Wertingen, Augsburgerstraße 4
Burgau
Augsburg, Seitzstraße 31
Augsburg, Helmschmiedstraße 3
Augsburg, Äußeren Uferstraße 29
Augsburg, Äußere Uferstraße 12
Augsburg, Johannes-Haag-Straße 16
Augsburg, Dominikanergasse
Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren
Maria Anna Rupp ist am 8. April 1883 in Wertingen geboren. Ihr Vater Josef Rupp aus Binswangen hatte 12 Jahre zuvor am 15.9.1871 die Witwe Barbara Schmid, geb. Hahn aus Wertingen geheiratet1
Der gelernte Bäcker Joseph Rupp übernimmt die Bäckerei des ersten Ehegatten seiner Frau Barbara, Johannes Schmid, der kurz zuvor mit 32 Jahren verstorben war. Die Familie wohnt im Anwesen Nr. 136 (heute Augsburger Str. 4) in Wertingen.2
Aus der Ehe von Joseph und Barbara Rupp gehen zehn Kinder hervor, von denen zwei im Kindesalter versterben. Anna ist das 7. Kind.3 , (verst. 1937 in Augsburg); 8. Maria, geb. 30.10.1888 in Wertingen, (gest. 1932 in Oberstdorf).]
Die Familie zieht im März 1889 nach Burgau.4 Aus welchen Gründen die Familie Rupp nach Augsburg gekommen ist, wissen wir nicht. Ob ihr Vater noch den Beruf als Bäcker ausgeübt hat? Die Familie ist noch vor der Jahrhundertwende zuerst in der Seitzstraße 31, dann in der Helmschmiedstr. 3, schließlich ab 1910 in der Äußeren Uferstr. 29, – alle in Augsburg-Oberhausen – nachweisbar.5
Aus einer Liaison mit Josef Kuchenbaur aus Rettenbergen6 , wohnhaft in Gersthofen hat Marie Anna Rupp 1904, 1906 und 1908 drei uneheliche Kinder, von denen die ersten beiden, Barbara und Wilhelm im Kleinkindalter versterben.7 Wahrscheinlich gerade wegen der Betreuung der Kinder wohnt Anna weiterhin bei ihren Eltern, erst 1927 zieht sie ein paar Häuser weiter in die Äußere Uferstraße 12.8
Anna Rupp arbeitet bis Ende August 1914 als Sortiererin bei Otto Lieb, dann als Kleberin in der Buntweberei August Riedinger. Ab August 1920 ist sie bei der Gastwirtin Käthe Kindl in der Tunnelstraße als Zugeherin tätig.9 Anna hat einen leicht adipösen Körperbau und ist 1,60 cm groß. Im Ober- und Unterkiefer trägt sie Zahnprothesen.10
Ende 1930 sucht Anna Rupp freiwillig das Städtische Krankenhaus auf. Prof. Port, der Chef der inneren Abteilung, behält sie für einige Wochen zur Beobachtung und überweist sie wegen Geisteskrankheit am 13. Januar 1931 mit Zustimmung der Angehörigen in die Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren.11
Anna Rupp verbleibt ganze 5 Jahre in Kaufbeuren. Die Betreuer attestieren ihr großen Fleiß bei der Arbeit in der Kolonie.12 Im April 1936 hat sich ihr Zustand so gebessert, dass sie bei ihrer Tochter Maria untergebracht werden kann13 , die ebenfalls in Augsburg wohnt.14
Bei der Tochter sind die Wohnverhältnisse sehr beengt, sie hat mit ihrem Mann und zwei Kindern eine 2-Zimmer Wohnung mit Küche.15 Anna wird von der Beratungsstelle für Nerven- und Gemütskranke in der Unteren Maximilianstraße betreut. Nachdem der Landesfürsorgeverband ihrer Unterbringung in einem Altersheim zustimmt, wird Anna Rupp aus der Fürsorge bei Med.-Rat Dr. Pfannmüller16 entlassen und am 9. Januar 1937 in das Städtische Altersheim in der Dominikanergasse als 54-jährige Frau aufgenommen. Damit gilt sie auch als aus der Außenfürsorge entlassen.17
Mitte Juni 1937 wird Anna vom Städtischen Krankenhaus Augsburg wiederum nach Kaufbeuren überwiesen.18 Ihr Zustand hat sich verschlechtert. Trotz starker Schmerzen zeigt sie sich überaus arbeitswillig.19 Anna ist eine hervorragende Kraft in der Gemüseküche. Über die Jahre hin bleibt ihre Stimmungslage ambivalent. Von ihren Verwandten wird sie häufig besucht, vornehmlich von ihrer Tochter Maria.20
Die letzten Einträge auf den Beobachtungsbögen geben Auskunft über die stattfindende Schwächung, ihre fortwährenden Schmerzen und den Tod am 19. April 1945.
Die Bestattungskosten von 77,90 RM für Anna Rupp werden von der Landesfürsorgestelle Augsburg übernommen
Die Verfasser des 2020 erschienenen Kaufbeurer Gedenkbuches haben darauf hingewiesen, dass „die gehäufte Erwähnung der Arbeitsunfähigkeit des Patienten, die Zunahme von entwertenden Beschreibungen, die fehlenden Erwähnungen einer medizinisch nachvollziehbaren Krankheit, das Unterlassen von therapeutischen Bemühungen und die mangende Plausibilität des raschen Todes … mit großer Sicherheit erkennen lassen, wer Opfer der Krankenmorde wurde“.21
All diese Aussagen treffen für Anna Rupp nur in begrenztem Maße zu. Dennoch ist davon auszugehen, dass Anna Rupp die sogenannte Entzugskost verabreicht worden ist. Zusätzlich wurde ihr Tod mit einer Überdosis an Medikamenten, z.B. Luminal im Tee herbeigeführt.22
Ihre Tochter Maria erhält ein lapidares Telegramm: „Anna Rupp verstorben, Beerdigung am 25.4.45 in Kaufbeuren, Kaufbeuren, 20.4.45“.23
Anna Rupp ist 62 Jahre alt, als sie verstirbt. Sie wird in Kaufbeuren erdbestattet.
13.01.1931-15.04.1936
15.06.1937-19.04.1945
© Dr. Bernhard Lehmann StD, Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, alle Rechte beim Autor
2021
Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)
– Anna Rupp, Patientennr. 9860
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
– Anna Rupp
Meldekartei 1 (MK 1):
– Anna Rupp
Stadtarchiv Burgau (StadtABurgau)
– Auskunft Martina Wenni-Auinger vom 15.7.2020
Stadtarchiv Wertingen (StadtAWert)
– Schriftliche Auskunft des Stadtarchivars Dr. Johannes Mordstein vom 7.7.2020
– Unveröffentlichte Häuserchronik der Stadt Wertingen von Jürgen Fiedler (Sign. 38.550/1)
Standesamt Oberstdorf
– Sterberegister Nr. 32
Götz Aly, Die Belasteten >Euthanasie< 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013.
Michael Burleigh (Hg.), Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900–1945, Zürich 2002.
Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, 3. Auflage, Frankfurt 2010.
Ulrich Pötzl, Sozialpsychologie, Erbbiologie und Lebensvernichtung. Valentin Faltlhauser, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1995.
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, „Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt/Aisch 2020.