Gersthofen, Ludwig-Hermann-Straße 35a
HJ Heim in Gersthofen
KZ Dachau
Leonhard Wanner ist der Sohn von Kreszenz1 und Leonhard Wanner2 . Kreszenz bringt aus ihrer ersten Ehe mit ihrem verstorbenen Mann Martin Modlmeier 4 Kinder mit, 2 Mädchen und 2 Buben3 . Leonhards Schwester Kreszenz verstirbt 1921 am Tage ihrer Geburt4 .
Leonhards Individualität ist ausgeprägt, er ist kein leicht zu führender Jugendlicher. Sehr früh gerät Leonhard unter die Beobachtung der Nazis, er wird wegen Bettelns, groben Unfugs und Waffenbesitz mehrfach zu geringfügigen Strafen verurteilt5 .
Im Alter von 26 Jahren heiratet er in Gersthofen kurz vor Kriegsbeginn die um 4 Jahre jüngere Gersthoferin Pauline Wittmann6 am 21. April 1939.
Zu dieser Zeit hat Leonhard bereits schlimmste Erfahrungen mit dem NS-Terrorregime gemacht. Kurz nach der Machtergreifung der Nazis wird er als 20-jähriger am 30. März 1933 in Schutzhaft genommen7 . Anfangs ist Leonhard im HJ Heim in Gersthofen bei der Kirche St. Jakobus eingesperrt. Seine Mutter Kreszenz bringt ihm Essen dorthin. Später wird er in den Katzenstadel in Augsburg verlegt. Am 5. Mai 1933 erfolgt seine Verlegung ins KZ Dachau, gemeinsam mit seinen Kumpels Xaver Sterr und Hermann Jensch. Im Augsburger „Verzeichnis derjenigen Schutzhäftlinge, die für das Lager Dachau in Frage kommen. Es handelt sich durchwegs um Kommunisten“ findet sich neben seinem Namen unter der Nr. 18 die Notiz: „Eifriger Anhänger, Hetzer, Rohling“.8
Sein Verwandter Georg Kottmair ist ebenfalls Zimmermann und Mitglied der KPD. Er ist auf der Flucht vor den Nazis, wird durch Verrat gefangengenommen und wird am 15. Mai 1933 ins KZ Dachau verbracht. Es liegt auf der Hand, dass Leonhard sich mit diesen 3 Personen politisch ausgetauscht hat und über sie der Kontakt zur KPD hergestellt worden ist.
Die vier jungen Männer sind definitiv entsetzt über die horrende Anzahl von Arbeitslosen am Ende der Weimarer Republik. Sie erhoffen sich von ihrem Engagement in der KPD konkrete wirtschaftliche Erfolge für die arbeitende Bevölkerung. An Weltrevolution denken die praktisch veranlagten Arbeiter zuallerletzt. Wohl aber erkennen sie den menschenverachtenden Charakter des nationalsozialistischen Parteiprogramms, die rassistische Ausrichtung der Nazis und agieren konsequent gegen diese Partei.
Zwar wird Leonhard Wanner am 31.5.1933 wieder aus dem KZ Dachau entlassen, aber er wird bereits am 18. August 1933 erneut verhaftet und bleibt dort bis Silvester 1933 inhaftiert9 . Die SS-Schergen haben versucht, dort seinen Charakter zu brechen.
Laut Aussage seiner Nichte Hannelore Schiller war Leonhard ein junger, schöner, schlanker, sportlicher Mann, er bringt der Verwandtschaft das Schwimmen bei, will aber nie über seine Zeit im KZ sprechen, ganz ähnlich wie seine Mitleidensgenossen10 .
Trotz Bedrängung durch seine Nichten und Neffen bleibt er schweigsam, aber es entgeht seinen Verwandten nicht, dass er den Rücken voller Narben hat11 . Offensichtlich ist er im KZ gefoltert worden.
Nach seiner Rückkehr aus dem KZ wird Leonhard von den örtlichen Polizei- und Parteibehörden infolge seiner politischen Gesinnung schikanös behandelt. Leonhard verbleibt bis zum Einzug zur Wehrmacht unter der Observation der NSDAP und der örtlichen Polizei. Die Ortsgruppe der NSDAP führt ihn als „Funktionär der KPD“12 , als Feind der nationalsozialistischen Bewegung, wie seinen Verwandten Georg Kottmair13 .
Wegen Waffenmissbrauchs und Ruhestörung wird er im März 1936 vom Amtsgericht Augsburg zu 14 Tagen Haft verurteilt. Im April des gleichen Jahres berufen sich Polizei und Gericht auf das „Gesetz zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933“ und verurteilen ihn zu weiteren 30 Tagen Haft, wegen übermäßigen Biergenusses über die Sperrstunde hinaus, trotz Wirtshausverbotes14 . Offensichtlich reine Schikane.
Die NSDAP-Ortsgruppe hält Leonhard Wanner unter permanenter Observation. Am 11.1.1938 beantwortet die Ortsgruppe einen Fragebogen an die Gauleitung wie folgt:
Haben Sie in Ihrem Ortsgruppenbereich politische Gegner (auch ehemalige), die auch jetzt noch gegen unseren Staat aufgestellt sind und sich nicht einwandfrei verhalten?
