Augsburg, Weiherstraße 17
KZ Dachau
Johann Grundler ist am 6. August 1905 in Augsburg geboren und wohnt zeit seines Lebens bei seinem Vater Johann (geb. 1881–1951) und seiner Mutter Creszentia Grundler, geb. Hiermayer (1881–1950) in der Weiherstraße 17 in Augsburg-Oberhausen.1 Seine Schwester Maria ist um 15 Monate jünger.2
Johann absolviert die Volksschule und arbeitet in Augsburg als Hilfsarbeiter in der Textilindustrie.3 Sein Lebenswandel ist tadellos, es gibt keinerlei strafrechtliche Vergehen, derer er sich schuldig gemacht hätte.
Aber das NS-System hat konkrete Vorstellungen zu den Verhaltensweisen seiner Bürger.
Johann wird am 29. Januar 1937 von der Polizeidirektion Augsburg verhaftet und am 19. Februar „an das Arbeitslager Dachau abgeliefert“4 . Auf der Liste Nr. 25 im „Verzeichnis von Schutzhaftgefangenen, welche aufgrund des Arbeitszwangsgesetzes § 20 RFV5 in das Konz. Lager Dachau eingewiesen wurden“ geht hervor, dass er eine 12 Monate dauernde Haft im KZ Dachau zu verbüßen hat. Er wird unter der Häftlingsnummer 29711 geführt.
Johann gilt als Häftling der Kategorie AZR, „Arbeitszwang Reich“, unter welcher hauptsächlich Wanderarbeiter, Obdachlose, Bettler, Landstreicher, Alkoholiker, Kleinkriminelle und sogar Personen fallen, die mit Unterhaltszahlungen im Rückstand sind.6 Auch bei ungenügender Arbeitsleistung und häufigen Fehlzeiten am Arbeitsplatz kann man nach Dachau eingeliefert werden, da beides während des Krieges als „asozial“ gilt.7 Diese Personengruppe soll im KZ „umerzogen“ werden.8
Auch Wohlfahrtshilfeempfänger, die als „asozial“ und „arbeitsscheu“ gelten, können ab Oktober 1934 nach § 20 der Reichsfürsorgeverordnung (RFV) „fürsorglich“ ins KZ eingewiesen werden.9 Gegen Personen, die aus dem einen oder anderen Grund keiner dauerhaften Beschäftigung nachgehen und auf Fürsorgeunterstützung angewiesen sind, konzipierte das Bayerische Innenministerium den Vollzug des fürsorgerechtlichen Arbeitszwangs im KZ Dachau bewusst als „neues, wirksames Zuchtmittel gegen asoziale Personen“10 . Wir müssen demzufolge annehmen, dass Johann Grundler „präventiv“ ins KZ Dachau eingewiesen worden ist, und zwar wegen einer Banalität, für die er nicht einmal gerichtlich belangt worden ist.
Unter der Kategorie AZR (Arbeitszwang Reich) werden alle Personen registriert, die als „gemeinschaftsfremd“ die Erwartungshaltung der Volksgemeinschaft nicht erfüllen können und „abweichendes Verhalten“ zeigen.
Die genauen Hintergründe für Johanns Verhaftung kennen wir nicht. Was hat er sich in den Augen des Terrorregimes zuschulden kommen lassen? Genau ein Jahr später, am 22. Februar 1938 kommt er wieder frei und zieht wieder zu seiner Mutter in der Weiherstraße 17.11
Anfang August 1941 wird er zum militärischen Landesschutz, Ersatzbataillon 7 in Berchtesgaden einberufen, kehrt aber von dort bereits nach einer knappen Woche am 12. August wieder nach Augsburg zurück.12 Wir müssen annehmen, dass er wegen seines KZ-Aufenthalts als „nicht wehrwürdig“ eingestuft wird.
Am 12. April 1942 wird Johann Grundler erneut ins KZ Dachau eingewiesen. Es ist denkbar, dass Johann nunmehr im „Vorbeugungshaftverfahren“ in Dachau eingewiesen wird.13 Knapp zwei Monate später stirbt er dort.
Johann ist bei seinem Tod 36 Jahre und 10 Monate alt. Der Leichenschauschein konstatiert als Krankheit „Darmkatarrh und Ödeme“, als Todesursache hält Dr. Jäger, der SS-Hauptscharführer der Reserve und Stabsarzt „Versagen von Herz und Kreislauf“ fest. Als Todesdatum wird der 17. Juni 194214 angegeben. Weisen die Ödeme darauf hin, dass er von den SS-Schergen geschlagen wurde?
In einem Schreiben an die Lagerkommandantur vom gleichen Tag spricht der Lagerarzt davon, dass Grundler „am 16.6.42 wegen Darmkatarrh und Ödemen in den Häftlingskrankenbau aufgenommen“ worden sei. Beide Beine seien „ödematös geschwollen“. Bei heftigem Durchfall habe sich der Zustand des Patienten rasch verschlechtert. In den Vormittagsstunden des 17. Juni sei er bewusstlos geworden und um 11.15 Uhr verstorben.15
Seine Leiche wird umgehend eingeäschert und auf Wunsch der Angehörigen in der Familiengrabstätte im Nordfriedhof Feld 30, Reihe 7, Grab Nr. 67 beigesetzt.16 Die wahren Gründe seines KZ-Aufenthalts und seines Todes bleiben ungeklärt.
Biografie verfasst von Dr. Bernhard Lehmann, StD i.R., 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53, Tel. 0821/497856 bernhard.lehmann@gmx.de
2019
ITS Bad Arolsen
Johann Grundler 29711 AZR
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarte II (MK II):
– Johann Grundler
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
Wolfgang Ayaß, „Ein Gebot der nationalen Arbeitsdisziplin“. Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ 1938; aus: Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 6, Berlin 1988, S. 43-74:
https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/2007013116965/AktionArbeitsscheuReich.pdf;jsessionid=BD55F6A681CE836F4613F17B92BF01F6?sequence=3
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/089/1908955.pdf
https://eguide.its-arolsen.org/fileadmin/eguide-website/downloads/Haftarten_dt.pdf.
Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938, Göttingen 2017.
Wolfgang Ayaß, "Asoziale" – die verachteten Verfolgten, in: DH 14 (1998), S. 50-66.