Aloisia Kempter

Geboren:
23.08.1890, Augsburg
Gestorben:
08.08.1941, Hartheim bei Linz

Wohnorte

Augsburg, Lochgäßchen 5 (Litera G 150)
Augsburg, Vohenburgerstraße (später umbenannt)
Augsburg, Ochsengasse Nr. 49 (Fuggerei)
Lautrach, Schutzengelheim Deybach

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee

Tötungsanstalt Hartheim bei Linz
„Aktion T4“

Erinnerungszeichen

Für Aloisia Kempter wurde am 4. November 2019 vor der Ochsengasse 49 ein Stolperstein verlegt.

Biografie
Aloisia Kempter. (Bundesarchiv Berlin)

Biografie Aloisia Kempter, geb. 23.8.1890 in Augsburg,
ermordet am 8. August 1941 in Hartheim, T-4 Opfer

Aloisia1 ist die Tochter des Schreiners Alban Kempter und seiner Frau Christine Kempter, geb. Bussjäger.2 Zwei jüngere Schwestern sterben im frühen Kindesalter.3 Das Ehepaar Kempter wohnt 12 Jahre in Augsburg, Lochgäßchen 5, weitere 10 Jahre in der Vohenburgerstraße. Ende März 1926 zieht das Ehepaar in die Fuggerei. Die Rente von Alban ist mit 40 RM so gering, dass er die Hilfe der Fuggerstiftung in Anspruch nehmen muss. Zudem ist Alban schwer alkoholabhängig.

Nach dem Tod ihrer 76-jährigen Mutter Christine Kempter im Januar 1933 wird Aloisia im September 1934 ins Schutzengelheim nach Deybach/Lautrach eingewiesen. Aloisia ist von Geburt an geistig beeinträchtigt und bedarf der Pflege.4 Aber ärztliche Diagnosen liegen ebenso wenig vor wie Schulzeugnisse.

Ihr Vater ist 66 Jahre, alkoholabhängig und kann und will sich nicht alleine um die kranke Tochter kümmern. Die Nachbarn in der Fuggerei leisten solidarische Hilfe. Alban zieht später ins Städtische Altenheim beim Rabenbad 6 und verstirbt Ende April 1938.

Aloisia Kempter. (Bundesarchiv Berlin)

Da keine näheren Angehörigen mehr leben5 , übernimmt der Landesfürsorgeverband Schwaben die Kosten für den Heimaufenthalt. Aloisia lebt insgesamt 6 Jahre in Lautrach. Es finden sich keinerlei Unterlagen, ob und wie sie dort therapiert worden ist.

Am 16. November 1940 wird Aloisia Kempter im Alter von 50 Jahren in die Kreis-Heil- und Pflegeanstalt nach Kaufbeuren-Irsee überwiesen.6 Wir müssen annehmen, dass der Anstaltsleiter Dr. Valentin Faltlhauser entweder selbst eine Liste mit den Namen der „unheilbar“ Kranken an die Berliner Zentrale geschickt hat, die dem Tod zugeführt werden sollen, denn er ist seit September 1940 selbst Gutachter. Oder aber, und das ist eher wahrscheinlich, haben die Berliner Gutachter der T-4 Aktion die ihnen von den Heil- und Pflegeanstalten zugesandten Listen mit Patienten geprüft und dann – in diesem Fall nach Kaufbeuren – die Liste der Patienten zurückgesandt, die einer Reichsanstalt zugeführt werden sollen. Die Liste vom August 1941 enthält den Namen von Aloisia Kempter und bedeutet ihr Todesurteil. Der Zweck der „Verlegung“ in die sogenannte Reichsanstalt ist die Ermordung der Patienten.7

In der ersten Phase der Krankenmorde werden bis zum „Euthanasie-Stopp“ im August 1941 insgesamt 687 Patienten von Kaufbeuren aus in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hartheim transportiert und ermordet.

Anhand der Zu- und Abgangslisten aus der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren können folgende Opferzahlen belegt werden:
26.08.1940: 75 Männer (Grafeneck)
27.08.1940: 75 Frauen (Grafeneck)
05.09.1940: 75 Männer (Grafeneck)
08.11.1940: 90 Frauen (Grafeneck)
25.11.1940: 61 Männer (Grafeneck)
09.12.1940: 35 Frauen (Grafeneck)
04.06.1941: 70 Männer (Hartheim)
05.06.1941: 71 Frauen (Hartheim)
08.08.1941: 133 Frauen, 7 Männer, 5 Rückstellungen8 (Hartheim)

Im Aufnahmeprotokoll von Aloisia Kempter in Kaufbeuren heißt es: „Kann sich nicht selbst versorgen und braucht ständige Pflege durch fachkundige Personen“.9

Aus der Anamnese geht hervor, dass sie weder Schreiben, Lesen oder Rechnen erlernt hat. Ihr Langzeitgedächtnis sei wenig ausgeprägt.

