Augsburg, Predigerberg 9
Augsburg, Paradiesgäßchen 1
Augsburg, Schützenstraße 14

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Krankenhaus Kaufbeuren

Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren

Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee

Biografie
Ludwig Hofmann. (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)

Ludwig Hofmann, geb. 27.1.1910,
r. kath., Hilfsarbeiter,
letzter freier Wohnsitz Schützenstraße 14,
zwangssterilisiert am 17.12.37,
Opfer der „dezentralen Euthanasie“,
ermordet am 23.1.1945

Elternhaus

Ludwig Karl Hofmann ist am 27. Januar 1910 in Reitenbuch, LK Augsburg (Nähe Gessertshausen) geboren. Er ist der älteste Sohn des Hilfsarbeiters Lorenz (geb. 1876) und seiner Mutter Walburga Hofmann, geb. Schultes (geb. 1877), die einen unehelichen Sohn Josef (geb. 1906) mit in die Ehe bringt.1 Die beiden heiraten am 9. Februar 1909.2 Ludwigs jüngerer Bruder Karl (geb. 1911) verstirbt im Kleinkindalter.

Die Ehe von Ludwig und Walburga Hofmann wird im Januar 1912 bereits wieder geschieden, wegen „Alleinverschuldens der Ehefrau“.3

Sozialisierung im Waisenhaus

Weil die Mutter nun als Kellnerin in der Bahnhofswirtschaft in Reitenbuch arbeitet und sich nicht um Ludwig kümmern kann, wächst dieser im Waisenhaus auf. Ludwig fehlt von Anfang an die Geborgenheit, affektive Zuneigung und intellektuelle Forderung und Förderung, welche jedes Kind im Elternhaus normalerweise erfährt. Nach der Volks- und Sonntagsschule in Reitenbuch arbeitet Ludwig in der Landwirtschaft, sucht Arbeit auf Wanderschaft in Wertingen, Oberglauchheim, Gessertshausen, Zusmarshausen, dann wird er Hilfsarbeiter in der Kattunfabrik Augsburg.4 Einen richtigen Beruf hat er nicht erlernt.5

Heirat und Arbeitsunfall

Mit 26 Jahren heiratet Ludwig am 11. Januar 19366 Therese Lindenbar, die 6 Jahre älter ist und ein ähnliches Schicksal wie er aufzuweisen hat7 Gemeinsam wohnen sie in der Schützenstraße 14 in Augsburg.8 Kurz vor Weihnachten erleidet er einen Arbeitsunfall. Ludwig verletzt sich am Rücken, in der Lendengegend und am linken Knie. Drei Monate später taucht Ludwig im März 1937 im Städtischen Krankenhaus auf und klagt über Schwindel und Kopfschmerzen.9 Ab August 1937 mehren sich die Indizien, dass Ludwig psychotisch schwer erkrankt ist.

Einweisung in Kaufbeuren

Die Psychiatrische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Augsburg überweist ihn am 1. September 37 mit Zustimmung der Ehefrau in die Heil- und Pflegeanstalt nach Kaufbeuren-Irsee. Die Ärzte dort beschreiben ihn als depressiv.10

Zwangssterilisation

Ein ärztliches Zeugnis vom 22.11.37 empfiehlt die Einrichtung einer Pflegschaft. Gleichzeitig läuft gegen ihn ein Sterilisationsverfahren. Gemäß dem Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Kempten vom 9. Dezember 1937 wird Ludwig Hofmann am 17. Dezember 1937 im Krankenhaus Kaufbeuren zwangssterilisiert und wird von dort „in sehr gutem Zustand“ – welch ein Hohn! – am 24. Dezember 37 nach Hause entlassen. Die Zwangssterilisation wurde in Rekordzeit durchgesetzt.11

Arbeit am Westwall

Ludwig wohnt ab sofort wieder bei seiner Frau, bleibt aber unter der Aufsicht der Fürsorgestelle. Im Sommer 1938 wird er zu Arbeiten am Westwall abgestellt. Noch am Tag seiner Ankunft kommt er in die Nervenabteilung des Krankenhauses Homburg/Saar.12

Erneute Überweisung nach Kaufbeuren

10 Monate später wird Ludwig Hofmann am 23. Juni 1939 von dort in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren überwiesen. Dort erstellt Dr. Mandel ein 9-seitiges Gutachten über den Patienten, das zum ersten Mal zum Teil auch die sozialen Hintergründe seiner Kindheit mit berücksichtigt. Dr. Mandel diagnostiziert bei Ludwig Hofmann Hebephrenie.13

Entmündigung

Infolge des Gutachtens wird Ludwig Hofmann vom Amtsgericht Augsburg am 16. Januar 1940 entmündigt.14 Zwangssterilisation und Entmündigung gehen an Ludwig nicht unbemerkt vorüber.

Ausbruch 1941. (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)

Er flieht am 8. Juli 1941 aus der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. Seitens der Anstalt gilt er als entlassen und wird der Außenfürsorge in Augsburg unterstellt.15 . Seit dem 16. August 1941 ist er in Augsburg, Paradiesgäßchen 1 gemeldet.16 Ludwig ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt. Das Städtische Krankenhaus Augsburg überweist ihn wiederum nach Kaufbeuren, von dort wird er am 21. Mai 1942 nach Irsee verlegt.

Scheidung

Seine Ehefrau Therese beantragt am 8. Juni 1942 die Ehescheidung von Ludwig.17 Die Ehe wird im Oktober 1942 „aus beiderseitigem Verschulden“ vom Amtsgericht Augsburg geschieden.18

Elektroschockbehandlungen und Fluchtversuche

Der Patient Ludwig Hofmann wird im Februar 1943 wiederholt Elektroschockbehandlungen mit einer jeweiligen Dauer von 45 Minuten ausgesetzt. Die Schmerzen müssen furchtbar gewesen sein. Ludwig unternimmt 3 weitere Fluchtversuche aus Irsee und wird nach erneuter Festsetzung für jeweils 14 Tage isoliert.

Sein Patientenbeobachtungsbogen der Monate Dezember 43 bis zu seinem Tod im Januar 1945 hält fest, dass er zur Arbeit nicht mehr herangezogen werden könne, körperlich stark zurückgehe und sein Tod überraschend und plötzlich eingetreten sei. Er habe in den letzten Tagen keine Nahrung mehr zu sich genommen.

Indizien für die Ermordung von Patienten

Die Verfasser des 2020 erschienenen Kaufbeurer Gedenkbuches haben darauf hingewiesen, dass „die gehäufte Erwähnung der Arbeitsunfähigkeit des Patienten, die Zunahme von entwertenden Beschreibungen, die fehlenden Erwähnungen einer medizinisch nachvollziehbaren Krankheit, das Unterlassen von therapeutischen Bemühungen und die mangende Plausibilität des raschen Todes … mit großer Sicherheit erkennen lassen, wer Opfer der Krankenmorde wurde19

Ermordung durch Hungerkost, Vernachlässigung und Überdosierung von Medikamenten

Gewichtsliste 1939-1944. (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)

Die Gewichtsliste gibt Hinweise auf die wahre Todesursache. Ludwig hat in den Jahren 1939/40 immer sein Gewicht zwischen 60 und 55 kg gehalten, er ist 1,64 cm groß. Von Januar 1944 bis zum Todeszeitpunkt geht sein Gewicht von 50 kg auf 38 kg zurück.

Wir müssen davon ausgehen, dass Ludwig Hofmann durch die sogenannte Entzugskost ermordet worden ist. Der Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser entwickelt 1941 nach der Beendigung der Ermordung „nicht lebenswerten Lebens“ in Grafeneck und Hartheim, der sogenannten Aktion T4, die sog. Hungermethode, um Patienten zu töten. Sie erhalten über Monate hinweg nur noch dünne Suppe – in Wasser gekochte Gemüsereste – und sind nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentzündung entwickelt.20

Für die Feuerbestattung als „Armenleiche“ werden 67,50 RM in Rechnung gestellt. Die Einäscherung wird am 8. Februar 1945 um 9 Uhr in der Heil- und Pflegeanstalt Irsee vorgenommen.

