Straubing
Wien
München
Augsburg
Gersthofen, Friedrich-Ebert-Straße 1 (ehemals Fichtestraße 1)
„Gersthofer Haftlokal“
Gestapo-Gefängnis "Katzenstadel" Augsburg
geb. am 20. Januar 1891 in Straubing, verst. am 21. Juni 19561 in Gersthofen, Bürgermeister in Gersthofen vom 22. Mai 1945 bis zum 31. Januar 1946, Gewerkschaftssekretär, Fraktionsführer der SPD im Kreisrat 1919–1924, Gemeinderat bis 1956, während der Nazizeit mehrfach inhaftiert.
Johann Sturm ist der Sohn des Straubinger Schuhmachermeisters Johann Baptist Sturm (geb. 1866) und seiner Ehefrau Maria Sturm geb. Babl2 (geb. 1869). Die beiden hatten am 3. Dezember 1889 geheiratet. Kurz vor der Eheschließung, am 7. September 1889, wird ihre Tochter Berta geboren.3
Ihr Sohn Johann Sturm jun. wird am 20. Januar 1891 in Straubing geboren, sein jüngerer Bruder Alois Edmund kommt am 13. Juli 1897 in München zur Welt.4
Eine zweite Tochter Maximiliana Katharina ist wie Alois Edmund in München geboren und kommt als Hausgeburt am 15. März 1899 in der Türkenstraße 59 zur Welt.5 In beiden Fällen ist der Aufenthaltsort des Vaters „unbekannt“6 . Ob Johann Baptist Sturm der Vater von Alois Edmund und Maximiliana Katharina war, darf bezweifelt werden und ist auch in der Familie umstritten.
Die Ehe ihrer Eltern wird am 22. Dezember 1900 „aus Verschulden des Johann Baptist Sturm“7 rechtskräftig geschieden. Auf der „Alten Meldekartei“ in Straubing findet sich unter Johann Baptist Sturm (geb. 1891) der nicht datierte Hinweis, dass sich der Vater im Zuchthaus und Maria Babl in Wien befinde.8
Wann Maria Sturm geb. Babl von München nach Wien zieht, wissen wir nicht. Jedenfalls ist sie dort vor 1915 verstorben.9 Es ist uns auch nicht bekannt, bei wem die Kinder Berta, Johann, Edmund und Katharina aufwachsen. Das Todesdatum des Vaters Johann Baptist Sturm ist uns nicht bekannt.
Johann besucht die Volksschule in Straubing und danach die dreiklassige Fortbildungsschule.10 Von 1904 bis 1907 absolviert er eine dreijährige Lehrzeit bei der Kunst- und Bauschlosserei der Firma Blamberger. Nach Ende der Lehrzeit als Schlosser arbeitet er bei der Hofschlosserei Josef Mitterer & Sohn bis Anfang März 1908.11
Um seine Kenntnisse zu komplettieren, begibt er sich sodann auf Wanderschaft durch Südbayern und nach Österreich. Bei der Firma Koloseus in Wien arbeitet Johann als Schlossergehilfe vom 11. November 1909 bis zum Juni 1910 zur „vollsten Zufriedenheit“ des Geschäfteinhabers.12 Johann kehrt dann nach Bayern zurück und findet Arbeit in der Hofschlosserei Dietrich Buschmann (Kunst-, Bauschlosserei, Eisenkonstruktionen) in der Adalbertstraße in München-Schwabing und bleibt dort bis Ende Februar 1911. Wiederum erhält er beste Zeugnisse. „Fleiß, Betragen und Leistungen“ seien zur „vollsten Zufriedenheit des Inhabers“. Aber dennoch wird er wegen Arbeitsmangels13 entlassen, so verschlägt es ihn auf der Wanderschaft nach Augsburg, wo er ab 24. März 1911 bei der Firma Hausbrendel (Wilhelm Zeuner’s Nachfolger), später bekannt als Firma Stärker in der Klinkertorstraße 12 (= Litera F 172/3) eine Anstellung findet. Als Schlosser bei der Firma Hausbrendel arbeitet er zur „größten Zufriedenheit“ der Firmenleitung.14 Aber Johann ist mittlerweile 20 Jahre und wird deshalb am 7. Oktober 1911 zum Wehrdienst eingezogen.
