Ferdinand Reinhardt

Geboren:
12.01.1923, Breitenbrunn bei Mindelheim
Gestorben:
03.11.1943, Auschwitz

Wohnorte

Breitenbrunn
Heilbronn
Reichertshofen bei Ingolstadt

Augsburg, Bleicherbreite
Augsburg, Donauwörtherstraße
Augsburg, Neuburgerstraße
Augsburg, Wohnwagenplatz Kiernermühle an der Gersthoferstraße
Augsburg, Predigerberg 1
Augsburg, Weißstraße 1

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Einweisung
am 25. März 1942
in das sog. Jugendschutzlager Moringen
im Kreis Northeim

Deportation
am 24. März 1943
nach Auschwitz

Erinnerungszeichen

Am 4. Mai 2017 wurde ein Erinnerungsband für die Familie Reinhardt in der Donauwörther Straße 90 angebracht.

Biografie

Ferdinand Reinhardt wird am 12. Januar 1923 in Breitenbrunn nördlich von Mindelheim geboren. Er ist das zweite Kind von Franz und Maria Reinhardt und hat eine ältere Schwester, Sofia Anna (geb. 14.03. 1917), die zum Zeitpunkt seiner Geburt sechs Jahre alt ist. Als Ferdinand 13 Monate alt ist, bekommt er noch eine kleine Schwester, Marie (geb. 11. 02. 1924). Alle drei Kinder haben unterschiedliche Geburtsorte - bei  Sofia Anna ist es Stuttgart, bei Marie  Höchstädt, und bei Ferdinand die Gemeinde nahe Mindelheim.

Das liegt daran, dass Ferdinands Familie zur kulturellen Minderheit der Sinti gehört, "Zigeuner", wie man damals sagte. Die Familie lebt wohl so wie viele andere Sinti-Familien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: Als reisende Händler verdienen Franz und Maria ihren Lebensunterhalt, indem sie im bayerischen und württembergischen Schwaben Handel treiben, vermutlich mit Pferden, Haushaltsgegenständen, Bettwäsche, Tischdecken und ähnlichem. Die Kinder sind wohl mit unterwegs, gehen nur zeitweise oder gar nicht zur Schule. In der kalten Jahreszeit nimmt die Familie eine feste Wohnung oder bleibt in ihren Wagen auf einem Zigeuner-Lagerplatz. Schon in der Weimarer Republik sind die Sinti-Familien zahlreichen Kontrollen und Einschränkungen ausgesetzt. Nach 1933 verschärft sich dies erheblich, dazu  kommen der Verlust der Bürgerrechte, Verfolgungsmaßnahmen und Inhaftierungen.

Die Meldekarte von Franz Reinhardt, Ferdinands Vater, im Augsburger Stadtarchiv dokumentiert zahlreiche Aufenthalte in Augsburg,  u. a. am Predigerberg und in der Neuburgerstraße, sowie Reisen zwischen Augsburg und Tübingen, Heilbronn, Höchstädt. Ob Ferdinand und seine Schwestern auch immer mit an diesen Orten sind, ist unklar. Auf jeden Fall halten sich Franz und Maria Reinhardt sowie die kleine Sofia im Januar 1923 in der Gegend von Mindelheim auf, und dann kommt Ferdinand in Breitenbrunn zur Welt. In der Familie wird er sicherlich mit seinem Sinti-Namen genannt; der ist aber nicht dokumentiert und damit auch nicht bekannt.

Laut Akten des Wohlfahrtsamts sind Franz und Maria Reinhardt im Jahr 1937 auf dem Zigeunerplatz Kiernermühle an der Gersthoferstraße  registriert. Da ist Ferdinand 14 Jahre alt, seine jüngere Schwester 13. Auch die 20jährige Sofia und deren wenige Monate alter Sohn Gabriel leben bei der Familie. Die ganze Familie erhält seit 1930 Unterstützung des Wohlfahrtsamts, schreibt ein Bezirkssekretär Wagner  im Bericht über seinen Kontrollbesuch bei der Kiernermühle. Sofia und Ferdinand sollen "zum Arbeitsauftrag vorgeführt" werden.

In den Akten heißt es weiter: 9 Wohnwagen u. Hütten; 35 Personen. Augsburger aus asozialen Familien, manche berüchtigt. Kein Trinkwasser, keine Sanitäranlagen, Schulbesuch kaum möglich, die Kinder krank. Das Amt empfiehlt,  die Kinder wegzunehmen. "Schandfleck für die Stadt."  Nachtrag eines Mitarbeiters Mundt am 27.12.37: Von den 22 Kindern waren 10 im Krankenhaus. Die Polizeidirektion will die Stadt bei Auflösung des Lagers unterstützen. Mundts Empfehlung: Das Gewerbeamt soll keine Wandergewerbescheine mehr ausstellen.

Im Januar 1938 wird die Familie Reinhardt benachrichtigt, dass sie wie die acht anderen Familien den Wohnwagenplatz verlassen müssen. Das Wohlfahrtsamt bietet Hilfe bei der Suche nach einer Unterkunft an. Am 7. März 1938 wird das Lager unter Mitwirkung von Polizisten aufgelöst.

Franz und Maria Reinhardt finden  mit den beiden jüngeren Kindern  Unterkunft in der Weißstraße 1 bei Huber. (Die älteste Tochter Sofia ist 21 Jahre alt und lebt  nicht mehr mit ihren Eltern und Geschwistern zusammen. Ihre Meldekarte belegt ab 1938 verschiedene Aufenthalte in Augsburg und Stuttgart.) Weißstraße 1 - das ist die Gaststätte Sonne, die von der Gastwirtswitwe Mathilde Huber in Erdgeschoß und erstem Stock betrieben wird. Hier nehmen immer wieder Sinti Wohnung - vielleicht können hier auch Pferde und Wagen untergestellt werden. Schon am 21. März 1938 ist auf Franz Reinhardts Meldekarte der Familienvater "mit Ehefrau und Kind Marie" in der Weißstraße 1 gemeldet. Auch auf Ferdinands Meldekarte ist im März 1938 die Weißstraße 1 eingetragen. Davor, während des Jahres 1937, war er jeweils für kurze Zeit in der Bleicherbreite, der Donauwörtherstraße und der Neuburgerstraße gemeldet. Ferdinand ist 15 Jahre alt.  Mit 16 Jahren, im August 1939, kommt er ins Katholische Jugendheim am Predigerberg 1, aber schon im Oktober kann er wieder zurück in die Weißstraße 1.

Dort lebt er mit seinem Vater bis zu dessen Verhaftung am 8. Februar 1940. Seine Eltern haben sich getrennt; die Mutter, die Heilbronn als Wohnsitz angibt,  lebt Anfang 1940 auch in Augsburg, sie wird schon 16. Januar verhaftet. Ferdinand  kann offenbar nach der Verhaftung der Eltern  weiter im Gasthof Sonne in der Weißstraße 1 bleiben; er ist noch am 20.August 1940 dort gemeldet. Möglicherweise bleibt er die folgenden zwei Jahre dort. Zwischenzeitlich war er auch kurzzeitig in Heilbronn und in einer Fabrik in Reichertshofen bei Ingolstadt (vermutlich zur Zwangsarbeit eingesetzt), wie es auf seiner Meldekarte vermerkt ist. Dort steht auch "Zigeunermischling", und für das Jahr 1942: "Fürsorgeerziehung beendet".

Am 25. März 1942 verhaftet die Polizei auch ihn. Ferdinand, jetzt 19 Jahre alt, wird in das so genannte  Jugendschutzlager Moringen im südniedersächsischen Landkreis Northeim eingewiesen. In dem Konzentrationslager für männliche Jugendliche müssen auffällig gewordene oder unangepasste junge Männer in Werkstätten für regionale Firmen hart arbeiten. Nach dem Konzept des NS-Rassenhygienikers und Arzts Robert Ritter (der sich besonders für Sinti und Roma interessierte) sind verschiedene Abteilungen ("Blöcke") eingerichtet, je nachdem, ob man die Jugendlichen für "erziehungsfähig" im Sinne des Regimes oder für "unverbesserlich" hält. Ferdinand Reinhardt kommt in den B-Block, den Beobachtungsblock, und hat damit zunächst Chancen auf  die Überstellung zum Arbeitsdienst oder vielleicht sogar auf Entlassung. Aber er ist  "Zigeunermischling", wie es im Häftlingsbuch des Lagers vermerkt ist, und damit wird er ein Opfer von Himmlers "Auschwitz-Erlass", der die Deportation von 13.000 Sinti und Roma in das Vernichtungslager befiehlt.

Am 24. März 1943 wird Ferdinand Reinhardt nach Auschwitz deportiert. Am 27. März 1943 kommt er im Lager an; er erhält die Häftlingsnummer  5152, Zigeuner D.R. (Deutsches Reich). Vermutlich wird er im so genannten Zigeunerfamilienlager von Auschwitz-Birkenau untergebracht, wo Tausende an Hunger oder Seuchen umkommen. Ferdinand Reinhardt lebt in Auschwitz noch über sieben Monate. Im Hauptbuch des Zigeunerlagers sind mindestens zwei Verlegungen innerhalb des Lagers festgehalten. Am  3. November 1943 stirbt Ferdinand. Er ist noch keine 21 Jahre alt. Der berüchtigte Lagerarzt  Mengele unterzeichnet den Totenschein und trägt als Todesursache "Fleckfieber" ein.

Der letzte Eintrag auf seiner Augsburger Meldekarte klingt zynisch: "unbekannt verzogen" steht da mit Datum 12. 11. 1951.

Angela Bachmair

Angehörige
Quellen- und Literaturverzeichnis
Internet:

www.auschwitz.org (aufgerufen am 13.06.2106)
www.its-arolsen.org (aufgerufen am 13.06.2106)

Literatur:

Angela Bachmair, Wir sind stolz, Zigeuner zu sein, Augsburg 2014.

Guenter Lewy, Rückkehr nicht erwünscht, München/Berlin 2001.

Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, Hamburg 1996.