Krankenhausaufenthalte:

20.8.37 KH Augsburg, psychiatrische Abteilung
1.9.37–24.12.37 Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren
17.12.37 Zwangssterilisation
11.8.38–23.6.39 Krankenhaus Homburg/Saar
23.6.39–8.7.41 Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren
23.12.41 Heil-und Pflegeanstalt KF
21.5.42 Verlegung nach Irsee
23.1.45 Tod Ludwig Hofmanns

Wir wollen an Ludwig Hofmann mit einer Biografie und einen Stolperstein erinnern.

© Opferbiografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, 86368 Gersthofen Haydnstr. 53

Fußnoten
  1. StadtAA, MK 2 Lorenz Hofmann, 30.5.1876, kath., geb. in Röllbach, BA Obernburg, verst. am 11.10.,43 in Augsburg; Walburga Hofmann geb. Schultes, geb. 30.1.77 in Reutern, kath., StadtAA, MK 2 Josef Schultes, geb. 13.5.1906 in Reutern, kath., Maschinenarbeiter, verst. 26.4.1939 (Sohn von Walburga Hofmann geb. Schultes).
  2. Ebenda.
  3. Ebenda.
  4. StadtAA, MK 2 Hofmann Ludwig Karl.
  5. Ebenda.
  6. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732, LG Augsburg vom 25.7.1942 ärztliches Gutachten zum Scheidungsprozess S. 1, abweichend im Gutachten selbst, wo das Heiratsdatum als 11.5.1936 genannt wird.
  7. StadtAA, MK 2 Ludwig Karl Hofmann, geb. 27.1.1910. Zuvor wohnt Ludwig in der Katharinengasse 20 bei seiner Mutter, dann am Predigerberg 8.
  8. Ebenda, Therese Hofmann, geb. Lindenbar, geb. am 1.12.1904.
  9. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732: Gutachten Dr. Mandel vom 5.1.40.
  10. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732: Patientenbeobachtungsbogen September, Oktober 1937.
  11. Ebenda. EGG Kempten. Die Begründung lautete Unfruchtbarmachung wegen Schizophrenie, XIII 274/37 vom 11.12.37.
  12. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732 Ludwig Hofmann.
  13. https://www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/Int.1-Hebephrenie.pdf.
  14. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732 Ludwig Hofmann, AG Augsburg, Dr. Fürst, AZ 2E 25/39, ebenso StadtAA, MK 2 Ludwig Karl Hofmann.
  15. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732 Ludwig Hofmann, Schreiben der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren vom 8.7.41.
  16. StadtAA, MK 2 Ludwig Karl Hofmann.
  17. Ebenda. Antrag auf Ehescheidung vom 8.6.1942.
  18. Hist. Arch BKh Kaufbeuren, Patientennr. 10732 Ludwig Hofmann: Gutachten Dr. Lothar Gärtner vom 8.6.1942 an das AG Augsburg.
  19. Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, „Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt/Aisch 2020, S. 53.
  20. So die Aussagen des ehemaligen ärztlichen Direktors des BKH Kaufbeuren, Dr. Michael von Cranach, im Tagesspiegel vom 4.10.2016 „Der stille Massenmord.“ Prof. von Cranach ist heute einer der anerkanntesten Forscher zum Thema Euthanasie im Nationalsozialismus. Zum Thema „dezentrale Euthanasie“ allgemein vgl. Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)
– Patientennr. 10732 Ludwig Hofmann

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten 2 (MK 2):
– Ludwig Hofmann
– Lorenz Hofmann
– Josef Schultes

Internet:
Literatur:

Aly, Götz, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt/Main 2012

Ernst Klee,„Euthanasie“ im Dritten Reich. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/Main, 3. Auflage 2018.

Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Dieter, Stefan (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.

Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, „Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt/Aisch 2020.