Beim 4. Feldartillerie Regiment, 1. Bataillon in Augsburg arbeitet er als Parkschlosser. Weil er durch solide Arbeit überzeugt, ist er bald für die Verwaltung des Geschützparks verantwortlich und wird am 21. Oktober 1912 zum Gefreiten mit Unteroffiziersdienst befördert.15 Im Oktober 1913 wird er vom Militärdienst entlassen.
Dank seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit findet er ab 18. Oktober 1913 Anstellung bei den Farbwerken Hoechst in Gersthofen (vormals Meister Lucius und Brüning) als Elektriker, obwohl er hierfür bisher keine Ausbildung hat. Es ist anzunehmen, dass er in seiner Militärzeit Kenntnisse auf diesem Feld erworben hat.
Johann ist ein attraktiver junger Mann, hat schwarze Haare und braune Augen, ist untersetzt, ca. 1,68 cm groß und verfügt über eine ganze Menge Charme. Seine niederbayerische Herkunft kann er nicht verleugnen. Auf dem rechten Unterarm hat er die Buchstaben seines Namens HS eintätowiert, was für die damalige Zeit ziemlich ungewöhnlich ist.16
In Augsburg macht er die Bekanntschaft des Kindermädchens und späteren Fabrikarbeiterin Josefa Afra Pleig17 , die 1889 in Augsburg geboren ist. Ihre Eltern stammen aus Horgauergreut.18 Johann verliebt sich in sie. Josefa Afra bekommt aus dieser Beziehung 2 Kinder. Theresia Pleig wird am 14.9.1912 in Horgauergreut geboren. Damals galt ein uneheliches Kind für die Mutter, nicht für den Vater als erheblicher Makel. Deshalb wächst Theresia bei den Großeltern in Horgauergreut auf. Sie verstirbt am 13. April 1914 im Kleinkindalter.19
Des Weiteren geht aus dieser Liaison im März 1914 ein Sohn20 hervor. Das Paar benennt ihn nach dem Vater Johann Baptist. Allerdings behält er den Familiennamen seiner Mutter. Die Beziehung ist nicht von langer Dauer, denn Johann Baptist Sturm wird zum Kriegsdienst eingezogen.
Josefa Afra bringt am 13.10.1916 eine weitere Tochter Maria Josefa Afra zur Welt, am 4. August 1918 einen Sohn Ferdinand.21 Für die letzten beiden Kinder bekennt sich der italienische Terrazzo-Arbeiter namens Giacomo Giovanni Antonini aus Udine zur Vaterschaft und heiratet am 28.1.1922 Josefa Afra Pleig.22 Seit 1917 wohnt das Paar in Augsburg Bei St. Ursula 12, ab Mai 1918 am Hinteren Lech 9, schließlich ab Februar 1927 bis zum Tode von Josefa Afra am Saurengreinswinkel 9.
Der I. Weltkrieg durchkreuzt Johanns berufliche Karriere, er wird am 1. August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen. Welche Schlachten, Gefechte und Auszeichnungen und Beförderungen er erworben hat, sind seinem Wehrpass zu entnehmen.23 Der Wehrpass aus dem I. Weltkrieg liegt uns leider nicht mehr vor.
