Burgberg (Württemberg)
Augsburg, Tunnelstraße 14
Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee
Tötungsanstalt Hartheim/Linz
Maria Lehner ist am 5. Mai 1895 in Burgberg, BA Heidenheim in Württemberg geboren. Sie ist die Tochter des Korbmachers Matthias Huiß und seiner Frau Crescentia, geb. Ackermann.1 . Über ihre Kindheit, schulische und berufliche Ausbildung sind keine Informationen greifbar.
Seit dem 28. August 1918 ist Maria mit dem Fabrikschlosser Max Lehner verheiratet.2 Die Familie wohnt in der Tunnelstraße 14 in Augsburg.3 Das Ehepaar hat drei leibliche Kinder: Max (geb. 1919, gest. 1921), Maria Theresa (geb. 2.6.1923)4 und Kreszenz (geb. 25.2.1925).5
Am 12. Dezember 1926 ereignet sich eine Katastrophe. Streitigkeiten mit den Nachbarsleuten spielen hierbei eine unsägliche Rolle.6 Maria wird ins Städtische Krankenhaus Augsburg in die psychiatrische Abteilung eingewiesen. Maria Theresia ist zu diesem Zeitpunkt 3½ Jahre, ihre Tochter Kreszenz 1¾ Jahre alt.
Bei der Anamnese halten die Ärzte fest, dass Maria vor einigen Jahren wegen einer Blutvergiftung und vor ihrer Heirat einmal wegen ihren Nerven im Krankenhaus zur Behandlung gewesen sei7 , ansonsten seien keine Krankheiten aufgetreten.
Schon vier Wochen vor der Einlieferung ins Krankenhaus beginnt Maria zu phantasieren, was sich Anfang Dezember 1926 wiederholt. Im Krankenhaus ist nicht mehr ansprechbar, kümmert sich nicht um ihre Kinder, verhält sich indifferent und spricht über Sachverhalte, aus denen man nicht schlau wird.8 Gleichzeitig fürchtet sie, erstochen zu werden. Auf Fragen und Aufforderungen reagiert sie nicht, läuft umher und singt ununterbrochen religiöse Lieder. Sie lässt sich auch körperlich nicht untersuchen und nimmt kaum Nahrung zu sich.
Mit Zustimmung des Ehemanns Max wird Maria Lehner am 13. Dezember 1926 in die Heil- und Pflegeanstalt in Kaufbeuren eingewiesen. Die klinische Diagnose lautet auf Schizophrenie.9 Der Patientenbogen der Heil- und Pflegeanstalt gibt Aufschluss über ihren psychischen Zustand und ihr Verhalten.
Bei der Anamnese in Kaufbeuren spricht sie wirr und wünscht, ihren Mann noch einmal zu sehen, geht auf die Fragen aber nicht ein. Sie spricht zusammenhanglos. Der Arzt hält fest, Maria neige zu Triebhandlungen, ohne dies zu spezifizieren.10 Einer eingehenden Untersuchung verweigert sie sich.
Im Laufe der Januartage 1927 beginnt sie zu grimassieren, zeitweise ist sie sehr erregt, wirft mit Kissen, führt Selbstgespräche, aber kommuniziert mit niemandem.11 Ihr Verhalten ändert sich bis Ende Dezember 1932 kaum. Maria wird in der Wäscherei beschäftigt. Sie halluziniert, vertraut sich aber niemanden an.12 Auf das Pflegepersonal wirkt sie antriebslos.
Am 27. Dezember 1932 wird sie nach Irsee verlegt.13 Im Januar 1933 entzündet sich ihr linkes Fußgelenk, was bis September 1934 immer noch nicht abgeklungen ist. Maria ist zeitweise bettlägerig.
Am 29. August 1934 teilt die Direktion mit, dass eine Unfruchtbarmachung von Maria Lehner nicht notwendig sei, weil sie dauernd anstaltsbedürftig sei.14 Offensichtlich hatte der Bezirksarzt einen Antrag auf Zwangssterilisierung gestellt.
