Augsburg, Friesenstraße 12
Augsburg, 4. Quergäßchen 5
Augsburg, Im Sack 10
Augsburg, Wertachstraße 10
Augsburg, Im Sack 10
Augsburg, 4. Quergäßchen 5
Augsburg, Schätzlerstraße 15
Augsburg, Milchberg 13
Augsburg, Neuburgerstraße 95
Augsburg, Rosengasse 17
Augsburg, Grimmstraße 11
Augsburg, Zwerchgasse 7
Augsburg, Kuhgäßchen 5
Augsburg, Inneres Pfaffengäßchen 14
Augsburg, Lange Gasse 12
Augsburg, Oblatterwallstraße 22a
Augsburg, Bäckergasse 18
KZ Dachau
Adam Huttner ist am 12. August 1899 in Augsburg geboren. Seine Eltern sind der Werkstattschreiner Johann Huttner und Justina, geb. Weixler.1 Nach Absolvierung der Volksschule beginnt er im September 1913 in der Metallgießerei Josef Strobl, Oblatterwall 48 b, eine Lehre, wird aber nach einem Monat wieder ausgestellt.2
Am 26. März 1914 wird vom Amtsgericht Augsburg seine Zwangserziehung angeordnet. Adam ist 15 Jahre alt. Vermutlich ist er mit seinem Vater oder seinem Arbeitgeber nicht klargekommen. Es muss erhebliche Differenzen gegeben haben, denn er wird für vier Jahre in die Erziehungsanstalt „Piusheim“ bei Glonn eingewiesen.3 Das Heim galt als Erziehungs- und Ausbildungsort für schwer erziehbare Kinder bis zu 18 Jahren.4 Ende Februar 1918 kommt er von der Erziehungsanstalt Ringsheim auf den Bauernhof des Ökonomen Scherer in Wolpertstetten bei Blindheim, wo er 9 Monate bis zum 4. Januar 1919 arbeitet.
Offensichtlich bestreitet Adam danach seinen Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter, als Ausgeher, Taglöhner, Bauhilfsarbeiter. Er sucht Arbeit in Bühl, Wemding, Darmstadt und Biberbach, ab 1921 ist er wieder in Augsburg gemeldet.
Mit 22 Jahren heiratet er am 13. November 1921 die aus Friedberg stammende Adelheid Kandler.5 Es wird deutlich, dass Adam Geborgenheit und Zuneigung sucht. Mit Adelheid hat er einen Sohn Georg, geb. am 9. September 1921, und eine Tochter Adelheid Elisabeth, geb. am 12. November 1923.6 Laut Einwohnermeldeamt wechselt die Familie häufig den Wohnsitz. Als Straßenbauarbeiter ist er nun permanent auf Arbeitssuche in der Umgebung von Augsburg, zeitweise ist er beim Straßenbauamt Augsburg und in einer Brauerei beschäftigt.
Bereits im November 1924 wird die Ehe nach 3 Jahren wieder geschieden, Adelheid zieht mit ihren Kindern nach der Scheidung ins nahe Friedberg.7 Für die Kinder leistet er keine Zahlungen. Die Behörde hält fest, dass bei Vermögensanfall des Adam Huttner dem Jugendamt sofort Mitteilung zu machen sei.8 Immer wieder verliert er seinen Arbeitsplatz.
Bei der Polizei ist er seit Juli 1924 aktenkundig, allerdings wissen wir nicht, welcher Vergehen er sich schuldig gemacht haben soll. Unterlassene Unterhaltszahlungen gelten später während der Zeit des Nationalsozialismus durchaus bereits als Grund, ins KZ eingewiesen zu werden.9
Im Februar 1925 heiratet Adam Huttner Marie Hörbrand aus Lechhausen.10 Mit ihr ist er zwischen 1926 bis 1929 ständig auf Wanderschaft, häufig nächtigen sie in Wirtschaften. Das Paar ist in Mannheim, Viechtach, Haberskirch und anderen Orten auf Arbeitssuche und verrichtet Gelegenheitsarbeiten. 1929 wird die Lage für die Familie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise immer kritischer, sie können den Lebensunterhalt kaum mehr bestreiten.
Seit dem Kaiserreich betrachten die Behörden das Wandern zwecks Arbeitssuche zunehmend als überflüssig. Die Behörden stilisieren „sinnlos erscheinendes“ Wandern „systematisch zur asozialen und krankhaften Eigenschaft der Betroffenen“11 und stigmatisieren diese Personen entsprechend.
Seit dem Ende der 1920-er Jahre werden die Landstraßen des Deutschen Reiches von Facharbeitern, ungelernten Arbeitern, kleineren Angestellten und einer wachsenden Zahl von Jugendlichen bevölkert, die aufgrund von Massenarbeitslosigkeit ihre Beschäftigung verloren haben bzw. keinen Ausbildungsplatz finden. Um zu überleben, nehmen diese Menschen Gelegenheitsarbeiten an, betteln oder schlagen sich mit Hausieren, Musizieren, manchmal auch mit Betrügereien und kleinkriminellen Delikten wie Essensdiebstählen und Zechbetrug durch.12
Die Ehe mit seiner zweiten Ehefrau Marie scheitert nach 7 Jahren und wird wegen beidseitigen Verschuldens im April 1932 rechtskräftig geschieden.13 Seit 1929 leben die beiden bereits getrennt. Adam wohnt teilweise bei seiner Mutter in Augsburg im 4. Quergäßchen Nr. 5.
Wegen seiner unzulänglichen Ausbildung und der fehlenden emotionalen Wärme des Elternhauses führt Adam ein auffällig unstetes Leben, er scheint die Orientierung gänzlich verloren zu haben. Während der Jahre 1924 bis 1943 wechselt er 16 Mal seinen Wohnsitz in Augsburg. Allein dieser Sachverhalt verweist auf die völlige Mittellosigkeit Adams. Von September bis Mitte November 1930 nächtigt er nach eigenen Angaben unter freiem Himmel beim Wirtshaus zur Sonne in Augsburg.
Dazwischen wird Adam immer wieder verhaftet bzw. meldet sich nach Viechtach, Nürnberg, Walleshausen bzw. ins Gefängnis nach Landsberg bzw. Eichstätt oder ins Arbeitslager ab.14 Von November 1930 bis Mitte Februar 1931 ist er in der Strafvollzugsanstalt Augsburg. Wahrscheinlich ist er als Obdachloser von der Polizei aufgegriffen worden. Laut einer Aufstellung der Stadt Augsburg vom 13. Mai 1958 soll Adam Huttner bis zum Jahre 1941 20 Strafanträge erhalten haben. Leider können wir dies nicht mehr nachvollziehen.15
Im März 1934 wird Adam von den Nazis erstmals, dann wieder im Juni 1936 erneut verhaftet und kommt in die Strafvollzugsanstalt Eichstätt. Es ist anzunehmen, dass er in das Arbeitshaus Rebdorf bei Eichstätt eingeliefert worden ist. Von dort kehrt er erst im Februar 1938 zurück. Er hat keine feste Bleibe in Augsburg, im Juni wohnt er beispielsweise in der „Herberge zur Heimat“ der Inneren Mission, Inneres Pfaffengäßchen 14.16 Wir verfügen nur über bruchstückhaftes Wissen zu seiner Person, und immer nur aus der Perspektive der Machthaber. Ab Januar 1942 wird Adam wiederum in ein Arbeitslager eingewiesen. Wir wissen aber nicht, um welches Arbeitslager es sich gehandelt hat.
Von der Bäckergasse 18 aus, seinem letzten freien Wohnsitz in Augsburg17 , kommt er am 6. Januar 1943 ins KZ Dachau. Adam erhält die Gefangenennummer 41708. Als Grund seiner Einlieferung ins KZ ist PSV, also polizeiliche Sicherungsverwahrung angegeben. Mit dieser Bezeichnung werden wiederholt straffällig gewordene Personen ins KZ eingewiesen.18
Gemäß dem am 14. Dezember 1933 erlassenen „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“19 konnten rückfällige Straftäter, d.h. zweimal rechtskräftig verurteilte Personen, bei einer dritten Straftat in Sicherungsverwahrung genommen werden, sofern der Delinquent als Gewohnheitsverbrecher taxiert wurde20 und dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit notwendig erschien. Damit konnten die Strafen von rückfälligen Straftätern über Gebühr verlängert werden. Ab 1941 war sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich:
Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher (§ 20a des Strafgesetzbuchs) und der Sittlichkeitsverbrecher (§§ 176 bis 178 des Strafgesetzbuchs) verfallen der Todesstrafe, wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordert.“21
Am 18. September 1942 verständigten sich schließlich der Reichsführer SS, Heinrich Himmler mit dem Reichsjustizminister Otto Alfred Thierack auf die folgende Vorgehensweise:
„Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. …
Es besteht Übereinstimmung darüber, dass … in Zukunft Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von ordentlichen Gerichten, soweit es sich um Strafsachen handelt, abgeurteilt werden sollen, sondern durch den Reichsführer SS erledigt werden.“22
Die vorbeugende Sicherungsverwahrung hat als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht zu gelten, denn weder war der Freiheitsentzug richterlich angeordnet, noch zeitlich befristet noch durch Rechtsmittel anfechtbar noch an das Begehen einer konkreten Straftat gebunden, also an Kriterien, die heute für einen Rechtsstaat verbindlich sind.23
Bei den sog. „Asozialen“ genügte „gemeinschaftsschädigendes“ Verhalten für eine Sicherungsverwahrung aus. Für eine Klassifizierung als „Berufsverbrecher“ wiederum waren allein die Vorstrafen ausschlaggebend. Zum Zeitpunkt der Verhängung der „Vorbeugungshaft“ hatten diese vermeintlichen „Berufsverbrecher“ ihre Strafen bereits verbüßt. Gemessen an rechtsstaatlichen Maßstäben waren sie rehabilitiert. Dennoch kamen sie ins Konzentrationslager.
Seit dem 6. Januar 1943 ist Adam im KZ Dachau.24 Er trägt die Häftlingsnummer 41708 und ist im Block 22 untergebracht. Im Juli 43 wird er mit Ödemen auf der Krankenstation des KZ aufgenommen. Wahrscheinlich haben ihn die Wärter übel zugerichtet.25 Seit März 1943 sterben die Häftlinge serienweise in der Krankenstation.26 Der Häftling Edgar Kupfer-Koberwitz hat in seinen Tagebüchern eindringlich den Lageralltag im KL Dachau beschrieben.27
Am 14. Januar 1944 wird Adam Huttner im KZ Dachau ermordet.28 Der Totenschein aus dem KZ Dachau führt als Todesursache „Versagen von Herz- und Kreislauf bei Herzmuskelentartung“ an. Der Kommandeur des KZ setzt als Todesdatum auf den 14. Januar 1944 um 14.30 Uhr.29
Niemand in Augsburg nimmt Notiz von seiner Ermordung, seine Eltern Johann und Justina Huttner sind mittlerweile verstorben, von seinen beiden Ehefrauen hat er sich längst getrennt.
Am 6. Juli 1956 stellt Adelheid Elisabeth Hupfauer, geb. Huttner, die Tochter aus erster Ehe, beim bayerischen Landesentschädigungsamt München, Meiserstraße 1 einen Antrag auf Entschädigung.30 Begründet wurde der Antrag von Elisabeth Hupfauer damit, dass ihr leiblicher Vater aus Gründen politischer Gegnerschaft von März 1934 bis Februar 1943 im KL Dachau inhaftiert gewesen sei.31 Der Antrag wurde aber am 3. Oktober 1961 als „unbegründet“ mit folgender Argumentation zurückgewiesen:
„Auf Grund amtlicher Unterlagen ist der Verstorbene bis zum Jahre 1941 wegen krimineller Vergehen wiederholt bestraft und am 27.11.1942 in polizeiliche Vorbeugungshaft genommen worden. Laut ITS Inhaftierungsbescheinigung vom 1.10.1959 wurde er am 6.1.1943 in das KL Dachau eingewiesen und ist dort am 14.1.1944 verstorben. Als Grund der Inhaftierung ist in den Originalunterlagen das KL Dachau „PSV“ (Polizeiliche Sicherungsverwahrung) angegeben.
Es kann somit als erwiesen angesehen werden, dass der Verstorbene nicht aus Gründen des § 1 BEG verfolgt worden ist und deshalb im KL Dachau inhaftiert war. Über eine Inhaftierung aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus für die Zeit vom März 1934 bis November 1944 fehlt jeder Hinweis. Amtliche Ansprüche auf Entschädigung waren deshalb als unbegründet abzulehnen. Gez. München Reg. Rat Dr. Maier“32
Keine Rede war davon, dass Adam Huttner im KL Dachau ermordet worden ist.
Erst am 13. Februar 2020 wurden die berechtigten Ansprüche der sog. „Asozialen“ vom Deutschen Bundestag allgemein anerkannt.33 Seit 1988 wurden gerade einmal 330 Entschädigungsanträge von Angehörigen dieser Opfergruppe eingereicht. Die Scham und Stigmatisierung dieser Opfergruppe war auch in der Nachkriegszeit geschichtswirksam.
Künftig soll Aufklärung und Forschung zum Thema der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ intensiviert werden. So soll eine Wanderausstellung in den KZ-Gedenkstätten gezeigt werden. Nach unendlich langer Zeit ist der erste Schritt zur Anerkennung des enormen Leids erfolgt.
„Niemand saß zurecht im KZ“, sagt die Sozialdemokratin Marianne Schieder MdB mit großem Nachdruck. Und FDP-Politiker Thomas Hacker von der FDP ergänzt. „Verbrechen, auch begangen an Verbrechern, sind Verbrechen.“34
Adam Huttner ist unter schwierigsten Bedingungen zwischen zwei Weltkriegen aufgewachsen, er hatte keine leichte Jugend. Mangels einer angemessenen Ausbildung und fehlender emotionaler Bindung war er den immensen Herausforderungen nicht gewachsen. Er wurde Opfer eines rigiden sozialdarwinistischen Systems, das den schwächsten Gliedern der Gesellschaft keine Überlebenschance einräumte und sie als asozial und gemeinschaftsfremd stigmatisierte. Adam Huttner ist zum Opfer der gnadenlosen Ordnungsprinzipien des Nazisystems geworden.
Wir wollen an ihn mit dieser Biografie und einem Stolperstein erinnern.
© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD Gegen Vergessen-Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, 86368 Gersthofen, Haydnstr. 53 bernhard.lehmann@gmx.de
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekartei Abgabe 2 (MK 2)
– Adam Huttner
Meldebogen (MB)
– Adam Huttner
ITS Bad Arolsen
– Nr. 10665579, Häftlingsnr. 41709 Huttner Adam
Archiv der KZ Gedenkstätte Dachau
– Adam Huttner
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)
Landesentschädigungsamt (LEA):
– 50727, Adam Huttner
Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933-1938, Göttingen 2017.
Kupfer-Koberwitz, Edgar, Dachauer Tagebücher. Die Aufzeichnungen des Häftlings 24814, München 1997.
Ulrich Sondermann-Becker, Arbeitsscheue Volksgenossen. Evangelische Wandererfürsorge in Westfalen im Dritten Reich, Bielefeld 1995.