Wohnorte in Augsburg:
Augsburg, Georgenstraße 25
Augsburg, Karrengäßchen 12
Augsburg, Zwerchgasse 14
Augsburg, Lauterlech 18
Augsburg, Karrengäßchen 12
Augsburg, Lochgäßchen 22
Augsburg, Hermanstraße 5
15.04.31-15.08.31:
Gefängnis Laufen
22.04.33-03.08.33:
Gefängnis Amberg
12.03.34-05.08.37:
KZ Dachau
19.11.40-20.01.41:
Stadtgefängnis Augsburg/JVA Kaisheim
24.01.41-03.03.42:
KZ Dachau
03.03.42:
Tötungsanstalt Hartheim/Linz
Anton Wittmann ist am 4. Januar 1894 als Sohn des Ökonomen Anton und seiner Frau Johanna, geb. Griechbaum in Batzenhofen geboren.1 Der Lebensmittelpunkt der Familie aber liegt nach 1895 in Hainhofen.2
Anton ist der älteste Sohn des Ehepaars. Sein Bruder Johann ist ebenfalls in Batzenhofen geboren, sein Bruder Martin, geb. 1896 und seine beiden Schwestern Karolina, geb. 1898 und Johanna, geb. 1902 sind gebürtige Hainhofer.3
Über die Schul- und Berufsausbildung von Anton wissen wir nur sehr wenig. In den Unterlagen wird als Beruf wechselweise Fabrikkontrolleur, Hausbursche, Stallarbeiter und Hilfsarbeiter angegeben, zeitweise hat er 1918 nach Kriegsende als Lehrling in der Bäckerei Geh gearbeitet.4 Seit 1908 wohnt Anton dauerhaft in Augsburg, aber er ist 1912 in München gemeldet, von dort kehrt er wieder nach Hainhofen zurück, wo er als Hausdiener bei Ludwig Heiss angestellt ist.5
Im Alter von 21 Jahren wird er zum Heeresdienst eingezogen6 und „dient“ vom 25.2.1915 bis 9.11.1918 im Bayerischen Heer7 Er ist in der Prinzregentenstraße 1 in München gemeldet.8 Ob und wo er an die Front eingesetzt wird, wissen wir nicht. Als sein 2 Jahre jüngerer Bruder Martin eingezogen wird, macht die Familie ein Foto. Auf ihm ist Anton im Gegensatz zu seinem Bruder in Zivil abgebildet.9
Ab April 1919 ist er bei der Firma Eberle in Augsburg ganze 10 Jahre als Fabrikkontrolleur tätig, wohnt bis 1928 alternativ in Hainhofen und Augsburg.10 Weil Homosexualität auch in der Weimarer Republik unter Strafe gestellt ist, verbüßt er in der Gefängnisanstalt Laufen vom 15. April bis zum 15. August 1931 eine Gefängnisstrafe.11
Homosexualität stand bis zum Jahre 1969 generell unter Strafe, erst im März 1994 wurde der Paragraph aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.12 Übrigens galt auch Ehebruch bis 1969 als Straftatbestand. Viele Menschen wurden seit 1872 auf diese Weise wegen ihrer sexuellen Orientierung kriminalisiert. Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde der Paragraph 175 im Jahr 1935 noch deutlich verschärft: „Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Bereits ein bloßer Verdacht oder eine Denunziation konnte ausreichen, um mit bis zu zehn Jahren Gefängnis und Konzentrationslager bestraft zu werden.13
Die Nazis gehen gegen Personen, die nicht ihrem völkischen Weltbild entsprechen, gnadenlos vor. Anton Wittmann kommt als Häftling am 22. April bis zum 3. August 1933 ins Gefängnis in Amberg, sodann wird er als Häftling Nr. 5386 vom 12. März 1934 bis 5. August 1937 im KZ Dachau registriert.
Am 19. November 1940 gerät er erneut in den Fokus der Polizei Augsburg, die ihn in der Haftanstalt Augsburg einliefert und dann in die JVA Kaisheim verbringt.
Am 20. Januar wird er gemäß den Listen ins KZ Dachau „verschubt“.14 Dort wird Anton Wittmann dieses Mal als Häftling unter der Nr. 23498 registriert. Er bleibt bis 3. März 1942 in Dachau.15 Als Haftkategorie ist vermerkt: „Homosexuell. Schutzhäftling, Polizeiliche Sicherheitsverwahrung“.
Selbst nach verbüßter Strafe konnten sog. „Gemeinschaftsfremde“ nicht damit rechnen, in die „Volksgemeinschaft“ aufgenommen zu werden. Der Begriff „Gemeinschaftsfremde“ wurde in der NS-Zeit gleichbedeutend mit „Asoziale“ verwendet.16 Die NS-Rassenlehre hatte einen spezifischen Begriff von „asozial“. „Asozial“ war demnach ein Mensch, der in seinem Verhalten dem nationalsozialistischen Menschenbild nicht entsprach. Das ließ in der Praxis beliebige und willkürliche Verwendungen des Begriffs zu. „Gemeinschaftsfremde“ und Kranke galten als „minderwertig“, gleichsam als gesellschaftlicher „Bodensatz“.17 Damit ist ein Aspekt der rassistischen Gesellschaftspolitik des NS-Staates angesprochen: Der „Volkskörper“ sollte von allen „kranken“ und „asozialen“ Elementen“ gereinigt werden.
Am 3. März 1942 wird Anton per „Invalidentransport“ im Rahmen der Aktion 14f13 nach Schloss Hartheim bei Linz deportiert und dort am gleichen Tag, am 3. März 1942, vergast und verbrannt.18
Nach dem Abbruch der Aktion T4 im August 1941 erhält die Tötungsstation in Hartheim eine neue Funktion. Im Rahmen dieser Aktion werden kranke und vermeintlich nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge von Konzentrationslagern nach einer „Begutachtung“ durch Ärztekommissionen in Tötungsanstalten verbracht und dort mit Gas ermordet. Im Schloss Hartheim sind dies Häftlinge aus den KZ Dachau, Mauthausen und Gusen. Sie werden teils mit Bussen aus den Fuhrparks der KZ, teils mit Bussen der Aktion T4 transportiert. In Hartheim werden sie nochmals einem der Ärzte vorgestellt, was aber nur der Suche nach Zahngold dient.19
Annähernd 12.000 Menschen werden auf diese Weise auf Schloss Hartheim ermordet, davon viele aus Augsburg.20 Den Angehörigen von Anton Wittmann wird vorgegaukelt, Anton sei im KZ Dachau am 16. April 1942 verstorben. Auch das Todesdatum wird gefälscht, um wegen der Massentötung von Häftlingen kein Aufsehen zu erregen.21 Das Standesamt Dachau beurkundet als Sterbeursache: „Versagen von Herz und Kreislauf bei Lungenentzündung.“ Der Mutter wird mitgeteilt, dass die Leiche in Dachau feuerbestattet worden sei.22 , wovon keine Rede sein kann.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde Anton Wittmanns Asche zusammen mit der anderer Ermordeter in der 4 km entfernten Donau verstreut. Ebenso möglich ist es, dass die Schergen die Asche der Ermordeten wahllos in Urnen füllten und sie an die Angehörigen versandten.23 Da die Körper bei der Verbrennung nicht vollständig zu Asche zerfielen, setzte man eine elektrische Knochenmühle ein.
Wenn man den Nationalsozialisten trauen mag, dann wurden die sterblichen Überreste von Anton Wittmann nach Augsburg überführt und auf dem Augsburger Westfriedhof beigesetzt.24
Da kein Testament von Anton Wittmann existierte, wurde Anton Wittmanns Erbe nach der gesetzlichen Erbfolge unter der Mutter Johanna zur Hälfte, die andere Hälfte unter den Geschwistern Johann, Martin, Karolina Kuisel geb. Wittmann und Johanna Wiesmüller geb. Wittmann zu je 1/8 aufgeteilt.25
Am 4. März 1950 stellte seine Mutter Johanna beim Bayerischen Landesentschädigungsamt den Antrag auf „Entschädigung“ für den Lebensverlust ihres Sohnes.26 Zur Begründung führte die Mutter an, dass ihr Sohn bei einer Versammlung von Hitlergegnern verhaftet und ins KZ Dachau verbracht worden sei, wo er am 15. April 1942 verstorben sei. Ihr Sohn habe teilweise ihren Lebensunterhalt bestritten.
Erst 4 Jahre später (!), am 26. März 1954, wurde über den Antrag rechtskräftig entschieden und ihr Antrag abgelehnt. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass „aus den Aktenvorgängen der Polizeidirektion Augsburg“ hervorgehe, „dass der Verstorbene mehrmals wegen Vergehens nach § 175 verurteilt wurde. Im Anschluss an die letzte Verurteilung aus diesem Grunde wurde er in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Eine politische Verfolgung scheidet damit aus. Der geltend gemachte Anspruch wegen Schadens an Leben war daher wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 1 BEG abzulehnen"27 .
Kein Wort wurde im Bescheid darüber verloren, dass Anton Wittmann ermordet worden ist und die Ermordung selbst nach im Nationalsozialismus geltendem Recht ein Verbrechen war.
Wir wollen mit dieser Biografie und einem Stolperstein an Anton Wittmann erinnern.
© Biografie verfasst von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen – Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben
Arolsen Archives
– Nr. 10369570 Anton Wittmann
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)
Landesentschädigungsamt (LEA):
– Akte Anton Wittmann
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
Amtsgericht Augsburg (AG Augsburg):
– Nachlassgericht, Akte VI 111/55 Anton Wittmann
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Anton Wittmann
Götz Aly, Die Belasteten >Euthanasie< 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013.
Florian Schwanninger, Hartheim und Niedernhart. Zwei Stätten der NS-Euthanasie in Oberösterreich, in: Waltraud Häupl (Hg.), Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940-1945. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Euthanasie, Wien 2008.
Florian Schwanninger, „Wenn du nicht arbeiten kannst, schicken wir dich zum Vergasen.“ Die „Sonderbehandlung 14f13“ im Schloss Hartheim 1941–1944, in: Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, 2. Auflage, Linz 2008, S. 155-208.
Alexander Zinn, „Aus dem Volkskörper entfernt?“. Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus, Erfurt 2017.