Mönchsroth
Augsburg
Augsburg, Katharinengasse 15
Deportation
am 2. April 1942 von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski
Rudolf Hirschmann geb. 6.9.1871 in Augsburg1 , ermordet im Rahmen der Aktion 14f13 in Hartheim, und seine Frau Rosa Hirschmann, geb. Levite, geb. 3.1.1880 in Mönchsroth2 , ermordet in Piaski im April 1942.
Rudolf stammt aus einer Metzgerfamilie. Bereits sein Großvater Josef Hirschmann übt den Beruf in Schlipsheim bei Augsburg aus und verkauft 1862 sein Haus Nr. 12 in Schlipsheim an seinen Sohn Leopold3 , der in Steppach gemeldet ist.4 Weil Anfang der 1860-er Jahre nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung aus Schlipsheim abwandert, zieht auch Leopold 1865 nach Augsburg5 und eröffnet dort mit seiner Frau Mathilde, geb. Gerstle eine Metzgerei in der Katharinengasse 15.6
Rudolf ist das 5. von insgesamt 10 Kindern des Ehepaares. Sophie und Flora versterben sehr früh.7 Seine ältere Schwester Mina (geb. 23.9.1868) zieht 1889 mit ihrem Ehemann Sigmund Lazarus nach Appenheim bei Mainz8 ; Sigmund Siegfried Hirschmann (geb.18.2.1870) übersiedelt 1887 nach der Absolvierung einer Kaufmannslehre nach Nürnberg; Karl (geb. 12.11.1872) ist zuerst in München, dann in Mainz nachweisbar.9 Hugo Hirschmann (geb. 14.5.1875) zieht 1895 ebenfalls nach Mainz.10 Rudolf jüngster Bruder Max Hirschmann (geb. 15.9.1876), ebenfalls Metzger von Beruf, emigriert noch 1897 in die USA.11 Schwester Louise (geb. 25.6.1879) verehelicht sich am 20.8.1899 in Mainz mit dem Kaufmann Arthur Guttmann aus Mainz. Über die jüngste Schwester Bertha (geb. 28.11.1880) ist nichts bekannt.
Rudolf Hirschmann heiratet am 12. August 1900 in Augsburg die um 9 Jahre jüngere Rosa Levite, geb. 3.1.1880, die aus Mönchsroth (Landkreis Ansbach) stammt.12 4 Tage nach der Hochzeit wird das Haus in der Katharinengasse 15 (B 155) von der Mutter Mathilde Hirschmann notariell für den Preis von 55.000 Mark auf das Brautpaar Rudolf und Rosa Hirschmann überschrieben.13 Der Metzgermeister erhält Ende Dezember 1902 die Genehmigung für den Verkauf von Fleisch und Wurstwaren, ab 22.4.1909 darf er auch Geflügel verkaufen.14
Rudolfs ältester Sohn Leo (geb.1903) wird Ende der Zwanzigerjahre Ingenieur15 , der zweitgeborene Sohn Ernst (geb. 1908) tritt später in die väterliche Metzgerei ein.16 Er wird Metzger in der 4. Generation.17
Rudolf Hirschmann hat im I. Weltkrieg gedient und seine Vaterlandsliebe mehrfach unter Beweis gestellt.18 Infolgedessen sieht er dem Erstarken des Nationalsozialismus relativ gelassen entgegen. Aber die sukzessive Entrechtung macht vor dem verdienten Kriegsteilnehmer nicht halt. Wir können nur erahnen, dass die Metzgerei Hirschmann vom Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933 betroffen gewesen ist. Durch die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, insbesondere das sog. Blutschutzgesetz, wird die Familie diskriminiert, diffamiert und ihr Umgang mit anderen deutschen Bürgern unter Strafe gestellt.19
Sicher ist, dass sie wie alle Juden am 26. April 1938 ihr Vermögen anzumelden und Einrichtungsgegenstände, Mobiliar, Schmuck usw. auf den Formularen aufzulisten haben.20 Am 3. Dezember 1938 wird mit der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens allen Juden auferlegt, ihre Gewerbebetriebe zu verkaufen, ihren Grundbesitz zu veräußern und die Wertpapiere bei der Devisenbank zu hinterlegen. Damit ist Rudolf seiner beruflichen Existenz als auch seines Besitzes beraubt.21
Am 24.1.1939 muss er sein Anwesen samt Metzgerladen inklusive der Einrichtung und Nebengebäude an die „arische“ Metzgerfamilie Michael und Ida Schäble, wohnhaft in der Schäfflerbachstraße 12 in Augsburg, verkaufen. Den ursprünglichen Verkaufspreis von 30.000 RM reduziert die Oberfinanzdirektion München im Nachhinein am 17.3.1939 auf 27.500 RM.