Die Ortsgruppe nennt die folgenden gegen den Nationalsozialismus eingestellten Personen:
Meitinger Johann, Bahnhofstraße 28 Bauarbeiter bei Jos. Heindl, Lützelburg; (Hat für die Bewegung nichts übrig)
Schlund Johann, Bauerngasse 10 IG Farben (Hat für die Bewegung nichts übrig)
Inhofer Johann, Ludwig Hermannstraße 107 (Hat für die Bewegung nichts übrig)
Wanner Leonhard, Hilfsarbeiter im Kies- und Schotterwerk, Funktionär der KPD (Dachau)
Kottmair Georg, Ludwig Hermannstraße 35, Zimmermann bei der Gemeinde, Funktionär der KPD (Dachau)
Steber Xaver, Reichsautobahn, Eschenweg 12, Fa. Moll, Reichsautobahn: „ein gefährlicher Bursche“
Paulus Josef, Augsburger Straße 120 , Fa. Moll, Reichsautobahn „ein gefährlicher Bursche“, asozial
Hesse Raimund, Hilfsarbeiter bei Sauer-Augsburg, KPD
Utz Johann, L.Hermannstr.24 Hilfsarbeiter Kies- und Schotterwerk, SPD-Funktionär ablehnend
Sturm Johann, Eichstraße 1, Gelegenheitsarbeiter, Gewerkschafts-Sekretär, SPD
Wagner Peter, Schlageterstraße 14, Steinmetz, Vater/Senior der Kolpingfamilie
Hampp Anton Bauerngasse, selbständiger Bauer, radikaler Schwarzer
„Die sämtlich aufgeführten Personen stehen politisch nicht auf unserem Boden. Ihre weltanschauliche Einstellung ist dem Nationalsozialismus völlig fern, tun auch nichts dergleichen, sich anzupassen. Sämtliche stehen unter Kontrolle der Gendarmerie und sind auch der Geheimen Staatspolizei gemeldet“15 .
Leonhard Wanner wird kurz vor Kriegsbeginn am 27. August 1939 zur Wehrmacht eingezogen.
Er ist ein entschiedener Kriegsgegner und dementsprechend verhält er sich auch. Um den Kriegsdienst überhaupt auszuhalten, betrinkt er sich häufig, was seinen Vorgesetzten nicht verborgen bleibt.
Wiederholt wird er wegen Disziplinlosigkeit bestraft. Im Dezember 1939 muss er 3 Strafwachen halten, wenig später erhält er 10 Tage verschärften Arrest, weil er einen dienstlichen Befehl des Unteroffiziers vom Dienst nicht ausführt und den Zapfenstreich überschreitet, im Juli
1940 erhält er 14 Tage verschärften Arrest wegen Disziplinlosigkeit und Ungehorsams.
Im Oktober 1940 trifft es ihn besonders hart. Wiederum ist er unpünktlich und verweigert dem Feldwebel den Gehorsam. 14 Tage Arrest sind ihm gewiss. Weitere 9 Tage Arrest erhält er aufgebrummt, weil er die Fahrt vom Lazarett zum Ersatztruppenteil eigenmächtig um 48 Stunden verlängert und dort zu spät eintrifft.
Am 30. April 1942 lehnt er sich wiederum gegen seine Vorgesetzten auf. Er flucht und ist widerspenstig, widerspricht seinen Vorgesetzten, er lässt sich nicht alles gefallen. Leonhard beweist mehrfach ungeheuerlichen Mut. Dem Befehl, sein Privatquartier zu räumen und umzuziehen, kommt er bewusst nicht nach. Hierfür erhält er weitere 6 Tage verschärften Arrest.
Am 1. Juni 1943 kommen ihm auf der Fahrt von Warschau nach Dnjepropetrowsk 3 Kisten Seife abhanden. Er erhält 21 Tage verschärften Arrest und wird zum Oberkraftführer degradiert16 .
Es gehört zur Perfidie des NS-Regimes, Oppositionelle und Personen, die sich nicht in das ideologische Weltbild der Nazis integrieren lassen, an die vorderste Front zu versetzen. Dies geschieht auch im Fall von Leonhard Wanner.
Am 15. April 1944 wird er beim Fronteinsatz in Russland getötet17 . Zum Zeitpunkt seines Todes ist er noch keine 31 Jahre alt. Im Wehrpass ist verzeichnet: „Bei Burakowka18 am 15.4.44 für Großdeutschland gefallen“19 .
Biografie erstellt von: Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen – Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben; StD i.R., 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53, Tel. 0821/497856 bernhard.lehmann@gmx.de
2019, ergänzt 2020
Aussagen Hannelore Schiller am 31.12.2018
Bundesarchiv Berlin (BA Berlin)
– Strafliste für Wanner Leonhard, PA 2-2019/S-1515
– Wehrpass Leonhard Wanner
KZ Gedenkstätte Dachau
– Auskunft von Andre Scharf vom 8.6.2017
Stadtarchiv Gersthofen (StadtAGerst)
– EWO-Karten Kreszenz Wanner, Leonhard Wanner, Sieglinde Anne Wanner
– Geburtenbuch Gersthofen Nr. 57/1913
– Sterbebuch Gersthofen Nr. 13/1946
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– Fragebogen der NSDAP Ortsgruppe Gersthofen vom 11.1.1938 an die Gauleitung
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
ITS Bad Arolsen, Dok.nr.9908621