Augsburg
Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee
Günther Schönert1 wurde am 13. Februar 1938 in Augsburg geboren.2 Schon innerhalb der ersten Lebensjahre zeigten sich Rückstände in der geistigen, motorischen und sprachlichen Entwicklung. Deshalb brachte ihn die Mutter 1941 ins Haunersche Kinderhospital sowie in die Münchner Universitätskinderklinik. Beide Gutachten attestierten eine körperliche und geistige Behinderung.
Am 28. Februar 1944 wurde Günther in der Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren aufgenommen. Brigitte, die jüngere Schwester, war 1942 ebenfalls hier in Behandlung und im Oktober 1942 verstorben.
Am 5. Dezember 1941 wurde auf Anweisung aus Berlin und dem Bayerischen Innenministerium in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eine der reichsweit 30 entstandenen „Kinderfachabteilungen“ eröffnet. Die Einweisung sämtlicher Kinder erfolgte auf Veranlassung des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“. Die regionalen Gesundheitsämter, Ärzte und Geburtskliniken wiesen die Kinder in die Kinderfachabteilungen ein. Nach einer eingehenden Untersuchung wurden Gutachten zum Reichsausschuss nach Berlin gesandt und dort wurde über das Weiterleben der Kinder entschieden. Reichsweit wurden über 5000 Kinder und Jugendliche ermordet.
Die Leitung der Kaufbeurer Kinderfachabteilung oblag Direktor Faltlhauser selbst. Er führte die Untersuchungen durch und verfasste die Einträge in den Krankengeschichten der Kinder – so auch bei Günther Schönert.
Während seines 10-monatigen Aufenthaltes in der Kaufbeurer Kinderfachabteilung erkrankte Günther Schönert an Masern, Windpocken und immer wieder an Durchfall, verbunden mit Fieber. Diese Durchfälle wurden allerdings nicht medikamentös behandelt.
Vier Tage vor dem Tod schrieb Direktor Valentin Faltlhauser an die Großmutter des Patienten, dass Günther neuerdings mit Fieber und Durchfällen erkrankt sei. Der Kräftezustand nehme ab, wenn auch eine unmittelbare Gefahr nicht gegeben sei, müsse doch mit ernsten Komplikationen gerechnet werden. Am 30. Oktober 1944 folgte ein Telegramm: Befinden Günther weiterhin verschlechtert. Lebensgefahr. Der Junge verstarb am 31. Oktober 1944. Als Todesursache wurde Darmkatarrh angegeben, eine Sektion wurde nicht veranlasst.
Nach der uns zur Verfügung stehenden Krankengeschichte wurde Günther Schönert mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von Vernachlässigung und Medikamentenüberdosierung im Rahmen der NS-„Euthanasie“.
Günther Schönert war eines der vielen Opfer der Kinder-„Euthanasie“. Auf der Kaufbeurer Kinderfachabteilung und in der Nebenstelle Irsee verstarben über 200 Kinder durch eine Überdosis Medikamente, in dem meisten Fällen verabreicht durch die leitende Pflegerin Mina Wörle. 3
verfasst von:
Dr. Petra Schweizer-Martinschek, Historisches Archiv BKH Kaufbeuren
2022
Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKh Kaufbeuren)
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek/Petra Weber, Später wurde darüber nicht gesprochen. Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, Neustadt 2020.