Gersthofen, Ludwig-Hermann-Straße 55
KZ Dachau
Hermann Wilhelm Jensch ist am 23. April 1907 in Eyb/Kreis Ansbach geboren.
Sein Vater Heinrich Jensch (geb. 1877) stammt aus Straupitz in Schlesien, seine Mutter Anna Maria, geb. Kneisl (geb. 1877) ist gebürtig in Riglasreuth/Kemnath1 .
Wie sein Großvater Karl Wilhelm und sein Vater Heinrich ist Herrmann Wilhelm Zimmermann von Beruf2 .
Zimmerleute gehen seit dem Mittelalter zur Komplettierung ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten bekanntermaßen auf die Walz. Die Walz ist Voraussetzung, um Meister werden zu können. Durch die Wanderjahre sollen die Gesellen nicht nur die lokalen, sondern auch ortsfremde oder in ganz Europa praktizierte Arbeitsweisen und Baustellen kennenlernen und so ihr Können erweitern. Auch der Umgang mit Fremden, die Selbstständigkeit und die soziale Kompetenz sollen dabei ausgereift werden3 . Soweit wir wissen, war Hermann in Baden-Württemberg auf der Walz, mit Sicherheit auch an anderen Orten4 .
Von München kommend taucht Herrmann Jensch am 10. Februar 1930 erstmals in Gersthofen auf. Vermutlich ist es seine spätere Frau Rosa geb. Hammerl5 , die ihn dazu bewegt hat, sich in Gersthofen niederzulassen. Rosa stammt aus einer alten Gersthofer Familie.
Mit Sicherheit lernt er vor Ort den Zimmerer Georg Kottmair kennen, der im Oktober 1930 von der Walz in die Heimat zurückkehrt6 . Dieser wohnt in der Ludwig-Hermann-Straße 35, unweit von Hermann Jensch.
Es sind keineswegs ideologische Gründe oder der Wunsch nach einer Weltrevolution, sondern eher die Weltwirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit, die Hermann Jensch dazu bewogen haben, in die KPD einzutreten. Gemeinsam mit Georg Kottmair verspricht er sich durch Engagement in der Partei eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.
Am Tag der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 19337 kommt Hermann Jensch in „Schutzhaft“ 8 . Anfangs ist er im Gersthofer „Haftlokal“ in der Donauwörtherstraße 28 neben der Kirche St. Jakobus eingesperrt9 . Später kommt er nach Augsburg in den Katzenstadel10 . Am 5. Mai 1933 wird Jensch gemeinsam mit dem Zimmermannskollegen Franz Xaver Sterr und Leonhard Wanner, beide aus Gersthofen, ins Konzentrationslager Dachau überführt11 . Im „Verzeichnis derjenigen Schutzhäftlinge, die für das Lager Dachau in Frage kommen. Es handelt sich durchweg um Kommunisten“12 ist Hermann Jensch unter der Nummer 10 aufgelistet, mit dem Zusatz: „Eifriger Anhänger, Hetzer“ 13 .
Es ist anzunehmen, dass die Jensch, Kottmair, Wanner und Sterr konkrete Maßnahmen gegen die Nazis in Gersthofen ergriffen und die Bevölkerung vor einer Machtübernahme gewarnt haben. Hermann Jensch bleibt 18 Monate im KZ14 . Dort hat er die Häftlingsnummer 147915 . Erst am 23. Oktober 1934 kehrt er von Dachau nach Gersthofen zurück16 .
Wie bei Georg Kottmair haben die SS-Schergen versucht, den Charakter und Willen von Hermann Jensch zu brechen. Körperlich ist Hermann sehr robust, aber nach seiner Rückkehr aus dem KZ wagt er es nicht mehr, sich politisch zu engagieren, denn ein zweiter Aufenthalt im KZ hätte wahrscheinlich den sicheren Tod für ihn bedeutet. Hermann Wilhelm Jensch spricht mit niemandem über seinen KZ-Aufenthalt, die Furcht blieb bis zu seinem Tode präsent. Zu sehr haben Terror, Erniedrigungen und Gewalt im KZ ihn geprägt.
Er sucht die Geborgenheit und Zuneigung seiner um 5 Jahre jüngeren Freundin Rosa Hammerl17 und heiratet diese am 14. Juni 1935 in Gersthofen im Alter von 28 Jahren18 . Sie wohnen gemeinsam in der Ludwig-Hermann-Straße 55.
Am 8. Januar 1941 wird Hermann Jensch vom nationalsozialistischen Regime zum Kriegsdienst eingezogen. Bis Mitte 1942 dient er in verschiedenen Bataillons, ehe er im April 1942 der Heeresbaudienststelle zugewiesen wird. Im März 1944 kommt er zum 4. Sicherungsbataillon19 , ab Mai 1944 zum Grenadier-Regiment 1018 der 70. Infanterie-Division mit Einsatzraum Niederlande20 . Wir wissen, dass er an der Westfront diente und zweimal in Kriegsgefangenschaft geriet. Beide Male scheint ihm die Flucht gelungen zu sein21 . Nach Kriegsende ist er vom 1. Dezember 1945 bis zum 23. März 1946 in Gewahrsam der USA22 .
Für seine 18-monatige Haftstrafe erhält Hermann Jensch 1950 eine kleine Entschädigung zugesprochen.
Hermanns Sohn Ingo kommt 1951 und 5 Jahre später seine Tochter Jutta23 zur Welt24 . Hermann ist bereits 49 Jahre, seine Frau Rosa 44 Jahre. Rosa hatte vor der Geburt Ingos Abgänge im zweistelligen Bereich, nach seiner Geburt folgten noch weitere Abgänge25 . Im Jahr 1955 zieht die kleine Familie in die Siedlerstraße 17.
In der Nachkriegszeit ist Hermann bei der Firma Halbeck bei der Lechchemie beschäftigt26 . Er ist ein vorzüglicher Handwerker, der jüngeren Mitarbeitern ein Vorbild ist27 . Hermann ist stolz darauf, beim Stadtbad die Holzverschalung vor Ort erstellt zu haben. 1965 erleidet Hermann Jensch einen Herzinfarkt und wird frühpensioniert. Hermann Wilhelm Jensch verstirbt am 4. Februar 1983, seine Ehefrau Rosa 16 Jahre später am 13. März 199928 .
Nach Aussagen seiner Kinder war Hermann Jensch überaus ruhig, zurückhaltend und introvertiert. Signifikanterweise war Fischen sein großes Hobby. In seiner Rente spielt er auch leidenschaftlich in der Sportgaststätte Schafkopf29
. Seine Hobbys betreibt er mit demselben Ernst wie seinen Beruf.
Der um 33 Jahre jüngere Franz Ammann ist noch heute verwundert, wie Jensch seine politische Gesinnung treffend taxiert hat, obwohl er nur wenige Worte mit ihm wechselt. Zeit seines Lebens ist Hermann ein scharfer Beobachter, kein Luftikus, er ist immer sehr ernst und wenig zugänglich30
. Er hat eine dezidierte politische Meinung und denkt überaus zielgerichtet.
Wir wollen diesem charakterstarken, mutigen Mann einen Stolperstein widmen und an ihn erinnern. Zivilcourage unter Einsatz seines Lebens zu zeigen ist und war keine Selbstverständlichkeit.
Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben
2020
Archiv der KZ Gedenkstätte Dachau
− Auskunft Andre Scharf vom 8.6.2017
Auskunft Franz Ammann vom 29.7.2019
Auskunft Ingo Jensch vom 22.7.2019
Auskunft Jutta Polz vom 29.7.2019
Stadtarchiv Gersthofen (StadtAGerst)
− EWO-Meldekarten und Personenstandsunterlagen Herrmann Wilhelm Jensch und Anna Maria Jensch
ITS Bad Arolsen
− Dok.Nr.9908621
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein