Augsburg, Lützowstraße 33
Augsburg, Kleines Karmelitengäßchen 6
Nürnberg
Schmeilsdorf, Wichernweg 2
Haunstetten
München, Landwehrstraße 8
Augsburg, Lützowstraße 33
Haft ab dem
5. April 1943
in der Haftanstalt I
in Augsburg
Deportation
am 3. Mai 1943
von Augsburg
nach Auschwitz
Erinnerungsband enthüllt 24.11.2022
Maria Berta Groß wurde am 20. Juli 1919 in Augsburg geboren. Ihre Eltern waren der Schreiner Jakob Groß und seine Frau Berta Groß, geb. Kuhn.
Jakob Groß, geboren am 26. Oktober 1883 in Kempten, ist 1928 nach Augsburg gezogen. Möglicherweise hat Maria Berta einen zwei Jahre jüngeren Bruder. Der Hausbogen Lützowstraße 33 nennt einen Ernst Groß, geboren am 2. 4. 1921. Er wird 1936 nach Ödwang bei Kaufbeuren ziehen. Von ihm sind zwei Kinder im Hausbogen verzeichnet: Gertrud, geboren am 21. 2. 1941, und Rosmarie, geboren am 2. 2. 1942 (ihre spätere Adresse lautet Lechrainstraße 20). Außerdem wird eine Groß Adelheid genannt, geboren am 16. 3. 1944 als "lediges Kind"; die Mutter ist vielleicht Lotte Groß, geboren 1. 5. 1920 in München. Möglicherweise handelt es sich bei diesen Personen um Verwandte von Maria Berta Groß.
Die Familie ist evangelisch und lebt in Lechhausen. 1928, mit neun Jahren ist Maria Berta bei den Eltern in der Lützowstraße 33 gemeldet. Das ist ein Gebiet zwischen Lech und Schillstraße, nahe dem kleinen Park "Griesle". Ab 1909 baute die Bau-Genossenschaft Augsburg-Lechhausen dort Mietwohnungen für ihre Mitglieder. Auf der westlichen Seite der Lützowstraße standen aber Hütten, Lauben und Baracken, die zu den zum Lech hin gelegenen Kleingärten gehörten. So erzählte es mir die über 90jährige Frau Stützer, die in einem Genossenschaftshaus an der Birkenau wohnt. Jakob Groß, Maria Bertas Vater, lebt bis zu seinem Tod am 31. 1. 1972 in der Lützowstraße 33; in späteren Jahren arbeitete er als Wachmann.
Um Weihnachten 1934, zwischen dem 21. und 28. Dezember, wird Maria Berta Groß in das Katholische Fürsorgeerziehungsheim im Augsburger Kleinen Karmelitengäßchen 6 (damalige Litera-Adresse E 185) eingewiesen. Der Hausbogen der Lützwostraße 33 verzeichnet für sie am 21. 12. 1934 die Adresse Afraheim. Warum? Hat das Jugendamt die Einweisung verfügt, weil das Mädchen auffällig wurde, weil die Eltern überfordert waren mit der 15-Jährigen, weil die familiäre Situation eskalierte?
Kurz darauf, am 22. Januar 1935, kommt Maria Berta auf Beschluss des Amtsgerichts ins Mädchenerziehungsheim Nürnberg-Schafhof. Das wird von Augsburger Diakonissen geführt. Hier bleibt sie ein Jahr und 10 Monate; zwischendrin ist sie auch kurzzeitig im Erziehungsheim Schmeilsdorf untergebracht, eine Anstalt der Inneren Mission für geistig Behinderte. Das spricht dafür, dass Maria Berta lernbehindert war oder psychische Probleme hatte.
Im November 1936 darf sie heim zu den Eltern, aber nur für vier Tage, dann muss sie wieder nach Nürnberg. Kurz darauf ist sie in Haunstetten gemeldet (bei wem? Darüber sagt die Meldekarte nichts aus.), dann wieder in der Lützowstraße 33 bei den Eltern, dann wieder in Haunstetten. Am 24. November 1936 heißt es auf ihrer Meldekarte "wohnt nicht mehr dort".
Maria Groß (wie sie auf dem Bogen unterschrieben hat) ist jetzt 17 Jahre alt. Sie ist offenbar noch in Fürsorgeerziehung. Erst am 24. Juli 1940 wird sie laut Gerichtsbeschluss wegen Volljährigkeit aus der Fürsorgeerziehung entlassen. Als ihr Beruf ist angegeben "Hausgehilfin".
Im Mai 1939 steht als Wohnort in der Meldekarte: München Landwehrstraße 8. Doch schon vier Monate später, im September 1939, ist sie wieder bei den Eltern in der Lützowstraße 33 gemeldet.
Ich lese das so: Vermutlich hat Maria Berta im Nürnberger Mädchenerziehungsheim eine Haushalts-Ausbildung machen können. Vielleicht sollte sie dann bei einer Familie in Haunstetten arbeiten, aber das scheint nicht funktioniert zu haben. Im November 1936 stehen innerhalb weniger Tage mehrfach die Wohnorte Lützowstraße und Haunstetten in der Meldekarte, und dann heißt es "wohnt nicht mehr dort". Vielleicht ist das Mädchen davongelaufen? In München, in der Landwehrstraße, hielt sie es offenbar etwas länger in ihrer Stellung aus. Aber nach vier Monaten kehrte sie wieder heim zu den Eltern.
Es scheint so, als sei sie dort geblieben, denn der nächste Eintrag in der Meldekarte stammt erst vom 5. April 1943: Haftanstalt I. Was tat Maria Berta in der Zeit vom September 1939 bis zu ihrer Inhaftierung im April 1943? Warum wurde sie dann inhaftiert?
Mögliche Gründe sind: Sie hatte keine Arbeitsstelle und wurde deshalb als "arbeitsscheu" inhaftiert. Vielleicht lebte sie auch auf der Straße, beging Diebstähle oder bettelte, wurde dann aufgegriffen und als "Asoziale" eingesperrt.
Wer arbeitslos, weniger leistungsfähig oder anpassungswillig war als andere, der galt im NS-Staat als "asozial". Schon ab 1933 konnten solche Menschen als "polizeiliche Vorbeugungshäftlinge" in Konzentrationslagern inhaftiert werden. Nach einem Erlass von 1937 konnte im KZ eingesperrt werden, wer wiederholt Diebstähle beging oder angeblich asoziales Verhalten zeigte. Zur Inhaftierung im KZ reichte es zum Teil schon aus, dass jemand arbeitslos war und zweimal eine vorgeschlagene Arbeitsstelle ausschlug. Wer zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, den konnten die Behörden ab Herbst 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz schicken. Grundlage war ein Erlass des NS-Justizministers, Häftlinge mit langen Haftstrafen oder Sicherungsverwahrung an die SS zur "Vernichtung durch Arbeit" auszuliefern.
Vier Wochen blieb Maria Berta Groß im Augsburger Gefängnis. Ob sie zu Haft oder Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, ist nicht bekannt. Aber am 3. Mai 1943 deportierte die Polizei die junge Frau nach Auschwitz.
Dort starb Maria Berta Groß sieben Monate später, am 23. Dezember 1943. Todeszeit 7:50 Uhr, Todesursache "Darmkatarrh bei Grippe". So steht es im Totenschein, den der Lagerarzt Dr. Thilo in Auschwitz ausstellte. Maria Berta Groß wurde nur 24 Jahre alt.
Ihr Name steht auf einem der Grabsteine beim Ehrengrab der KZ-Häftlinge auf dem Augsburger Westfriedhof. Der Name ist dort falsch geschrieben, als "Grass Maria Berta", aber das Geburtsdatum 20. Juli 1919 stimmt.
Angela Bachmair
2022
Wolfgang Ayaß, "Asoziale" im Nationalsozialismus, Stuttgart 1995.
www. auschwitz.org (aufgerufen am 17.06.2016)
www.its-arolsen.org (aufgerufen am 17.06.2016)