Paul Englaender

Geboren:
04.07.1884, Jarotschin/Polen
Gestorben:
07.03.1943, Augsburg

Wohnorte

Posen
Breslau
Freising
Augsburg, Annastraße 6
Augsburg, Bahnhofstraße 18 1/5

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Geplante Deportation
nach Auschwitz
am 8. März 1943

Freitod am 7. März 1943

Erinnerungszeichen

Am 28. Juni 2017 wurde ein Erinnerungsband für Paul und Hedwig Englaender in der Annastraße 6 angebracht.

Biografie

Paul Englaender kam aus Posen, wo er am 4. Juli 1884 als Sohn des Kaufmanns Louis und seiner Ehefrau Jeanette, geb. Grün in Jarotschin geboren wurde, das damals zu Preußen gehörte und seit 1918 zu Polen. Nach dem Abschluss seiner Gymnasialzeit 1902 studierte Englaender in Breslau und Freiburg i. Br. Zahnmedizin. 1906 legte er in Freiburg sein Staatsexamen mit der Note „gut“ ab. Warum er nach einer vorübergehenden Tätigkeit als Assistenzarzt 1910 nach Augsburg zog, ist nicht bekannt. Seit 1916 war er im Kriegsdienst, im letzten Kriegsjahr als Zahnarzt auf der Kieferstation eines Feldlazaretts. 1921 wurde er an der Universität Würzburg mit einer Arbeit zur „Antisepsis und Asepsis in der zahnärztlichen Praxis“ promoviert. 1914 heiratete Englaender die 1891 geborene Hedwig Steinfeld, die Tochter von Hugo (1884-1941) und Lina Steinfeld, geb. Heilbronner (1869-1941). Damit gehörte er zu den ersten Kreisen der Stadt und angesehenen Mitgliedern der Kultusgemeinde. Sein Schwiegervater war ein wohlhabender Geschäftsmann und großzügiger Förderer des Synagogenneubaus zwischen 1914 und 1917. Dem Kommerzienrat gehörte, zusammen mit seinem Schwager, die renommierte Textilfirma Wimpfheimer & Co. in der Bahnhofstraße 18 1/5. Das repräsentative Geschäftshaus bildete mit seinen kupferbedeckten Türmen und Erkern eine Sehenswürdigkeit der Stadt. Zudem wirkte Steinfeld als einer der ersten Juden in der Augsburger Kommunalpolitik, zuerst als Gemeindebevollmächtigter, seit 1919 als Stadtrat der Deutschen Demokratischen Partei (DDP).

Paul und Hedwig Englaender zogen in die Annastraße 6, in dasselbe Haus, in dem auch die Praxis untergebracht war. Dort wuchsen ihre zwei Kinder, die 1915 geborene Tochter Elisabeth, genannt Lisl (gest. 1980) und der vier Jahre später geborene Sohn Hans/John (1919-2007) auf. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten trafen den Zahnmediziner die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Staats sofort und ungebremst, weil er wegen seines Geburtsorts als „Ostjude“ galt. Die Augsburger NSDAP setzte seinen Namen auf den Aufruf zum Boykott der Arztpraxen, Geschäfte und Rechtsanwaltskanzleien von Juden am 1. April 1933. Noch im April folgte der Entzug der Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen. Unter Schwierigkeiten konnte Englaender seine Praxis noch mit Privatpatienten weiter führen, bis ihm der NS-Staat mit dem Entzug der Approbation zum 31. Januar 1939 jegliche Tätigkeit in seinem erlernten Beruf untersagte.

Paul und Hedwig Englaender, 1938. (George Sturm, Englewood, NJ/USA)

Die Familie konnte sich die Wohnung in der teuren Annastraße nicht mehr leisten und zog Ende 1939 in das elterliche Haus in der Bahnhofstraße 18 1/5 in die Wohnung von Hedwigs Zwillingsschwester Anna, die im Oktober mit ihrer Familie in die USA geflohen war. Hedwig und Paul Englaender wollten ebenfalls emigrieren. Doch weil Paul Englaender als polnischer Staatsbürger galt, konnten sie nicht gemeinsam auswandern. Da sie sich in der ungewissen Situation nicht trennen wollten, blieben sie in Augsburg, auf der Suche nach einem Ausweg. Ihre Kinder hatten sie zuvor in den USA in Sicherheit bringen können. Nun erlebten sie die ständig härter werdenden Repressionen. Seit Anfang 1939 mussten sie die Zwangsnamen Sara und Israel tragen, seit September 1941 das gelbe Zwangskennzeichen. Das Haus in der Bahnhofstraße hatten die Nationalsozialisten bereits 1939 zum „Judenhaus“ gemacht, in das sie andere Juden zwangsweise einquartierten. Das Auswanderungsverbot für Juden vom 23. Oktober 1941 machte alle Hoffnungen der Englaenders, Deutschland doch noch verlassen zu können, zunichte.

Mittlerweile mussten sie ihre Wohnung mit zwei anderen Paaren teilen. Hedwig musste seit dem 27. April 1942 täglich zur Zwangsarbeit in die Ballonfabrik Augsburg gehen. Als das Paar Anfang April 1943 die Aufforderung zur Deportation nach Auschwitz erhielt, beschloss es den Freitod, wie zuvor schon ihre Schwiegereltern, die am 6. November 1941 Selbstmord begangen. Am 7. März 1943, einen Tag vor ihrer geplanten Deportation, nahmen sich Paul und Hedwig Englaender zusammen mit Ludwig und Selma Friedmann, Julius und Anna Guggenheimer und Louis Karl Kohn das Leben. Das Arztehepaar Zeitler war in der Nacht bei ihnen. Nach dem Krieg übergaben sie Hans Englaender, der sich nun John Englaender nannte, die goldene Armbanduhr, die sie in der Nacht von seinem Vater erhalten hatten.

Benigna Schönhagen, Dr. Paul Englaender, in: Benigna Schönhagen und Michael Spotka, Augsburgs jüdische Ärzte im Nationalsozialismus. Ein Stadtrundgang, Augsburg 2016.

Angehörige
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Abt. IV Kriegsarchiv 
Kriegsstammrollen, (KStR; eingesehen bei www.www.ancestry.de):
– Bd. 20030 KStR Bd. 3

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Bestand Amtsgericht Augsburg Nachlassakten
– VI 103, 104/1950

Bestände Familienbögen und Meldekartei

Bestand Wiedergutmachungsbehörde für Schwaben (W.B. V):
– W.B. V a 214
– W.B. V a 485
– W.B. V a 608

Literatur:

Souzana Hazan, …dieser schönen Welt Lebewohl sagen. Der Weg der Familie Sturm aus Augsburg, in: Benigna Schöntaten (Hg.), Lebenslinien. Deutsch-jüdische Familiengeschichten Bd. 3, Augsburg 2010.

Gernot Römer (Hg.), An meine Gemeinde in der Zerstreuung. Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941 – 1949. Mit einem Beitrag von Walter Jacob, Materialien zur Geschichte des Bayerischen Schwaben, Bd. 29, Augsburg 2007.