Ernestine Levi, geb. Dreilich

Geboren:
19.01.1913, Pforzheim
Gestorben:
Todestag und Todesort nicht bekannt

Wohnorte

Pforzheim
Augsburg, Jesuitengasse 10
Augsburg, Halderstraße 6
Augsburg, Geisbergstraße 14

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Deportation
am 8. oder 9. März 1943
von Augsburg
über München-Berg am Laim
nach Auschwitz

Erinnerungszeichen

Für Ernestine Levi, geb. Dreilich wurde am 12. Oktober 2022 vor der Jesuitengasse 10 ein Stolperstein verlegt.

Biografie

Ernestine Levi, geb. Dreilich

Ernestine Dreilich wurde am 19. Januar 1913 in Pforzheim (Baden) geboren. Ihre Mutter war die gelernte Weißnäherin Karoline Dreilich, geb. Mayer, ihr Vater hieß Chaksel/Karl Dreilich und war von Beruf Kaufmann. Sie war das einzige Kind des Paares. Der Vater war gebürtiger Wiener, die Mutter stammte aus dem ehemaligen Pressburg, der heutigen Hauptstadt der Slowakei, Bratislava.1

Über die Zeit der Familie in Pforzheim ist nur sehr wenig bekannt. In einem Adressbuch aus dem Jahr 1913 findet man den Namen Chaksel Dreilich. In den Jahren 1914 und 1915 taucht der Name nicht mehr auf.2 Da die Meldekarteien der Stadt Pforzheim vor dem Jahr 1945 nicht mehr existieren, kann nicht genau gesagt werden, wie lange sich die Familie in der Stadt aufhielt.3

Ab dem 8. August 1917 wohnte die Familie dann in der Jesuitengasse 10 in Augsburg.4 An diesem Standort befindet sich heute die Tiefgarage der Kolping Akademie Augsburg.

1923 ertaubte Ernestine Dreilich plötzlich, 1924 wurde eine Augenerkrankung diagnostiziert und 1925 folgte die Diagnose Knochentuberkulose.5 Darüber hinaus verunglückte ihr Vater im selben Jahr tödlich beim Baden in Wien.6

Sie erlernte den Beruf der Schneiderin.7

Paul Levi

Paul Levi wurde am 25. August 1910 in Niederlahnstein geboren und von Beruf Schreiner. Er war wie Ernestine Dreilich taub. In den Augsburger Akten ist vom 3. Juni bis zum 6. Juni 1941 sein Aufenthalt in der Erdgeschosswohnung von Ernestine Dreilich und ihrer Mutter Karoline in der Jesuitengasse 10 vermerkt.8 Nach seinem kurzen Besuch meldete sich der gelernte Schreiner nach Frankfurt am Main ab.9

Am 17. November 1941 kehrte er nach Augsburg zurück und war bis zum 26. November wieder in der Jesuitengasse gemeldet.10 An seinem Ankunftstag fand die Prüfung auf Ehetauglichkeit statt, die „auf Grund der Durchführungsverordnung vom 31.8.1939, Art II § 6“11 durchgeführt wurde. Das Paar erhielt das Ehetauglichkeitszeugnis.12

Auferlegung von Zwangsmaßnahmen

In der NS-Zeit wurden unzählige Gesetze und Verordnungen erlassen, die Jüdinnen und Juden stigmatisierten, beraubten und schließlich ihre Deportation und Ermordung ermöglichten.13 Ab dem 1. Januar 1939 galt die bereits Mitte 1938 beschlossene Regelung, dass Juden die Zwangsvornamen „Sara“ und „Israel“ annehmen mussten. Diesen Namen trug auch Ernestine als zweiten Vornamen, sie hieß nun Ernestine „Sara“ Dreilich.14 Ab dem 26. November 1941 musste sie als Zwangsarbeiterin in der Augsburger Ballonfabrik arbeiten15 und „durfte Augsburg ohne Genehmigung auch vorübergehend nicht verlassen.“16 An diesem Tag meldete sich ihr Verlobter ab und verließ Augsburg in Richtung Friedrichssegen.17 Auch Paul Levi musste Zwangsarbeit leisten. Ihm war in Friedrichssegen/Lahn eine Unterkunft zugewiesen worden, seine Arbeit verrichtete er bei einem Straßenbauunternehmen im Bezirk Niederlahnstein.18

Heirat von Ernestine und Paul in Augsburg

Da es Paul Levi für gewöhnlich nicht erlaubt war, das Arbeitslager zu verlassen, erhielt er für den 24. Januar 1942 eine „besondere, nur für diesen Zweck erteilte Reisegenehmigung“19 , um an diesem Tag seine Verlobte in Augsburg heiraten zu können. Zur Eheschließung waren neben dem Brautpaar die Mutter der Braut, Karoline Dreilich, sowie der ehemalige Kaufmann Ludwig Müller, der in der Maximilianstraße 17 wohnte, als Trauzeugen anwesend. Auf der Heiratsurkunde wurde vom Standesbeamten vermerkt, dass die Zeremonie aufgrund des fehlenden Hörvermögens des Brautpaares schriftlich abgehalten wurde. Das heißt, dass sowohl die Fragen, als auch die Äußerungen des Standesbeamten an das Brautpaar aufgeschrieben wurden.20 Kurz nach der Heirat musste Ernestines Ehemann zurück nach Friedrichssegen. Ernestine blieb mit ihrer Mutter in Augsburg, da auch sie weiter Zwangsarbeit leisten musste.21

Zwangsumzüge innerhalb Augsburgs

Zwischen dem 3. September 1942 und dem 11. September 1942 zog Ernestine mit ihrer Mutter von der Jesuitengasse 10 in die Halderstraße 6.22 Bei letzterer Adresse handelte es sich um das Gemeindehaus im Synagogenkomplex, das von den Nationalsozialisten als Ghettohaus genutzt wurde.23 Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesem Umzug um einen erzwungenen handelte, da viele Jüdinnen und Juden seit dem Erlass des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 4. Mai 1939 ihren Wohnort wechseln mussten.24 Bis zum 9. Februar 1943 wohnte Ernestine Levi in der Halderstraße, am nächsten Tag musste sie in das Barackenlager in der Geisbergstraße 14 umziehen, ihre Mutter bereits am Tag davor.25

Deportation

Fast genau ein halbes Jahr nach dem Zwangsumzug in die Geisbergstraße wurde Ernestine Levi am 13. März 1943 zusammen ihrem Ehemann Paul Levi und ihrer Mutter Karoline Dreilich nach Auschwitz deportiert und ermordet.26 Insgesamt befanden sich 219 Juden aus München und Schwaben in diesem Transport.27 Auf der Deportationsliste selbst stand als Datum für diesen zur „Welle V“ gehörenden Transport der 10. März 1943, während in einem Begleitschreiben des Oberfinanzpräsidenten München das tatsächliche Datum, nämlich der 13. März 1943 enthalten war. Da es in der Nacht vom 9. März auf den 10. März 1943 zu einem schweren Luftangriff auf die Stadt München kam, wurde der Transport sehr wahrscheinlich um 3 Tage verschoben.28

Paul Levi war am 25. August 1942 auf Anordnung der Gestapo in Frankfurt am Main verhaftet worden.29 Zuvor war er höchstwahrscheinlich, wie auf der Deportationsliste vermerkt, im Hermesweg 5 in Frankfurt am Main untergebracht.30 Auf einem Dokument des Polizeipräsidenten Frankfurt am Main von 1950 ist die Adresse ebenfalls zu finden. Dieses gibt an, dass Paul Levi von Frankfurt am Main nach Augsburg gebracht wurde.31 Nach einem Schreiben von Hilde Emmel, der Schwester Paul Levis, musste er sich im März 1943 von Frankfurt nach Augsburg begeben32 , dort war er dann zusammen mit seiner Ehefrau und seiner Schwiegermutter in der Geisbergstraße 14 gemeldet.33

Paul Levi wurde am 26. Juni 1952 vom Amtsgerichts Niederlahnstein für tot erklärt, Ernestine Levi am 2. November 1955 vom Amtsgericht Augsburg. Der Zeitpunkt wurde für beide auf den 31. Dezember 1945 festgelegt.34

Dies ist ein Auszug aus der Biografie, die von Lena Anastasia Eichner, Schülerin des Oberstufenjahrgangs 2020/2022 am Maria-Ward-Gymnasium Augsburg, im Rahmen des W-Seminars „Jüdische Opfer des Nationalsozialismus im Raum Augsburg“ im Fach Geschichte erarbeitet wurde.

Angehörige
Fußnoten
  1. GesAA, „Abt. für Erb- und Rassenpflege“, Ehetauglichkeitszeugnis von Ernestine Dreilich und Paul Levi.
  2. StadtAPf, Adressbuch des Jahres 1913, S. 48.
  3. Information des Stadtarchivs Pforzheim.
  4. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  5. StadtAA, Kartei des Gesundheitsamtes für Ernestine Dreilich.
  6. GesAA, „Abt. für Erb- und Rassenpflege“, Ehetauglichkeitszeugnis von Ernestine Dreilich und Paul Levi.
  7. GesAA, „Abt. für Erb- und Rassenpflege“, Ehetauglichkeitszeugnis von Ernestine Dreilich und Paul Levi.
  8. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  9. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  10. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  11. GesAA, „Abt. für Erb- und Rassenpflege“, Ehetauglichkeitszeugnis von Ernestine Dreilich und Paul Levi.
  12. StandesAA, Heiratsurkunde von Paul und Ernestine Levi, Nr. 91. Siehe auch: StadtAA, Kartei des Gesundheitsamts für Ernestine Levi; StadtAA, Kartei des Gesundheitsamts für Paul Levi.
  13. Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, 2. Auflage, Heidelberg 1996.
  14. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.08.1938, RGBl I, S. 1044. Der Vorname wurde am 07.05.1951 wieder aus dem Eintrag ihrer Heiratsurkunde gelöscht. Vgl. Gernot Römer, Die Austreibung der Juden aus Schwaben. Schicksale nach 1933 in Berichten, Dokumenten, Zahlen und Bildern, Augsburg 1987, S. 11.
  15. Arolsen Archives, Ballonfabrik Augsburg, Namensliste aller Personen, die sich in Augsburg dauerhaft oder vorübergehend aufgehalten haben vom 19.10.1948: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/69825469.
  16. AG Augsburg, Todeserklärung von Ernestine Levi, UR II, 44/55.
  17. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  18. AG Augsburg, Todeserklärung von Ernestine Levi, UR II, 44/55.
  19. AG Augsburg, Todeserklärung von Ernestine Levi, UR II, 44/55.
  20. StandesAAug, Heiratsurkunde von Paul und Ernestine Levi.
  21. AG Augsburg, UR II, 44/55.
  22. StadtAA, PB Jesuitengasse 10.
  23. Benigna Schönhagen, Die zweite jüdische Gemeinde von Augsburg 1861-1943, in: Michael Brenner/Sabine Ullmann (Hg.), Die Juden von Schwaben, München 2013, S. 247.
  24. Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, 2. Auflage, Heidelberg 1996, S. 293.
  25. StadtAA, PB Halderstraße 6.
  26. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_43a.html (aufgerufen am 03.11.2021).
  27. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_43a.html (aufgerufen am 03.11.2021).
  28. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_43a.html (aufgerufen am 03.11.2021).
  29. AG Augsburg, Todeserklärung Ernestine Levi, Schreiben von Hilde Emmel, UR II, 44/55.
  30. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_43a.html (aufgerufen am 03.11.2021).
  31. Arolsen Archives, Polizeipräsident Frankfurt a. M., Inventarverzeichnis allen persönlichen Eigentums von Paul Levi, 15.08.1950, IST 141.
  32. AG Augsburg, Todeserklärung Ernestine Levi, Schreiben von Hilde Emmel, UR II, 44/55.
  33. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_43a.html (aufgerufen am 03.11.2021).
  34. StandesAAug, Heiratsurkunde von Paul und Ernestine Levi, Eintrag am Rand der Urkunde durch das Standesamt Augsburg am 28.10.1952; Amtsgericht Augsburg, Todeserklärung Ernestine Levi, Schreiben von Hilde Emmel, UR II, 44/55, S. 3.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Amtgericht Augsburg (AG Augsburg)
UR II, 44/55

Gesundheitsamt Augsburg (GesAA)
„Abt. für Erb- und Rassenpflege“, Ehetauglichkeitszeugnis von Ernestine Dreilich und Paul Levi

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Polizeibogen (PB):
Jesuitengasse 10

Kartei des Gesundheitsamtes für Ernestine Dreilich

Kartei des Gesundheitsamts für Paul Levi

Stadtarchiv Pforzheim (StadtAPf)
Adressbuch des Jahres 1913, S. 48

Standesamt Augsburg (StandesAA)
Heiratsurkunde von Paul und Ernestine Levi, Nr. 91

Veröffentlichte Quellen:

Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein

Reichgesetzblatt (RGBl)
Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.08.1938, RGBl I, S. 1044.

Internet:
Literatur:

Gernot Römer, Die Austreibung der Juden aus Schwaben. Schicksale nach 1933 in Berichten, Dokumenten, Zahlen und Bildern, Augsburg 1987.

Benigna Schönhagen, Die zweite jüdische Gemeinde von Augsburg 1861-1943, in: Michael Brenner/Sabine Ullmann (Hg.), Die Juden von Schwaben, München 2013.

Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, 2. Auflage, Heidelberg 1996.