Am 3. Februar 1916 wird Johann in einem Gefecht schwer verwundet, und soweit wir wissen, wird er an der Bauchspeicheldrüse verletzt. Fortan muss er sein ganzes Leben lang zwei Mal täglich mit Insulin gespritzt werden.24 Erst 3 Monate später, am 5. Mai 1916 kommt er zur „Genesungsbatterie“ und wird gemäß einer Verfügung des Generalkommissars vom 8. November 1916 zur „Arbeitsdienstleistung“ zu seiner alten Arbeitsstelle, den Farbwerken Gersthofen entlassen, also wegen seiner Verwundung vom Militärdienst freigestellt. Johann ist seit 1922 Mitglied der Naturfreunde und ist Mitbegründer der Siedlungsgenossenschaft Gersthofen25 , ein Beleg für seine Prioritätensetzung.26
Johann ist für die Farbwerke Hoechst fast 8 Jahre tätig.27 Sein Engagement, Arbeitseifer und Organisationstalent haben sich herumgesprochen, er wird ab September 1924 Geschäftsführer beim Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands bei der Zahlstelle Augsburg.28
Johann wird also Gewerkschaftssekretär.29 Dort ist er für die gesamte Verwaltung, das Kassenwesen, die Auszahlung der Unterstützung, Lohnbewegung und Rechtsberatung zuständig. Er vertritt die Fabrikarbeiter vor Gerichten und Behörden im Bezirk Nordschwaben. Damit ist er auch viel im Außendienst tätig, er besucht im Rahmen seiner Ausbildung Kurse in München, Nürnberg, Hannover und unternimmt Studienreisen nach Holland und England 1927, nach Frankreich, Nordafrika (Tunesien) und die Schweiz 1928, ins Rhein- und Ruhrgebiet30 zur Besichtigung von Bergwerken, Hochöfen, Chemische Fabriken 1929.31
Am 21. Juli 1917 heiratet Johann in Gersthofen die um 4 Jahre jüngere Theresia Fleischner aus Burgheim.32 Am 21. Mai 1918 wird ihr erster Sohn Johann jun., 12 Jahre später am 5. September 1930 sein Bruder Hermann geboren.33
Im November 1924 war eine Totgeburt zu beklagen34 Die Familie wohnt bis 1922 in der Ludwig-Hermann-Straße 39, dann baut er in der Fichtestraße 1 ein Siedlerhaus.35
Gemeinsam mit Georg Braunmüller und Leonhard Schön hat Johann Sturm 1922 die Heimstätten-Siedlung gegründet und ist deren Geschäftsführer.
Die Idee ist, dass die Mitglieder sich gegenseitig beim Hausbau unterstützen, was hervorragend klappt. Die Grundstücke und Reihenfolge des Baus der Häuser werden verlost. Jeder hilft jedem, ist die Devise der Heimstätten-Siedlung. Johann Sturm ist der Organisator und Geldbeschaffer. Insgesamt sind 30 Familien Gründungsmitglieder in der Siedlungsgenossenschaft, später kommen weitere Personen hinzu. Alle bauen in der Ludwig-Hermann-Straße, in der Jahnstraße und in der Fritz-Ebert-Straße. Dank ihrer Solidarität kommen sämtliche Familien zu Hausbesitz.36
Sehr früh engagiert sich Johann Sturm nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches in der jungen Weimarer Republik in der Sozialdemokratie. Sein ganzes Leben bleibt er dieser Partei eng verbunden. Von 1919 bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 ist er Mitglied des Bezirkstages und als Mitglied der SPD ist er gleichzeitig gewählter Vertreter im Gemeinderat des Marktes Gersthofen.37
Ab der Machtergreifung am 30. Januar 1933 betreiben die Nazis reichsweit das Verbot der KPD, die Gleichschaltung der Länder und der Gesellschaft, Zerschlagung der Gewerkschaften und Auflösung der Parteien.38 Noch im März 1933 wird Johann Sturm sämtlicher Ämter enthoben und kommt am 13. März 1933 in Schutzhaft, zuerst ins „Gersthofer Haftlokal“, dann in den Augsburger Katzenstadel.
Am 10. März werden auch die in Gersthofen wohnhaften Arbeiter Franz Xaver Sterr, Johann Deurer, ab 24. März Georg Langemaier und Georg Mengele, Hermann Jensch, Ferdinand Abmeier und Leonhard Wanner (ab 30.3.1933) und Georg Kottmair ab 15. Mai 1933 in Schutzhaft genommen. Während die meisten von ihnen am 30. April 1933 wieder entlassen werden, kommen Franz Xaver Sterr, Leonhard Wanner, Hermann Jensch und Georg Kottmair39 ins KZ nach Dachau.40
Durch die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 war die KPD de facto verboten worden, ihre Mitglieder wurden verhaftet, die Partei als solche war aber noch zur Reichstagswahl am 5. März 1933 zugelassen worden.41 Danach richtet sich der Fokus der Nazis deutschlandweit auf die Sozialdemokraten. Johann Sturm wird zwar überraschenderweise am 9. April 1933 aus der Schutzhaft entlassen, aber am 2. Mai 1933 erneut für weitere 5 Wochen inhaftiert, denn an diesem Tage werden auch die Gewerkschaften zerschlagen.42 Am 23. Juni 1933 wird auf dem Weg zum Einparteienstaat auch die SPD verboten.43 Auch in Gersthofen kommt es seit dem 10. März zu einer Reihe von Verhaftungen, welche die Mitglieder der KPD und der SPD betreffen.
Für die Nazis war entscheidend, die lokalen Funktionsträger der KPD und der Sozialdemokraten mittel- und langfristig aus dem öffentlichen Leben auszuschalten, zu kontrollieren, einzuschüchtern und gegebenenfalls im KZ ihren Willen zu brechen.44 Oppositionelle kommen zuerst ins „Gersthofer Haftlokal“, dann meist in den Augsburger Katzenstadel.
Weil Johann Sturm auch erfinderisch tätig ist, kann er trotz Arbeitslosigkeit seine Familie dank seiner Erlöse aus dem Verkauf einer elektrischen Ofenreinigungsmaschine, welche eine ruß- und staubfreie Reinigung ermöglichte45 , über Wasser halten.
Johann verliert noch während seiner Haftzeit seine Arbeitsstelle als Gewerkschaftssekretär.46 Während seiner Verhaftung dringen zwei SA Leute in sein Haus ein, beschlagnahmen ein 12-bändiges Mayer’s Lexikon und andere Briefschaften.47 Seine Ersparnisse werden eingefroren, bis 1938 versucht er verzweifelt seine Familie über Wasser zu halten, was wegen seiner Diskriminierung durch die Nazis enorm erschwert wird.48 Zuerst versucht er es als Viehhändler, als Versicherungsvertreter, dann im Zeitschriftenvertrieb. Er hat die Zusage, als Karteiführer beim Fliegerhorst Gablingen arbeiten zu können, aber die NSDAP erteilt eine Absage.49 Nun möchte er eine Verkaufsstelle für Brot, Fleisch, Wurstwaren von der Gemeinde erhalten, erfolglos. Ebenso wird sein Antrag auf Genehmigung einer Verkaufsstelle für Baumaterialien abgelehnt.50
Ab Frühjahr versucht sich Johann als selbstständiger Unternehmer. Er meldet ein Patent für eine elektrische Ofenreinigung an. Seine Idee ist eine ruß- und staubfreie Ofenreinigung. Aber die Jahresumsätze fallen bescheiden aus. Auf höhere Anweisung muss er diese Arbeit aufgeben, er ist kein gelernter Hafner und müsste eine Meisterprüfung ablegen. Aber damals gab es noch kein Meister Bafög. Über Wasser halten kann sich die Familie dank der Mithilfe seiner Ehefrau Therese, die bei den örtlichen Bauern arbeitet.51
Erst ab 20. Juni 1938 kann Johann Baptist Sturm wieder ein regelmäßiges Einkommen als Busschaffner bei den Gersthofer Busbetrieben nachweisen. Als solcher hat er ein Einkommen von 165 RM, das sich bis 1945 auf 220 RM erhöht.52
Johann Sturm steht nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft unter permanenter Kontrolle der NSDAP und der Gestapo. Dies fällt den örtlichen Mandatsträgern umso leichter, weil Johann Sturm nun bei der Gemeinde Gersthofen als Omnibusschaffner angestellt ist.53 Ab 13. August 1938 erhält er den Mitgliedsausweis bei der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, die nach der Zerschlagung der Gewerkschaften die Arbeiter in die NS-Organisation einbinden und kontrollieren sollte.54
In einem Dossier der Ortsgruppe der NSDAP an die Gauleitung ist Johann Sturm neben 11 weiteren Personen als Gegner des Nationalsozialismus aufgeführt. Es sind dies:
Meitinger Johann, Bahnhofstraße 28 Bauarbeiter bei Jos. Heindl, Lützelburg, (Hat für die Bewegung nichts übrig); Schlund Johann Bauerngasse 10 IG Farben (Hat für die Bewegung nichts übrig), Inhofer Johann Ludwig Hermannstraße 107 (Hat für die Bewegung nichts übrig); Wanner Leonhard Hilfsarbeiter im Kies- und Schotterwerk, Funktionär der KPD (Dachau); Kottmair Georg Ludwig Hermannstraße 35, Zimmermann bei der Gemeinde, Funktionär der KPD (Dachau), Steber Xaver, Reichsautobahn, Eschenweg 12, Fa. Moll, Reichsautobahn: „ein gefährlicher Bursche“; Paulus Josef Augsburger Straße 120 , Fa. Moll, Reichsautobahn „ein gefährlicher Bursche“, asozial; Hesse Raimund, Hilfsarbeiter bei Sauer-Augsburg, KPD ; Utz Johann L. Hermannstr.24, Hilfsarbeiter Kies- und Schotterwerk, SPD-Funktionär ablehnend; Sturm Johann Fichtestraße 1 (ehemals Fritz-Ebert-Straße 1), Gelegenheitsarbeiter, Gewerkschafts-Sekretär, SPD; Wagner Peter Schlageterstraße 14, Steinmetz, Vater/Senior der Kolpingfamilie; Hampp Anton Bauerngasse, selbständiger Bauer, radikaler Schwarzer.