Auch im Februar 1935 notiert das Pflegepersonal keinerlei Veränderung, Maria sei pflegebedürftig, verschroben, stricke hin und wieder, sei aber unnahbar.15
Da keine Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist, erbittet der Ehemann Max Lehner von Dr. Faltlhauser ein „Zeugnis wegen des Gesundheitszustandes meiner Frau Maria Lehner, geb. 5.5.95 zur Vorlage beim Landgericht zwecks Ehescheidung“16
Das Amtsgericht in Augsburg holt Erkundigungen ein und erbittet bei der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee um konkrete Auskunft über Maria Lehner:
„Der Fabrikschlosser Max Lehner hat beim Landgericht Augsburg Klage auf Ehescheidung gegen seine Ehefrau Maria Lehner eingereicht, da sie sich seit 13.12.1926 in der Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren befindet. Die Geisteskrankheit soll nach seinen Angaben einen solchen Grad erreicht haben, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben und auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist. Es wird ersucht, die genannte Maria Lehner zu einer Erklärung darüber zu veranlassen, ob sie mit der Anordnung einer Pflegschaft einverstanden ist, bzw. festzustellen, dass eine Verständigung mit ihr nicht möglich ist“17
Der Anstaltsleiter Dr. Faltlhauser bestätigt am 2. Mai 1938 dem Amtsgericht in Augsburg, „dass Maria Lehner völlig geschäftsunfähig ist. Es sind bei ihr die Voraussetzungen für die Errichtung einer Pflegschaft gemäß § 1910 BGB gegeben. Eine Verständigung mit ihr ist nicht möglich. Gez. Falthauser“18
Laut Urteil des Landgerichtes Augsburg vom 4. Juli 1938 wird die Ehe aus Verschulden der Ehefrau wegen Geisteskrankheit geschieden, das Urteil wird am 17. August 1938 rechtskräftig.19
Maria Lehner ist zum Objekt, zum Spielball der Interessen des Ehemanns und der Anstaltsleitung geworden. Der Patientenbeobachtungsbogen der Maria Lehner von 1938 bis 1941 hält fest:
23.1.38 unverändert
27.9.39 Bei Hausarbeiten, beim Essen holen, auch etwas beim Nähen verwendbar. Meist …. ruhig. Dazwischen explosionsartige Erregungszustände, reißt den Schwestern dann den Schleier herunter und packt an. Beruhigt sich aber meist nach ein paar Tagen wieder.
7.6.1940 Patientin bietet meist recht einförmiges Bild, sitzt häufig mit gesenktem Kopf, stuporös, neigt zu Speichelfluß, wirkt bei der Exploration geriert, verworren, …. Selten Erregungszustände, macht Hilfsarbeiten auf der Station gez. Gä.
5.4.41 stumpfe, negativistische Kranke, wenig zugänglich, bisweilen aus geringfügigem Anlaß sehr erregt, greift dann an.
Lässt sich zu allen möglichen Hausarbeiten heranziehen, die sie ordentlich verrichtet.20
5.6.41: „Verlegt“21
Gemeinsam mit 71 weiteren Frauen, davon 22 Frauen aus Augsburg, wird Maria Lehner am 5. Juni 1941 mit den grauen Bussen nach Schloss Hartheim transportiert. Folgende Frauen aus Augsburg werden der Todesanstalt zugeführt: Biedermann Anna, geb. 28.1.1910, Brunninger Berta, geb. 8.4.1882, Büchler Rosa, geb. 6.6.1896; Füßer, Pauline, geb. 28.5.1889; Geiger, Maria, geb. 29.3.1889; Hamburger, Maria, geb. 13.12.1898; Hausenblas, Maria, geb. 19.6.1893; Hayn, Maria, geb. 8.12.1895; Heinzel, Rosa, geb. 1.3.1903; Huber, Therese, geb. 18.5.1886; Kaiser, Afra, geb. 31.8.1868; Kaltner, Philomena, geb. 23.6.1874; Konrad, Johanna, geb. 27.3.1882; Küspert, Josefa, geb. 1.3.1912; Lang, Johanna, geb. 30.6.1884; Mörz, Therese, geb. 10.3.1925; Pfaffenzeller, Maria, geb. 22.1.1883; Pfeiffer, Sofie, geb. 10.12.1875; Püttner, Anna, geb. 6.5.1897; Ruile, Wilhelmine, geb. 19.5.1892; Schauler, Kreszenz, geb. 7.11.1900; Stöckel, Aloisia, geb. 24.4.1887.22
In Hartheim werden die eingelieferten Menschen entkleidet, gemessen, gewogen, fotografiert und dann den Ärzten vorgeführt. Personendaten werden überprüft und auffallende Kennzeichen wie Operationsnarben vermerkt, die für die Erstellung der fingierten Todesursache von Bedeutung sein können. Die Gaskammern sind mit Brauseköpfen ausgestattet. Meist werden 30 und mehr Menschen zugleich vergast. Die Tötung erfolgt durch Kohlenmonoxydgas, das der Anstaltsarzt einströmen lässt. Die Zufuhr des Gases beträgt in der Regel 20 Minuten, sie wird eingestellt, wenn sich im Vergasungsraum keine Bewegung mehr feststellen lässt. In der Regel werden die Ermordeten in anstaltseigenen Krematorien verbrannt, die Goldkronen werden zuvor herausgebrochen. Das so gewonnene „Rohmaterial“ wird über die Zentraldienststelle T4 an die Degussa geliefert und zu Feingold verarbeitet.23
Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann StD Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben
2020, ergänzt 2021
Bundesarchiv Berlin (BA Berlin)
– R 179/21733 Maria Lehner Maria
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten (MK):
– Maria Lehner
Meldekarten 3 (MK 3):
– Max Hochhuber
Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein