Augsburg, Schwalbenstraße 6
Dürrlauingen, St. Nikolausheim
Schönbrunn, Franziskuswerk
Kaufbeuren, Heil- und Pflegeanstalt
Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren
Josef Eiter ist der drittgeborene Sohn des Ehepaars Franziska und Franz Eiter.1 Das Paar hatte am 5.12.1908 in Lechhausen geheiratet und wohnt seitdem in Augsburg-Pfersee in der Schwalbenstraße 6.
Ihr erstes Kind, Franziska Eiter, wird am 13.5.1909 geboren, dann folgen Franz Eiter, geb.am 29.3.1911, Josef Eiter, geb. am 29.1.1914 und Heinrich Eiter, geb. am 8.6.1919.2
Unglücklicherweise werden die beiden Söhne Franz und Josef mit einer geistigen Beeinträchtigung geboren.3 Als der Vater durch einen tragischen Unfall am 18.6.1923 inmitten der Hochinflation in Deutschland verstirbt, ist Josef 9 Jahre alt. Die Mutter Franziska ist gänzlich auf sich alleine gestellt und muss 4 Kinder ernähren.
So lange es irgendwie geht, behält die Mutter ihre beiden behinderten Söhne zu Hause, wo sie die Sonderschule besuchen. Sie möchte ihren beiden Söhnen Geborgenheit und Zuneigung bieten.
Josef verbringt die ersten Jahre in Augsburg im Elternhaus. Ab wann und wie lange er in Dürrlauingen untergebracht ist, wissen wir nicht. In der Zeit vom 1. Juni 1935 bis zum 28. November 1940 verbringt er in Schönbrunn. Dann wird auch er in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren verlegt.
Seine Mutter nimmt die Verlegung ihres Sohnes Josef zum Anlass, den Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser das Schicksal ihrer beiden Söhne ans Herz zu legen. Der Brief zeigt auch, wie sehr die Mutter unter der Stigmatisierung ihrer Söhne leidet:
Sehr geehrter Herr Direktor
„Ich habe heute von Schönbrunn die Nachricht erhalten, dass mein zweiter Sohn Josef zu ihnen in die Anstalt kommt. Ist das ein Jammer für mich mit den zwei Söhnen. Bitte Herr Direktor möchte anfragen wie es meinem Sohn Franz geht ob er soweit gesund ist und ob er seine Paketchen immer erhält. Bitte um Nachricht geschlossen und ohne Anschrift der Anstalt am Kuvert weil immer die Leute im Hause die Post abnehmen damit die Postbötin nicht die Stiege hinauf gehen braucht, denn die Leute wollen alles wissen, sind neugierig.
Im Voraus danke ich schön, lege auch gleich eine Marke bei.
Hochachtungsvollst, eine arme bekümmerte Mutter
Heil Hitler
Frau Franziska Eiter Witwe“.4
Der Patientenbogen von Josef Eiter ist die einzige Quelle, über die wir Informationen über ihn erhalten. Der Bogen spiegelt wieder, wie die Anstaltsleitung inklusive Pflegepersonal den jungen 28-jährigen Patienten bewusst verhungern ließen:
28.11.40 Kam heute von der Anstalt Schönbrunn, wo er seit dem 1.6.35 untergebracht war. Hilft fleißig bei Hausarbeiten mit.
* *20.12.40 Bei der Karrengruppe beschäftigt, muss immer angehalten werden etwas zu tun. Sonst ist er gut zu haben. ….. Pat. erkennt weder sein Geburtsdatum, noch sein Alter, er weiß nur, dass er von Augsburg ist. Er glaubt, hier in Schönbrunn zu sein, hat den Transport von dort hierher vollkommen vergessen. Patient besitzt keinerlei Schulkenntnisse, kann weder lesen noch schreiben. Im Rechnen kommt er bis 2 plus 2 nicht hinaus, er hat auch nicht gelernt, mit den Fingern zu rechnen …. Im Wesen ist er freundlich, grinst immer, wenn man ihn anspricht ….. Ein Versuch, ihn mit Erdarbeiten oder im Kohlenhof zu beschäftigen, scheiterte an seiner Unbeholfenheit ….. er läuft nur mit der Karrengruppe
* *14.12.41 Keine Änderung im Befinden und Verhalten
* *15.6.42 Im Holzhof beschäftigt, taugt nicht viel bei der Arbeit, steht herum. Verlangt manchmal seine Entlassung.
* *22.6.42 Hatte Besuch von der Mutter. ….. Wird nach C II verlegt.
* *23.8.42 Pat. geht körperlich immer mehr zurück, ohne dass die Untersuchung einen krankhaften Befund an den inneren Organen ergeben würde. Pat. magert stark ab und kann zur Arbeit überhaupt nicht mehr verwendet werden. Dies hat seinen Grund allerdings auch in einem weiteren geistigen Rückgang. Pat. steht ….. herum und versteht kaum mehr die an ihn gerichteten Aufforderungen.
* *9.11.42 Weiterer rapider körperlicher Rückgang. Pat. kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Die Füße sind gegen Abend immer stark geschwollen.
* *23.11.42 recht hinfällig und matt, Wurde von C2 nach C 1 zur Wache verlegt.
* *25.11.42 Mittags 14.05 Uhr gestorben. Lag letzter Tage stets zu Bett. Wortkarg, interesselos.
In verräterischer Weise enthüllt die Gewichtsliste, die in Kaufbeuren geführt wird, dass der Patient Josef Eiter durch Hungerkost ermordet wurde:
Gewichtsliste Eiter Josef
November 1940: 67 ½ kg;
Januar 1941 : 65 kg
Dezember 1941: 57 kg;
Januar 1942: 55 kg,
Oktober 1942: 44 ½ kg
Innerhalb eines Jahres verliert Josef Eiter 23 kg Körpergewicht. Die Ärzte stellen die folgende Diagnose: „Pneumonische Infiltration der untersten Partien der rechten Lunge. Herzbeutelerguss. Chronische Gastritis. Todesursache: Hypostatische Pneumonie rechts“.5
Auch bei Josef Eiter ist zu vermuten, dass er zudem eine Überdosis an Medikamenten über einen längeren Zeitraum verabreicht bekam. Weil er bettlägerig war, kam u. U. eine Lungenentzündung dazu. Patienten, die durch die sog. E-Kost hochgradig geschwächt waren, bekamen oft sog. interkurrente Krankheiten, an denen sie dann starben, z.B. TBC, Ruhr, Durchfälle.6
Das Gehirn von Josef Eiter wird zu Forschungszwecken an die Prosektur der deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Institut) zu Prof. Dr. Schleußing versandt.7
Die Ermordung von Josef Eiter ist nicht das alleinige Werk der Ärzte. Schwestern und Helfer wirken dabei mit, sie haben sich zumindest durch ihr Schweigen mitschuldig gemacht.
Franz Eiter und Josef Eiter werden wie viele andere Patienten in Kaufbeuren und Irsee durch die sog. „Dezentrale Euthanasie“ ermordet.8 Der Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser entwickelt nach der Beendigung der Vergasung „nicht lebenswerten Lebens“ in Grafeneck und Hartheim, der sogenannten Aktion T-4, die sog. Hungermethode, um Patienten zu töten. Sie erhalten über Monate hinweg nur noch dünne Suppe -in Wasser gekochte Gemüsereste- und sind nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentzündung entwickelt.9
Anderen Patienten mischt die Krankenschwester Pauline Kneissler Skopolamin und Luminal ins Essen, um sie zu ermorden. Sie hat das Handwerk des Tötens in Hadamar und einem KZ gelernt, in Kaufbeuren erhält sie in der Zweigstelle Irsee eine eigene Tötungsstation.10
Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD, Gegen Vergessen-Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben; 86368 Gersthofen Haydnstraße 53 bernhard.lehmann@gmx.de
Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKH Kaufbeuren)
– Patientenakte Josef Eiter, Nr. 11901
– Sippenmappe Nr. 942
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein