Augsburg, Rosengasse 3
Krankenhaus Kaufbeuren
Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren
Wilhelm Lang ist am 15. Februar 1907 in Augsburg geboren. Seine Eltern sind der Mechaniker Wilhelm (geb. 1875) und die aus Unterfinningen aus dem Landkreis Dillingen stammende Maria Lang, geb. Schwenkreis (geb. 1875). Die Familie wohnt in der Rosengasse 3 in Augsburg.
Wilhelm hat zwei ältere Geschwister, Regina (geb. 1902) und Otto (geb. 1905) sowie zwei jüngere Schwestern, Maria (geb. 1912) und Karolina (geb. 1914).1
Wilhelm besucht erfolgreich 8 Klassen Volksschule sowie 2 Klassen Berufsschule. Er hat ordentliche Noten. In einer 4-jährigen Lehrzeit erlernt den Beruf eines Mechanikers bei der Firma Moser am Vogeltor in Augsburg. Die Gesellenprüfung besteht er mit Bravour. Danach ist er 2 Jahre arbeitslos, er arbeitet hin und wieder als Weber, später ist er ein halbes Jahr in der Landhilfe tätig.2 Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise mit 6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland.3 Wilhelm versucht, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Von 1929-1935 wird Wilhelm als Bauhilfsarbeiter bei verschiedenen Firmen beschäftigt, von 1935-1940 arbeitet er als Mechaniker bei den Arado-Flugzeugwerken in Potsdam-Babelsberg.
Am 1.12.40 wird Wilhelm zur Wehrmacht eingezogen und kommt als Kraftfahrer zur Kraftfahrerersatzabteilung 27, Werkstattzug 337. Anfangs arbeitet er als Beifahrer und wird zur Sicherung der Demarkationslinie an der Westfront eingesetzt.4
Offensichtlich hat er an der Front ein Schlüsselerlebnis, denn ab Ende Juli 1941 fällt er seinen Vorgesetzten durch sein eigenartiges Benehmen auf. Er spricht mit niemandem mehr, korrespondiert auch nicht mit der Familie, benimmt sich seinen Kameraden gegenüber gleichgültig, unbeholfen und wirkt teilnahmslos.
Am 3. August entfernt er sich unerlaubt von der Truppe und vernachlässigt seine Pflichten. Lang kommt wegen dieser „Vergehen“ und seines auffälligen Verhaltens wegen ins Feldlazarett Nancy. Gleichzeitig wird er vom Militärgericht angeklagt.5 Der ärztliche Gutachter konstatiert eine zweifelsfreie psychotische Erkrankung.6
Infolge der diagnostizierten Erkrankung wird Wilhelm Lang vom Truppenarzt des Wehrkreises am 13. Januar 1942 aus der Wehrmacht entlassen.7 Zwei Tage später tritt Wilhelm Lang eine Stelle als Mechaniker bei der Firma Seiler in Augsburg, Oblatterwallstraße an, wo er 28 RM wöchentlich netto verdient.8
Nach Angaben seiner Eltern war Wilhelm vor seinem Fronterlebnis ein geselliger, freundlicher und gutmütiger Mensch, sparsam, ordentlich und gewissenhaft. Seit seiner Entlassung aus der Wehrmacht ist er vollständig verändert und zurückgezogen.9
Am 2. April 1942 beantragt der Bezirksarzt der Stadt Augsburg Dr. Hermann Eller die Zwangssterilisation des Wilhelm Lang.10 Auf diesen Schock hin stellt Wilhelm die Arbeit vollständig ein und ist nicht mehr ansprechbar. Er wird am 16. April 1942 in „Fürsorge genommen“11 und zur Untersuchung vom Gesundheitsamt vorgeladen. Das Gesundheitsamt empfiehlt dem Erbgesundheitsgericht Augsburg die Unfruchtbarmachung von Wilhelm Lang.12
Das Gericht entscheidet am 28. April 1942 unter Vorsitz des Landgerichtsrats Deml, Obermedizinalrat Dr. Steidle und Bezirksarzt Dr. Göhring seine Zwangssterilisation auf der Basis des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933.13
Am 29. August 1942 wird im Krankenhaus Kaufbeuren seine Zwangssterilisation vorgenommen. Seit 26. Mai 1942 ist Wilhelm nämlich in der Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren, in die er vom Städtischen Krankenhaus Augsburg eingewiesen worden ist. Nach einigen Tagen wird er als „geheilt“ entlassen und darf am 6. September 1942 zurück nach Augsburg zu seinen Eltern, muss sich aber regelmäßig in der „offene(n) Fürsorge“ einfinden.14
Es folgen weitere Einweisungen in Kaufbeuren im März und im September 1943.15 Ausdrücklich bestätigen ihm die Ärzte, dass er sich als zuverlässiger und fleißiger Arbeiter erweist.
Bei seinen Aufenthalten wird Wilhelm wiederholt extrem schmerzhaften Elektroschockbehandlungen unterzogen, er erleidet insgesamt 17 solcher Torturen.16 Wilhelm hofft auf Entlassung, aber dazu kommt es nicht mehr.
Die Verfasser des 2020 erschienenen Kaufbeurer Gedenkbuches haben darauf hingewiesen, dass „die gehäufte Erwähnung der Arbeitsunfähigkeit des Patienten, die Zunahme von entwertenden Beschreibungen, die fehlenden Erwähnungen einer medizinisch nachvollziehbaren Krankheit, das Unterlassen von therapeutischen Bemühungen und die mangende Plausibilität des raschen Todes … mit großer Sicherheit erkennen lassen, wer Opfer der Krankenmorde wurde“17 .
Genau solche Indizien finden sich in Wilhelm Langs Patientenbeobachtungsbogen vom Januar bis September 1944. Die Eintragungen beschreiben den „körperlichen Rückgang“ des Patienten, der sich nicht mehr auf den Beinen halten könne, seine Arbeitsunfähigkeit und schließlich seinen Tod am 25. September 1944 mit dem Verdacht auf Tuberkulose.
Wir müssen davon ausgehen, dass Wilhelm Lang durch die sogenannte Entzugskost ermordet worden ist. Der Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser entwickelt 1941 nach der Beendigung der Ermordung „nicht lebenswerten Lebens“ in Grafeneck und Hartheim, der sogenannten Aktion T 4, die sog. Hungermethode , um Patienten zu töten. Sie erhalten über Monate hinweg nur noch dünne Suppe- in Wasser gekochte Gemüsereste- und sind nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentzündung entwickelt.18 . Zudem wird Wilhelm Lang über einen längeren Zeitraum hinweg eine Überdosis an Medikamenten verabreicht.
Weil er bettlägerig wird, kommt eine Lungenentzündung dazu. Sein Gewicht von ehemals 73 kg (1942) geht auf 52 kg (Todeszeitpunkt 25.9.44) zurück.19
Wir wollen an Wilhelm Lang mit einer Kurzbiografie erinnern.
© Biografie verfasst von Dr. Bernhard Lehmann, StD Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben 86368 Gersthofen Haydnstr. 53 bernhard.lehmann@gmx.de
2021
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Wilhelm Lang
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– AZ XIII 9/42 Sterilisationsakte Wilhelm Lang
Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)
– Patientenbogen Wilhelm Lang, Nr. 12679
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, „Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt/Aisch 2020.