Augsburg, Flurstraße 41
Augsburg, Ulmerstraße 60
Augsburg, Mühlstraße 30
Augsburg, Äußere Uferstraße
Augsburg, Schulstraße 4 (ab 1911)
Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren
Ludwig Ott ist der Sohn des Pferseer Webers und Fabrikarbeiters Josef Johann und seiner Ehefrau Katharina Ott geb. Schramm1 aus Marktleugast (LK Kulmbach). Das Ehepaar ist seit dem 2. Februar 1867 verheiratet.2 .
Ludwig wird am 21.6.1886 in Forchheim geboren. Er hat 9 Geschwister, von denen 7 das Kleinkindalter überleben.3 Leider finden sich im Stadtarchiv Forchheim und Lörrach keinerlei Unterlagen mehr zur Familie Ott.4 Die Geburtsorte der Kinder weisen darauf hin, dass die Familie bis 1890 viel unterwegs gewesen ist und der Vater an vielen Orten um Arbeit nachgesucht hat.
Ludwig erlernt wie sein Vater das Weberhandwerk, er ist ledig und zieht 1904 mit den Eltern von Lörrach nach Augsburg. Dort wohnt die Familie von 1904 bis 1910 in der Flurstraße 41, dann in der Ulmer Straße 60, in der Mühlstraße 30, der Äußeren Uferstraße, ab August 1911 in der Schulstraße 4.5 Der Vater verstirbt im Mai 1913.6 Ludwig ist bis 1923 immer wieder bei seiner Mutter gemeldet.7
In der Buntweberei Riedinger, wo er seit seinem 18. Lebensjahr arbeitet, und später in der Maschinenfabrik Reichenbach hält man ihn für einen Sonderling.8 Ludwig ist kräftig gebaut, 1,68 cm groß und wiegt 68 kg.
Ludwig tritt 1908 in den Militärdienst ein und dient beim 3. Infanterie Regiment in Augsburg. Seinen Vorgesetzten fällt sein absonderliches Verhalten im Frühjahr 1910 auf, er vernachlässigt seine Pflichten, zieht sich von seinen Kameraden vollständig zurück. Als er über Schwindel klagt, kommt er ins Garnisonslazarett nach Augsburg.9 Es ist evident, dass Ludwig an einer psychotischen Erkrankung leidet. Der Regimentsarzt Dr. Ganser gelangt am 29. Oktober 1910 zur Diagnose: „*Ott leidet an Jugendirresein *(Dementia praecox). Wegen seines Leidens erkläre ich den Ott für … dienstunfähig, sowie für 100% erwerbsunfähig.10
Nach zweijähriger Dienstzeit wird Ludwig Ott im November 1910 aus dem Militärdienst entlassen und erhält eine Rente von 45 RM monatlich.11 Einer Arbeit kann Ludwig in Augsburg nicht nachkommen, er wird von seiner Mutter betreut.
Als seine Mutter verstirbt12 , wird Ludwig nach 4-wöchiger Beobachtung auf der psychiatrischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Augsburg13 mit Zustimmung seiner Familie am 13. Juli 1917 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee eingewiesen. Da seitens der Mutter Vermögen vorhanden ist, sind seine Unterhaltskosten bis zum Mai 1923 abgedeckt.14 Das ihm zustehende Vermögen wird zum Zweck der Pflegekostenübernahme liquidiert.15 Auch seine Militärrente wird für die Pflege herangezogen.16
Eine Veränderung seines Geisteszustandes tritt nicht ein. Die Ärzte gehen auch nicht davon aus, dass eine Veränderung zu erwarten ist. Die Ärzte halten ihn für einen Autisten.17 Ludwig wird im Kreisgut beschäftigt und mehrmals von seinen Geschwistern besucht.
Sein Patientenbeobachtungsbogen notiert seit 1944 einen beständigen körperlichen und geistigen Rückgang, ab Februar 1945 Bettlägerigkeit, am 16. März schließlich seinen Tod.
Sein Bruder und Vormund Johann erhält am 17. März 1945 das Telegramm: „Ludwig Ott verstorben. Die Leiche wird feuerbestattet, wenn nicht Einspruch erhoben wird. Feuerbestattung am 27.3.45“.
Die Verfasser des 2020 erschienenen Kaufbeurer Gedenkbuches haben darauf hingewiesen, dass „die gehäufte Erwähnung der Arbeitsunfähigkeit des Patienten, die Zunahme von entwertenden Beschreibungen, die fehlenden Erwähnungen einer medizinisch nachvollziehbaren Krankheit, das Unterlassen von therapeutischen Bemühungen und die mangende Plausibilität des raschen Todes … mit großer Sicherheit erkennen lassen, wer Opfer der Krankenmorde wurde“18 .
Ludwig Ott war bei seinem Tod 58 Jahre und 8 Monate alt. Ein Blick auf die Gewichtsliste von Ludwig Ott bestätigt die Befürchtung, dass die Anstaltsleitung seine Ermordung in die Wege geleitet hat. 1941 hat Ludwig Ott ein Gewicht von 76 kg, dann nimmt er kontinuierlich ab. Im Dezember 1942 wiegt er noch 62 kg, im Juni 1944 58 kg, im Februar 1945 noch 48 kg.19
Es ist evident, dass Dr. Faltlhauser dem Patienten die sogenannte Entzugskost verabreichen ließ, die ab Oktober 1942 in Kaufbeuren zum Einsatz kam. Nach der Beendigung der Ermordung „nicht lebenswerten Lebens“ in Grafeneck und Hartheim, der sogenannten Aktion T4 im August 1941, entwickelt Dr. Valentin Faltlhauser die sog. Hungermethode, um Patienten zu töten. Sie erhalten über Monate hinweg nur noch dünne Suppe – in Wasser gekochte Gemüsereste – und sind nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentzündung entwickelt.20
Zudem wird Ludwig Ott über einen längeren Zeitraum hinweg vermutlich eine Überdosis an Medikamenten verabreicht, um seinen Tod zu beschleunigen.
Die Geschwister von Ludwig Ott stimmen einer Feuerbestattung zu. Die Asche des Verstorbenen wird am 20. Mai auf dem Anstaltsfriedhof in Kaufbeuren beigesetzt.
© Dr. Bernhard Lehmann, StD Gegen Vergessen – Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, alle Rechte beim Autor
2021
Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)
– Nr. 10239 Patientenbogen Ott Ludwig
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten 1 (MK 1):
– Ludwig Ott
Stadtarchiv Forchheim
– Auskunft Reiner Kestler vom 12.6.2020
Stadtarchiv Lörrach
– Mitteilung Jürgen Schaser vom 18.6.20
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, „Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt/Aisch 2020.