Dominikanergasse 66, Augsburg
Frohsinnstr. 13, Augsburg
Gabelsbergerstr. 3, Augsburg
Am 18. März 1942 im Lager Merignac interniert. Von dort in das Sammellager Drancy in der Nähe von Paris verbracht. Am 31. August 1942 nach Auschwitz deportiert.
Herkunft und Familie
Sigo Bernheimer wurde am 18.5.1884 in Ichenhausen bei Günzburg geboren. Seine Eltern gehörten der jüdischen Gemeinde an und hießen Moritz und Charlotte. Sie führten einen Wein-, Likör- und Tabakhandel und wohnten in der Günzburger Straße in Ichenhausen. Neben Sigo bekam das Paar weitere sechs Kinder: Lina (geb. 19.08.1874), Louis (geb. 5.12.1875), Alfred und Sali (geb. 26.6.1877), Eugenie (geb. 19.2.1879) und Rudolf (geb. 9.5.1889). Laut des Augsburger Meldebogens zog Sigo Bernheimer am 31.12.1911 aus München in die Dominikanergasse 66 Litera A nach Augsburg und wohnte zunächst mit seiner Mutter, Charlotte Bernheimer, im ersten Stock. Sie war 1910 nach dem Tod ihres Mannes Moritz in Ichenhausen nach Augsburg gezogen. Am 15.4.1914 bezog Sigo zusammen mit seiner Mutter eine Wohnung in der Frohsinnstraße 13 im ersten Stock. Nach der Hochzeit in Bayreuth am 31.10.1919 zog ab November auch Sigos Frau Alma Pfefferkorn, geb. am 8.7.1897 in Bayreuth, in die Frohsinnstraße nach Augsburg. Deren Eltern, Simon und Doris Pfefferkorn, geborene Sommer, waren Kaufmannsleute in Bayreuth. Das Ehepaar zog vermutlich wegen der sich verändernden Familienverhältnisse am 25.3.1920 in die Gabelsberger Straße 3 um.
Am 2.9.1920 kam in der von Familie Leinsle gemieteten Wohnung im zweiten Stock das einzige Kind des Paares auf die Welt, der Sohn Rudolf. Auch wenn die Familie Bernheimer nicht regelmäßig ihren Glauben in der Augsburger Synagoge praktizierte, berichtete sogar die Israelitische Gemeindezeitung vom 1.10.1933 über die Bar Mizwah ihres Sohnes, die am 16.9.1933 schon nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten stattfand. Charlotte Bernheimer, die Mutter von Sigo, wohnte ab 1926 bei ihrem Sohn Louis in der Friedberger Straße 9 bis zu ihrem Tod am 26.4.1937. Sie ist auf dem Augsburger Jüdischen Friedhof in der Haunstetter Straße bestattet. Am 12.11.1937 erlitt die Familie einen weiteren Schicksalsschlag: Sigos Frau Alma starb ein halbes Jahr nach ihrer Schwiegermutter in Augsburg. Sie ist ebenfalls auf dem Jüdischen Friedhof in der Haunstetter Straße bestattet.
Beruf und Tätigkeiten
Sigo Bernheimer muss ein Studium der Pharmazie abgeschlossen haben, da er in mehreren Quellen als Apotheker genannt wird und in Augsburg einen Drogerie- und Apothekenladen besaß. Leider fehlen Informationen zu seiner universitären Bildung. Er war jedoch zusammen mit Louis und seinem Sohn Fritz Mitglied des Burschenbund-Convents (B.C.), der 1919 als Kooperationsverband an Hochschulen des Deutschen Reiches und der Donaumonarchie gegründet wurde. Zwar bekannte auch er sich unter seinem Wahlspruch „Für Deutschtum, Freiheit, Recht und Ehre“ zu den klassischen burschenschaftlichen Traditionen wie Mensur und das Tragen von Farben, doch stand er allen „deutschen Studenten ohne Rücksicht auf Geburt, Glaube und Abstammung“ offen gegenüber.1 Sigos berufliche Laufbahn begann vermutlich am 1.10.1907 bei der Bayerischen Armee, bei der er als Militärapotheker in Lechfeld, Würzburg und München diente und den Grad des Oberapothekers der Reserve erlangte. Nach Augsburg kam er 1911 vermutlich zum Zwecke der eigenen Firmengründung.
Der Betrieb einer Drogerie und eines Laboratoriums wurde ihm am 2.1.1912 genehmigt. Am 27.2.1912 bekam er gemäß Bausenatsbeschluss die Erlaubnis zur Errichtung einer „Medizinal-Drogerie und zum Handel mit Giften“ in dem Anwesen Bahnhofstraße 2. Der Ausbruch des Ersten
Weltkriegs führte zu seiner Einberufung in die Train-Formation. Er diente im Bayerischen Feld-Lazarett 58 im Oberelsass. Auch sein Bruder Rudolf Bernheimer war im Elsass als Leutnant im 3. Bayerischen [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/burschenbunds_convent1929/0184/image,info, abgerufen am 6.4.2024, 21:55 Uhr] Infanterieregiment im Einsatz und fiel bei Fronzell am 19.2.1915. An ihn und weitere Gefallene des Ersten Weltkrieges aus der Israelitischen Gemeinde Augsburg wird auf dem Augsburger Jüdischen Friedhof in der Haunstetter Straße an einer Ehrenwand erinnert. Nach seiner Rückkehr erhielt Sigo die Genehmigung zur Erweiterung der Firma um ein chemisch-mikroskopisches Laboratorium sowie Handel mit photographischen, mikroskopischen Laboratoriumbedarfsartikeln, Parfümerie-Waren und Toilettenartikel sowie Gifthandel. Seit den Zwanzigern war Sigo Bernheimer Teilhaber der Firma Dr. Raff & Bernheimer Chemische Produktehandlung und betrieb seine „Luitpold-Drogerie“ in der Bürgermeister-Fischer-Straße B 247 heute Nr. 6 (Karstadt-Gebäude). Er wird noch im Reichstelefonbuch 1938 als Inhaber der Drogerie gelistet.
Verfolgung und Auswanderung
Sigos ältere Brüder Louis und Alfred, die Inhaber der Firma „Louis Bernheimer, Ingenieurbüro und Tiefbauunternehmen mit Installationsgeschäft Familie Bernheimer“, erkannten recht früh die wachsende Gefahr, die sich aus dem Aufstieg der NSDAP für die jüdische Bevölkerung ergab, und nutzten ihren Firmensitz in der Friedberger Straße 9 auch als Ausbildungsstätte für ausreisewillige
jüdische Jugendliche. Das Haus in der Friedberger Straße 9, das als so genanntes Beth Chaluz (Haus der Pioniere) unter den jüdischen Auszubildenden bekannt war, bot bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eine sichere Herberge für die jungen Menschen. 1933 entschied sich Fritz Bernheimer, der älteste Sohn von Louis, nach Paris zu emigrieren. Auch seine Schwester Irene Haas geb. Bernheimer folgte ihm nach Frankreich. Alfred Bernheimer verließ 1934 Deutschland und wanderte mit seiner Familie in die USA aus. Ihm folgte sein zweiter Neffe, Walter Bernheimer, der über Palästina in die USA auswanderte. Wie zu dem Zeitpunkt die Einstellung Sigos zur
Auswanderung war, kann leider nicht rekonstruiert werden. Familiäre und geschäftliche Bindungen erschwerten sicherlich die Entscheidung, Augsburg zu verlassen. Sigo und Louis fühlten sich bestimmt für ihre in der Friedberger Straße 9 lebende Mutter Charlotte verantwortlich. Ihr Tod 1937 und der Tod von Sigos Ehefrau Alma ein halbes Jahr später erleichterten die Entscheidung zur Auswanderung.
Als Inhaber einer Drogerie in der Bürgermeister-Fischer-Straße war Sigo Bernheimer bestimmt genauso von dem NS-Boykott am 1.4.1933 betroffen wie das Kaufhaus Landauer, das sich in derselben Straße befand. Fotoaufnahmen aus dieser Zeit zeugen davon. Die Maßnahmen, die zur
Verschärfung der Verfolgung von Juden in Deutschland führten, bewegten Sigo dazu, die Auswanderung seines Sohnes voranzutreiben. Der 17-jährige Rudolf wanderte 1937 in die USA aus, wo er vermutlich von der Familie seines Onkels Alfred oder von seinem Cousin Walter, dem Sohn von Louis Bernheimer, Unterstützung bekam. Für Sigo war es bestimmt nicht leicht, den Sohn allein auf die weite Reise gehen zu lassen. Seine Sorge äußerte er in einem an Walter Bernheimer gerichteten Brief aus Paris. Als im Oktober 1937 Louis und seine Frau Paula das Haus in der Friedberger Straße 9 verließen, zogen sie zusammen mit ihren Geschwistern, den verwitweten Sigo Bernheimer und Balbina (Sabina) Kirschner, geb. Stern aus Bayreuth in die Schülestraße 15 in Augsburg. Im Mai 1939 flohen sie zusammen nach Frankreich, wo sie in Paris, 12 Rue de la Cavalerie, lebten. Die Wohnung wird im Brief an Walter als kalt und zur Nordseite gewandt beschrieben; sie bot ihnen gut zwei Jahre
eine Bleibe. Aus den vermutlich im Sommer 1942 von Louis, Paula und Sigo verfassten Zeilen, die größtenteils auf Englisch geschrieben wurden und sich an Walter Bernheimer in den USA richteten, lässt sich eine Sorge um den Gesundheitszustand von Balbina und Sigo herauslesen. Balbina ließ sich anscheinend im Rothschild-Krankenhaus in Paris am Magen operieren. Sigo schreibt, dass die Zeit an ihm nicht spurlos vorübergegangen sei, er aber bereit sei, jede Arbeit zu tun, soweit seine Kräfte ausreichen. Die schon erwähnte Sorge um Rudolf kommt in seinen Zeilen deutlich zum Tragen. Er bittet Walter, seinen Sprössling nicht zu vergessen und ihm gut zuzusprechen, da er das dringend
brauche. Sein gerade volljährig gewordener Sohn stand schon zu dem Zeitpunkt zur Musterung bereit. Er kehrte auch 1945 als US-Soldat nach Augsburg zurück, lebte aber bis zu seinem Tod am 1.11.1975 in Vienna (USA).
Deportation und Tod
Sigo Bernheimer, Louis und Paula Bernheimer und ihre Schwester Balbina Kirschner wurden nach Angaben von Fritz Bernheimer am 18.3.1942 und laut ihrer Enkeltochter bei ihrem Fluchtversuch in der Nähe von Bayonne verhaftet und im Lager Mérignac interniert. Schließlich wurden sie in das Sammellager Drancy in der Nähe von Paris gebracht. Vermutlich wollten sie sich bis nach Spanien durchschlagen, um von dort mit einem Schiff nach Amerika zu gelangen. Höchstwahrscheinlich war auch Albert Haas (der Bruder von Erwin, dem Ehemann von Louis Tochter Irene Haas) dabei. Sie wurden nämlich zusammen mit ihm am 31.8.1942 vom Sammellager Drancy mit dem Konvoi 26 nach Auschwitz deportiert. Nach einer Selektion am 2.9.1942 auf dem Bahnhof in Cosel, bei der arbeitsfähige Männer ausgesondert und in Arbeitslager verschleppt wurden, setzte sich der Zug weiter in Richtung Auschwitz in Bewegung. Nach ihrer Ankunft im Konzentrationslager wurden Sigo und Louis Bernheimer, seine Frau Paula und ihre Schwester Balbina, Albert Haas sowie fast alle Frauen, Männer und Kinder, die auf dem Transport waren, höchstwahrscheinlich vergast.
Joanna Linse, April 2024
Quellen:
Akten der Familie Bernheimer sowie Hausakte „Friedberger Str. 9“ aus dem Stadtarchiv Augsburg. Kriegsranglisten und Kriegsstammrollen des Königreichs Bayern, 1914-18.
Brief von Sigo, Louis und Paula Bernheimer an Walter Bernheimer aus Privatnachlass von Brigitte Bernheimer
Gerlach, Walter (Hrsg.): Das Buch der alten Firmen der Stadt und des Industriebezirkes Augsburg im Jahre 1930, Jubiläums-Verlag Walter Gerlach, Leipzig o.J.
Römer, Gernot: Die Austreibung der Juden aus Schwaben. Schicksale nach 1933 in Berichten, Dokumenten, Zahlen und Bildern, Presse-Druck- und Verlags-GmbH, Augsburg 1987
Römer, Gernot (Hrsg.): An meine Gemeinde in der Zerstreuung. Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941-1949, Wißner Verlag, Augsburg 2007
Transportliste Nr. 26 vom 31.08.1942, Arolsen Archives, https://collections.arolsen-archives.org/de/archive/1-1-9-9, abgerufen am 10.04.2024 um 22:55 Uhr
https://gedenkbuch.bayreuth.de/opfer/bernheimer-geb-stern-pauline/, abgerufen am 25.09.2021 um 18:31 Uhr
http://www.tenhumbergreinhard.de/transportliste-der-deportierten/transportliste-der-deportierten-1942/transport-31081942-drancy.html, abgerufen am 25.09.2021 um 18:39 Uhr
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/burschenbunds_convent1929/0184/image,info, abgerufen am 06.04.2024, 21:55 Uhr