Pfladerergasse 20
Vorderer Lech 52
Vorderer Lech 49
Stadtberger Straße 64
Haunstetter Straße 26
Jakobsplatz 17 (= G 100)
KZ Dachau ab 24.4.1933
KZ Dachau ab 10.7.1933, 10 Monate
KZ Dachau ab 6.8.1940
KZ Sachsenhausen
KZ Dachau ab 4.9.1940
Tod im KZ Dachau am 14.10.1940
Ludwig Weichart ist am 15. April 1891 in Biburg bei Augsburg geboren. Sein Vater Johann ist Vorarbeiter und wohnt in Biburg, ebenso seine Mutter Maria, geb. Löffler.1 Seine Eltern sind fleißig, gutmütig und familienbezogen, religiös und sparsam, wie Ludwig in der Retrospektive vermerkt.2
In Biburg durchläuft Ludwig alle 9 Klassen der Volksschule, die 3-jährige Lehre zum Metzgergesellen absolviert er von 1904 bis Anfang 1908 beim Metzgermeister und Gastwirt Pröll. Nach seiner Lehrzeit arbeitet er noch 2 Jahre als Landmetzger, dann geht er für 1 ½ Jahre auf Wanderschaft.
1911 wird er zum Wehrdienst einberufen, den er bis 1913 ableistet. Ludwig ist ein pyknischer Typ, sehr kräftig und gut genährt. Zu Beginn des Weltkriegs wird er zum Kriegsdienst eingezogen und zeichnet sich dort durch seine Tapferkeit aus, er erhält das EK II und das Verdienstkreuz III. Klasse. Am 4. Oktober 1914 wird er erstmals verwundet und erleidet zudem eine Gasvergiftung.3 Ende 1916 wird er verschüttet, sein linkes Knie wird durch eine Granate zerfetzt. Mit Ende des I. Weltkriegs gilt Ludwig als Kriegsinvalide.
In Augsburg wird er bei der Straßenbahn als Schaffner und als Wagenführer angestellt. 1916 heiratet er die 5 Jahre ältere Barbara Hirschberger aus Osterzhausen4 und hat mit ihr 4 Kinder, Babette, geb. 27.2.1916; Ludwig, geb. 6.1.1918, verst. 25.5.1918; Anna, geb. 10.11.1919, und Johann, geb. 16.1.1926.5
Die Ehe wird 1925 aus beiderseitigem Verschulden geschieden, während der Schwangerschaft seiner Frau Barbara.
Ludwig heiratet am 1. September 1925 die 4 Jahre jüngere Kreszenz Hösle aus Münsterhausen, geb. 22.3.1895.6 Ludwig beschreibt seine zweite Ehefrau als tüchtig und liebevoll.7 . Mit Kreszenz hat er einen Sohn Ludwig, der am 6. Juni 1926 zur Welt kommt.8
Seit 1914 wird Ludwig immer wieder straffällig. Wegen seiner Invalidität kann er seinen früheren Beruf als Metzger nicht mehr ausüben. Die Inflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 machen es ihm nahezu unmöglich, eine geeignete Stelle zu finden. Es geht ihm wie vielen anderen Arbeitern auch.
Seine erste Strafe erhält er 1914 wegen Nichtbefolgung eines Arbeitsauftrages, 14 Tage Haft, dann folgen zwischen 1919 und 1928 zehn weitere Strafen wegen Eigentumsdelikten, u.a. wegen Diebstahls (4 Monate Gefängnis), unerlaubtem Handel, Diebstahls (4 Monate Gefängnis), Betrugs (3 Monate Gefängnis), weitere drei Mal wegen Betrugs (2 Monate Gefängnis, zwei Mal 6 Wochen Gefängnis), wegen Hehlerei (9 Monate), wegen Betrugs 1926 14 Tage Gefängnis.
Seine zehnte Strafe erhält Ludwig 1928 wegen fortgesetzten Betrugs. Er muss 6 Monate ins Gefängnis.9 Seine Strafen büßt er 1923 in Aichach und Bernau, 1924 in der Haftanstalt Laufen, 1928 wieder in Bernau ab.10
Am 24. April 1933 wird Ludwig Weichart ins KZ Dachau eingewiesen.11 Ludwigs Einweisung zu einem solch frühen Zeitpunkt erstaunt, wurden doch in den ersten Monaten hauptsächlich politische Häftlinge ins KZ Dachau eingeliefert. Aber auf der Liste ist ausdrücklich vermerkt: „bodenständiger Verbrecher“. Allerdings werden auch sämtliche mit ihm eingelieferten kommunistischen Häftlinge gleichzeitig als „Kommunist und bodenständige Verbrecher“ kategorisiert.12 Wie lange er einsitzt, wissen wir nicht.
Jedenfalls kommt Ludwig Weichart am 10. Juli 1933 erneut als Schutzhäftling ins KZ Dachau mit der Häftlingsnr. 2892.13 Er hat die nationalsozialistischen Machthaber beleidigt, erst nach 10 Monaten wird er wieder entlassen.14 . Diese Beleidigung war in den Augen der NS-Machthaber weitaus schwerwiegender und drastischer zu ahnden als seine bisherigen Vergehen wegen Diebstahls und Betrugs.
1935 kommt Ludwig wegen „Heiratsschwindelei“ ins Zuchthaus nach Kaisheim.15 Er erschwindelte Geld von einem Dienstmädchen, dem gegenüber er sich als ledig ausgab. Die Gefängnisleitung erstellt im Auftrag der kriminalbiologischen Sammelstelle ein psychologisch-soziologisches Gutachten über Ludwig Weicharts künftiges Verhalten.
Dr. Plattner kommt zu folgender Schlussfolgerung:
„Ein Betrüger, der sich am liebsten auf bequeme Art durchs Leben schlängeln will. Leicht beeinflußbarer Gewohnheitsverbrecher … Wird sich nach erlangter Freiheit kaum mehr in die Gesellschaftsordnung einfügen. Die erziehlichen Maßnahmen des Strafvollzugs werden auf ihn ohne ernstliche Nachwirkung sein. Bei der strafvollzuglichen Behandlung dürfte Strenge am Platze sein. Von Einzelhaft kein besonderer erziehlicher Vorteil zu erwarten“.
In seinem in Kaisheim angefertigten handschriftlichen Lebenslauf schreibt er, sicherlich nicht freiwillig, unter Zukunftsplänen und Vorsätzen:
„Mein Vorsatz ist nie und nie wieder mit dem Gesetz in Berührung zu kommen. Meiner Frau und meinen lieben Kindern zuliebe. So schwöre ich vor Gott dem Allmächtigsten, dass ich nie zukünftig mit dem Gesetz in Berührung komme.“16
Trotz seiner guten Vorsätze, die natürlich unter Druck des Gefängnisses artikuliert wurden, ist abzusehen, dass Ludwig Weichart bei einer solchen Prognose im NS-Staat keine Chance erhält. Nach wiederholten Einweisungen in Gefängnisse, Zuchthaus und KZ kommt Ludwig Weichart zu Beginn des II. Weltkriegs mit der Einstufung „Polizeiliche Sicherungsverwahrung“ erneut ins KZ.
Wir wissen nicht, ab wann genau er ins KZ Sachsenhausen eingeliefert worden ist. Ludwig Weichart ist auf den Transportlisten vom KZ Sachsenhausen ins KZ Dachau ab dem 4.9.1940 zu finden.17 Demnach verbrachte er im KZ Sachsenhausen einen knappen Monat.
Einen Monat später, am 14.10.1940 verstirbt Ludwig Weichart im KZ Dachau. Der Leichenschauschein nennt als Todesursache „Herz- und Kreislaufschwäche“, wie bei Tausenden weiterer Häftlinge angegeben, die in Dachau ermordet worden sind.18 Wahrscheinlich verstarb Ludwig Weichart an dem damals im Lager heftig grassierenden Typhus. Er ist auf der Liste von Toten im Quarantänelager KZ Dachau unter der laufenden Nummer 671 aufgeführt.19
Ludwig Weichart wird am 18. Oktober 1940 in München eingeäschert, seine sterblichen Überreste sind auf dem KZ-Ehrenhain in Augsburg beigesetzt.20 Ludwig Weichart wurde 49 Jahre alt.
Erst am 13. Februar 2020 wurden die berechtigten Ansprüche der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ vom Deutschen Bundestag allgemein anerkannt.21
Seit 1988 wurden gerade einmal 330 Entschädigungsanträge von Angehörigen dieser Opfergruppe eingereicht. Die Scham und Stigmatisierung dieser Opfergruppe war auch in der Nachkriegszeit geschichtswirksam. Endlich soll Aufklärung und Forschung zum Thema der sog. „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ intensiviert und Anerkennung für enormes Leid in die Tat umgesetzt werden. Zudem soll eine Wanderausstellung in Gedenkstätten gezeigt werden.
"Niemand saß zurecht im KZ", sagt die Sozialdemokratin Marianne Schieder MdB mit großem Nachdruck.22
Die Anerkennung der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ als NS-Opfer, ihre volle Rehabilitierung, ist ein emphatisches Bekenntnis zu den Prinzipien des Rechtsstaates. Als solches kann und sollte sie auch öffentlich und in der Bildungsarbeit vermittelt werden, denn „Verbrechen, auch begangen an Verbrechern, sind Verbrechen!“23
Wir möchten mit einem Stolperstein und einer Biografie an ihn erinnern.
© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen – Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben
2022
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)
Kriminalbiologische Sammelstelle
– Akten Weichart Ludwig Nr. 24969
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB)
– Ludwig Weichart
ITS Bad Arolsen Listenmaterialien
– Ludwig Weichart
Michael Cramer-Fürtig/Bernhard Gotto (Hg.), „Machtergreifung“ in Augsburg. Anfänge der NS-Diktatur 1933-1937, Augsburg 2008.
Oliver Gaida, Zwischen Arbeitshaus und Konzentrationslager. Die nationalsozialistische Verfolgung von als „asozial“ Stigmatisierten 1933-1937, in: Jörg Osterloh/Kim Wünschmann (Hg.), „…der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933-1936, Frankfurt/Main 2017, S. 247-268.
Gerhard Hetzer, Die Industriestadt Augsburg. Eine Sozialgeschichte der Arbeiteropposition, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hg.), Bayern in der NS-Zeit. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Bd. 3, München/Wien 1981, S. 1-233.
Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933-1938, Göttingen 2017.
Jörg Osterloh/Kim Wünschmann (Hg.), „…der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933-1936, Frankfurt/Main 2017.
Dirk Riedel, Vom Terror gegen politische Gegner zur rassischen Gesellschaft. Die Häftlinge des Konzentrationslager Dachau 1933-1936, in: Jörg Osterloh/Kim Wünschmann (Hg.): „… der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933-1936, Frankfurt/Main 2017, S. 73-96.
Nikolaus Wachsmann, Hitler’s Prisons. Legal Terror in Nazi Germany, New Haven/London 2004.