Die sämtlich aufgeführten Personen stehen politisch nicht auf unserem Boden. Ihre weltanschauliche Einstellung ist dem Nationalsozialismus völlig fern, tun auch nichts dergleichen, sich anzupassen. Sämtliche stehen unter Kontrolle der Gendarmerie und sind auch der Geheimen Staatspolizei gemeldet.55
Eindrucksvoll belegt dieses Dokument die beharrliche Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und vor allem auch die Kontrolle, der Johann Sturm wie die anderen genannten Personen ausgesetzt sind. In seinem Haus versteckt er die wunderbare Traditionsfahne der Gersthofer SPD (s.o.) im obersten Treppenabsatz seines Siedlerhauses.
Das Versteck wird von seiner Familie erst beim Umbau des Hauses in den 70-er Jahren entdeckt. Die Traditionsfahne übergibt Johann Sturm nach dem Krieg an seinen Nachfolger.
Am 8. Dezember 1943 erhält Johann Sturm einen Wehrpass. Er ist gemustert worden, trotz seiner mittlerweile 52 Jahre!
Nach der Katastrophe von Stalingrad56 rekrutieren die Nazis jeden verfügbaren Mann. In diesem Dokument wird er als „arbeitsfähig“ bezeichnet und dem Landsturm II zugeteilt. Infolge eines ärztlichen Attestes kommt es glücklicherweise nicht mehr dazu, dass er Kriegsdienst an der „Heimatfront“ ableisten muss. Das Volkssturm-Bataillon Gersthofen, 4. Kompanie teilt ihm am 12. Januar 1945 mit, dass er infolge der ärztlichen Untersuchung zum Dienst im Volkssturm nicht mehr antreten müsse.57
Am 28. April 1945 rücken amerikanische Kampfverbände von der Ludwig-Hermann-Straße kommend in Gersthofen ein. Die Stadt wird durch den Privatier Thomas Dembinski und Dr. Neussell an die US-Amerikaner übergeben, der Bürgermeister Georg Wendler ist „nicht auffindbar“. Erst am Abend des gleichen Tages erfolgte die offizielle Übergabe der Stadt durch den NSDAP-Amtsträger Georg Wendler. Die Militärregierung sperrt Wendler für 3 1/2 Jahre ins Internierungslager58 , er kommt aber infolge der politischen Entwicklung nach 2 Jahren wieder frei.59 Die Besatzungsmacht setzt den ehemaligen Polizeimeister Schäffner als kommissarischen Bürgermeister ein, der vom 28. April bis 21. Mai 1945 amtiert.60
Johann Sturm wird wegen seiner Integrität und Gegnerschaft zum Nationalsozialismus von den Besatzungstruppen am 21. Mai 1945 zum ersten Bürgermeister der Gemeinde ernannt und bleibt bis zum 31. Januar 1946 im Amt.61 Gemeinsam mit der Besatzungsmacht organisiert Johann Sturm die Behebung der Schäden der schweren Bombardierung vom 27. April 1945, die Wiederherstellung der Infrastruktur, der Post- und Verkehrswege sowie die Unterbringung der Evakuierten, eine Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl und Pragmatismus erfordert. Die Besatzungsmacht requiriert zudem zahlreiche der schönsten Häuser für die Dauer ihres Aufenthaltes in Gersthofen.62
Johann Sturm errichtet ab 26. Juni 1945 ein Gemeindewohnungsamt und organisiert den Bau einer Notbrücke über den Lech, um die Versorgung aus dem Umland sicherzustellen. Auf seinen Antrag hin wird die Gemeindepolizei (bisherige Schutzpolizei) aufgelöst und die bisherige Gendarmerie als künftige Landespolizei wieder eingeführt.63
Ab 1. Februar folgt ihm Josef Scheifele, seit 6.1.1946 Ortsvorsitzender der CSU im Bürgermeisteramt, infolge der neuen Sitzverhältnisse im Gemeinderat nach.64 Die ersten demokratischen Kommunalwahlen hatten in Gersthofen am 27. Januar 194665 bzw. in anderen Kommunen im April 194666 stattgefunden. Johann Sturm verbleibt bis zu seinem Tod am 20. Januar 1956 Mitglied im Gemeinderat des Marktes Gersthofen.67
Johann Sturm ist auch nach dem II. Weltkrieg wieder als Omnibusschaffner tätig. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Konsumgenossenschaft Augsburg. Von diesem Amt tritt er erst mit Erreichen seiner Pensionierung zurück. Sein Mandat als Kreisrat, das er bereits von 1919 bis 1933 als Mitglied der SPD innehatte, übt er von 1946 bis zu seinem Tod am 20. Juni 1956 aus. Die Bürger Gersthofens haben ihm stets ihr Vertrauen ausgesprochen und seinen einzigartigen, vorbildlichen Einsatz für das Allgemeinwohl honoriert.
Johann Sturm war ein herausragender, mutiger und auf Integration bedachter Bürger Gersthofens, der immer da war, wenn man ihn rief. Er war von 1946-1947 Vorsitzender des TSV Gersthofen68 , Gründungsmitglied der Handballabteilung im Januar 1946 sowie Mitglied des Verwaltungsrats der Kreissparkasse Augsburg. Johann Sturm verstarb am 20. Juni 1956 um 21 Uhr 50 im Alter von 65 ½ Jahren. Es hat nahezu symbolischen Charakter, dass er kurz nach Erreichen der Pensionsgrenze verstarb. Umtriebig und rastlos wie er war, konnte er sich ein Leben im Ruhestand eigentlich nicht vorstellen.
Wir wollen an Johann Baptist Sturm mit einem Stolperstein und dieser Biografie erinnern.
Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen – Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben bernhard.lehmann@gmx.de
Alle Rechte beim Verfasser
Bildernachweis:
Mit Ausnahme Katzenstadel und der Dokumente aus dem Stadtarchiv und Staatsarchiv Augsburg alle aus dem Privatbesitz der Familie Berthold und Waltraud Peter.
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– NSDAP-Kreisleitung, Augsburg-Land 1/15 Bl. 1
Stadtarchiv Amberg (StadtAAm)
Meldekarte (MK):
– Karl und Berta Egerer, geb. Sturm
Stadtarchiv Ichenhausen (StadtAIchen)
Meldebogen (MB):
– MB Edmund Sturm
Stadtarchiv München (StadtAMü)
– Edmund Alois Sturm
Stadtarchiv Straubing (StadtAStraub)
Meldebogen (MB):
– Johann Baptist Sturm
Privatarchiv Berthold Peter
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
https://www.csu-bad-aibling.de/wp-content/media/Die_Geschichte_der_CSU_Kommunalwahlen.pdf
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/einparteienstaat.html
http://www.documentarchiv.de/ns/lndrgleich02.html
https://www.gewerkschaftsgeschichte.de/1933-die-zerschlagung-der-gewerkschaften.html
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Machtergreifung_in_Bayern,_9._M%C3%A4rz_1933
Johannes Krauße, Chronik der Stadt Gersthofen 969-1989, Gersthofen 1989.