Dieser Betrag wird auf ein Sperrkonto bei der bayerischen Hypothekenbank Augsburg überwiesen. Eine Verfügung auf das Konto hat Rudolf Hirschmann nur mit Genehmigung der Devisenstelle sowie des Finanzamts Augsburg-Stadt.22 Aber von diesem Konto werden unverzüglich seine Schulden von 5.618,27 RM bei der Süddeutschen Bodenkredit und der Augsburger Handels- und Gewerbebank abgebucht. Auf dem Sperrkonto bei der Hypobank verbleibt die Summe von 16.371,73 RM. Von dieser Summe werden die Judenvermögensabgabe von 6.600 RM und die Zwangsabgabe von 2.890 RM für die Reichsvereinigung der Juden am 1. April 1942 abgezogen.23 Zusätzlich werden die Hirschmanns gezwungen, am 16. Januar 1942 für 2.963 RM eine Reichsanleihe für die Stickstoffwerke Ostmark zu erwerben.24
Die OFD München ordnet an, dass aus dem Konto des Rudolf Israel Hirschmann ein Betrag von monatlich bis zu 600 RM ab dem 1. März 1939 zum Lebensunterhalt entnommen werden dürfe. Zuwiderhandlungen gegen diese Anordnungen seien „mit Gefängnis, in besonderen Fällen mit Zuchthaus sowie mit Geldstrafe“ zu ahnden (§ 69 Abs. I, Ziffer 6 des Devisengesetzes).25
Die Familie Hirschmann muss aus der großbürgerlichen Wohnung im Erdgeschoss ihres Hauses in eine 2 ZK Wohnung im I. Stock umziehen und bezahlt ab dem 1.3.1939 den neuen Besitzern Michael und Ida Schäble monatlich 30 RM Mietkosten. Der Kaufvertrag vom 24.1.1939, beglaubigt durch Notar Dr. Alfred Edel, Bahnhofstraße 4/I, hält fest, dass die Hirschmanns „bis zu ihrer Auswanderung, jedoch nicht über den 1.1.1941 hinaus in der Wohnung verbleiben dürften“.26 Haben die Hirschmanns ihre Emigration beantragt oder planen die Nazis deren Deportation? Wir wissen es nicht.
Unter Absatz VIII hält der Kaufvertrag ausdrücklich fest: „Der Verkäufer ist Jude. Die gemäß §8 der VO über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3.12.1938 erforderliche Genehmigung der Regierung von Schwaben-Neuburg wird erbeten“.27 Bereits am 12.Mai 1939 werden Michael und Ida Schäble nach der Genehmigung des Finanzamts Augsburg Stadt und der Oberfinanzdirektion München als neue Besitzer im Grundbuch eingetragen.
Der Betrag auf dem Sperrkonto ist bis zum 4.4.1942 auf RM 210, 65 geschrumpft. Auch dieser wird vom Finanzamt Augsburg-Stadt noch eingezogen.28 Die Wertpapiere, die Rudolf und Rosa Hirschmann für 8.000 Reichsmark erworben hatten, werden nach dem Tod von Rudolf und Rosa Hirschmann am 22.4.1943 von der Deutschen Reichsbank in Berlin eingezogen.29
Ein kleines Vergehen genügt den NS-Schergen, um Rudolf Hirschmann ins Konzentrationslager zu bringen. Als Metzger versucht er, sich ohne Lebensmittelkarte Fleisch zu besorgen, und wird dabei ertappt. Er wird verhaftet und am 8. August 1941 ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht.30 Rudolf Hirschmann ist fast 70 Jahre alt. Nach dem Stopp der T4-Programms der Nazis dient nun die Tötungsanstalt in Hartheim einem neuen Zweck. Nicht mehr arbeitsfähige KZ-Häftlinge werden dementsprechend in einem sogenannten „Invalidentransport“ nach Hartheim bei Linz verbracht.31 Rudolf Hirschmann wird mit weiteren Häftlingen aus Dachau am 20. Januar 1942 nach Hartheim deportiert und aller Wahrscheinlichkeit noch am gleichen Tag vergast.32
Unter der „Sonderaktion 14f13“ erfolgt in der Zeit des Nationalsozialismus während der Jahre 1941–1944 die Euthanasie von Häftlingen und Invaliden, die als „krank, alt und nicht mehr arbeitsfähig“ gelten. Häftlinge aus den Konzentrationslagern werden nach einer „Begutachtung“ durch Ärztekommissionen in Tötungsanstalten verbracht. Die Aktion reduziert die Häftlinge auf ihre reine Nützlichkeit als Arbeitskräfte. Im Schloss Hartheim werden insbesondere „nicht arbeitsfähige“ Häftlinge aus den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen ermordet. Die Aktion wird später auf weitere in den Konzentrationslagern internierte Personengruppen (Juden, Sinti, Roma) ausgeweitet.
Die „Sonderbehandlung 14f13“ endet mit dem letzten Häftlingstransport nach Hartheim am 11.Dezember 1944. Annähernd 12.000 Menschen werden im Rahmen dieser Aktion im Schloss Hartheim ermordet. 33
Die Witwe Rosa Hirschmann erhält die sterblichen Überreste ihres Mannes in einer Urne zugestellt. In der Todesanzeige werden neben ihr auch ihre beiden Söhne Leo und Ernst genannt, denen 1939 die Emigration in die USA bzw. 1934 nach Palästina gelungen ist.34
Rosa Levite stammt aus Mönchsroth aus dem Landkreis Ansbach. Sie und ihr Bruder Josef (geb. 1877) sind die Kinder aus zweiter Ehe von Elkan Levite mit seiner Ehefrau Bertha, geb. Schwarz.35 In erster Ehe war Elkan, ein Schnittwarenhändler, mit Sara, geb. Ballenberger verheiratet. Sie stirbt 1874 im Alter von 43 Jahren.36
Es ist anzunehmen, dass Rosa mit ihrem Bruder Josef und ihrer Mutter Bertha nach dem Tod von Elkan im November 1889 nach Augsburg gezogen ist.37 Bertha Levite ist auf dem jüdischen Friedhof Haunstetter Straße in Augsburg Hochfeld begraben.38
Rosa heiratet mit 20 Jahren den Metzgermeister Rudolf Hirschmann. Die beiden übernehmen im August 1900 den Betrieb und das Anwesen von Rudolfs Eltern. Von 1894 bis 1900 hat die Witwe Mathilde Hirschmann nach dem Tod ihres Mannes Leopold39 die Metzgerei weitergeführt, um ihre Kinder zu ernähren bzw. sie bei ihrer Ausbildung zu unterstützen.40
Rosa erlebt gemeinsam mit ihrem Mann Rudolf die fortschreitende Entrechtung und Erniedrigung der gesamten jüdischen Bevölkerung durch die Nazis. Ihr Sohn Leo verlässt Deutschland wohlweislich 1934 in Richtung Palästina. Ab 1938 verlieren die Hirschmanns ihre Lebensgrundlage und ihren gesamten Besitz.41 Ernst flieht 1939 zuerst nach England, wo er zeitweise als „friendly enemy alien“ interniert wird, dann emigriert er in die USA und baut sich dort ab 1940 in Cleveland/Ohio eine neue Lebensgrundlage auf.42 Im Jahr 1944 heiratet er eine russische Ärztin43 und eröffnet einen Spielwarenladen.
Am 4. April 1942, nicht ganz drei Monate nach der Ermordung ihres Mannes Rudolf, wird Rosa Hirschmann gemeinsam mit 986 jüdischen Bürgern, davon 430 aus Augsburg sowie weiteren Juden aus Regensburg und München, über das Sammellager Milbertshofen in das Ghetto von Piaski im Distrikt Lublin des Generalgouvernements deportiert. Auf der uns vorliegenden Deportationsliste wird Rosa Hirschmann als Nr. 51 auf der Seite 41 aufgeführt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sie in Piaski ermordet.44
Auf dem jüdischen Friedhof in der Haunstetterstraße in Augsburg Hochfeld findet sich ein Grabstein für Rudolf und Rosa Hirschmann.45
Durch das Militärregierungsgesetz Nr. 59 (MRG 59) der US-Zone von 1947 und das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) von 1949 wurde die Rückerstattung und Entschädigung vor allem jüdischer Opfer des Holocausts oder ihrer Nachkommen geregelt und zu einklagbaren Rechtsansprüchen gewandelt.46
Die Nachkommen von Rosa und Rudolf Hirschmann, Leo und Ernst Hirschmann beauftragten den Augsburger Rechtsanwalt Dr. Fraunholtz mit der Rückführung des zwischen 1938 und 1942 entzogenen Besitzes. 47
Im Vergleich, der vor der Wiedergutmachungsbehörde am 21.11.1950 und in weiteren Verhandlungen zwischen den Söhnen der Familie Hirschmann und der Familie Schäble, welche 1938 das Anwesen und Geschäft von Richard Hirschmann im Arisierungsverfahren übernommen hatten, wurde die Rückführung des Anwesens an die Familie Hirschmann verfügt.48
Bei einem eventuellen Verkauf sicherte sich die Familie Schäble ein Vorkaufsrecht. Die Söhne Leo und Ernst Hirschmann traten zudem ihre Ansprüche gegenüber dem Deutschen Reich bzw. dessen Rechtsnachfolger an die Antragsgegner, also die Familie Schäble ab.49 Damit verzichteten sie auf eventuelle Rückerstattungen aus den zwischen 1938 und 1942 eingezogenen Konten.50
Der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, in diesem Fall die Stadt Augsburg, leistete für die schwere goldene Taschenuhr, die Hochzeitsuhr von Rudolf Hirschmann, einen Ersatz von 200 DM. Die Gebrüder Hirschmann stimmten dem Vergleich zu, weil der persönliche Wert der Uhr ohnehin nicht bezahlt werden könne.51
Über die nach der Verschleppung von Rosa Hirschmann verschwundenen Einrichtungsgegenstände konnten die Brüder keine Belege vorlegen. Das Finanzamt Augsburg-Stadt erteilte die Auskunft, dass keine Unterlagen mehr vorhanden seien, demzufolge könne der nominelle Wert der Möbel und Einrichtungsgegenstände nicht mehr festgestellt werden.52
Die Nachbarn hatten zwar ausgesagt, dass die ursprüngliche 4-5 Zimmerwohnung der Hirschmanns „gut und reichlich im altdeutschen Stil ausgestattet“ gewesen sei, aber es konnte kein Beweis geführt werden, dass Möbel oder Einrichtungsgegenstände vom Wohlfahrtsamt bei der Dienststelle für Vermögensverwaltung des Finanzamtes Augsburg-Stadt aus dem Besitz der Familie der Witwe aufgekauft worden seien.53
Der immer wieder bei der Veräußerung von jüdischem Besitz involvierte Auktionator Fritz Petzold sprach von einer „mittelmäßig bürgerlichen Einrichtung“ der Familie Hirschmann. Seines Wissens seien bessere oder kostbare Gegenstände nicht vorhanden gewesen. Es sei zu vermuten, dass die Einrichtung von der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt) übernommen worden sei.54
Damit gingen die Gebrüder Hirschmann hinsichtlich dieser Werte bei der sogenannten „Wiedergutmachung“ ebenfalls leer aus. Demütigend war, dass die Beweislast bei ihnen lag und sie auch die Rechtsanwaltskosten zu tragen hatten.
Erstellt von: Dr. Bernhard Lehmann, 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53, Tel. 0821/497856, bernhard.lehmann@gmx.de
Auskunft Pfarrer Gunter Reese, Mönchsroth vom 19.5.2019
National Archives and Records Administration (NARA)
– Catalog. Title Naturalization Petitions, compiled 1867-1967
– Naturalization Petition and Record Books for the US District Court for the Northern District of Ohio, Eastern Division, Cleveland/Ohio, 1907-1946
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Abt. IV Kriegsarchiv
– Bd. 8346 KStR Rudolf Hirschmann
ITS Bad Arolsen
– Nr 1084, KZ Gedenkstätte Dachau Haftkategorie: Jude, Schutzhäftling Nr. 26887
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– Wiedergutmachungsakte AZ V 123587-a31649/796 (2)
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Familienbogen (FB):
– FB Leopold Hirschmann
Meldekarten II (MK):
– MK II Rudolf Hirschmann
Standesamts Wilburgstetten
– Personenstandsbücher Mönchsroth
US Department of Justice
– Manifest of inbound passengers, 28 April bis 18.5.1953
(eingesehen bei www.ancestry.com)
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein
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