Die letzten Einträge im Patientenbogen sind sehr knapp gehalten und scheinen bereits eine Rechtfertigung dafür zu liefern, was die Nationalsozialisten mit scheinbar unheilbar kranken Menschen planten, nämlich sie zu ermorden, weil sie als Last für die „Volksgemeinschaft“ betrachtet wurden.

03.05.1941
Pat. muss versorgt werden, hält sich aber sauber. Sie macht auch weiter keine Schwierigkeiten.
25.06.1941
Patientin arbeitet nichts, muss immer noch versorgt werden. Sie sitzt meist nur herum. Gez. W.
08.08.1941
Pat. wurde heute verlegt. War immer stumpf, diskussionsunfähig. Zu keiner Arbeit anzuhalten.                                                                                       W.

Akte von Aloisa Kempter mit dem Vermerk "verlegt". (Bundesarchiv Berlin)

Am 8. August wird Aloisia Kempter gemeinsam mit weiteren 132 Frauen, darunter die Augsburgerinnen Therese Baumeister, Johanna Baur, Maria Egger, Maria Eichberger, Walburga Federhofer, Maria Garke, Maria Göhly, Anna Göldl, Barbara Hölzle, Babette Kerl, Viktoria Knorz, Magdalena Kurz, Karolina Balbina Müller, Maria Müller, Agnes Pfiffner, Anna Ragner, Liselotte Sack, Wilhelmine Schindler, Rosa Schlosser, Walburga Schlosser, Maria Schmucker, Karolina Schweizer, Martha Treichel, Maria Wiesenbarth, Maria Wörle in die Tötungsanstalt nach Schloß Hartheim bei Linz deportiert und dort vergast.10

Es ist der letzte Transport nach Hartheim. Danach wird wegen der Proteste der katholischen und protestantischen Bischöfe die Verlegung von Patienten in die Tötungsanstalten am 24. August 1941 eingestellt.11

Die Ermordung der Menschen aber geht weiter. Dr. Faltlhauser stellt im bayerischen Innenministerium am 17. November 1942 den anderen Anstaltsleitern eine neue Tötungsmethode vor, die schließlich von allen Anstaltsleitern übernommen wird. Um Kosten einzusparen, soll den nicht arbeitsfähigen Patienten weniger zu essen gegeben werden als den arbeitsfähigen. Die sogenannte Entzugskost (E-Kost), die wenige Tage später gemäß ministeriellem Erlass für alle bayerischen Anstalten verbindlich gemacht wird12 , ist eine Ernährung ohne Kohlehydrate und Fett, bestehend aus wenig Brot und Gemüse.13 Zusätzlich erhalten die „lebensunwerten“ Patienten Luminal in die Nahrung, in manchen Fällen wird ihnen Morphium-Skopolamin gespritzt.

Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, StD, 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53, Tel. 0821/497856, bernhard.lehmann@gmx.de

Fußnoten
  1. Taufzeugnis Aloisia Kempter, ausgestellt von der katholischen Stadtpfarramt St. Maximilian am 19. September 1934. Alban Kempter ist 1863 geboren, seine Frau Christine 1857. Sie verstirbt am 4.1.1933. Quelle: StadtAA, MK II, Alban Kempter Alban.
  2. StadtAA, MK II Alban Kempter; Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren HPA KF NR. 11656, Erbkarte 1772, BArch, R 179/21753.
  3. StadtAA, MK II, Alban Kempter: Crescentia Theresia wird 1891 geboren und verstirbt im gleichen Jahr, Christina geb. 1893 verstirbt 1895.
  4. Personalbogen Schutzengelheim Lautrach, in: Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren Nr. 11656, Bundesarchiv Berlin R179/21753.
  5. Als nächste Verwandte wird eine Cousine namens Theresia Hillenbrand angegeben, die in Augsburg in der Pferseerstraße 19 wohnhaft ist.
  6. Akten der Kreis-Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee Nr. 11655, BArch, R 179/21753.
  7. Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 272.
  8. Hist. Arch BKH Kaufbeuren, Zu- und Abgangsbücher aus den Jahren 1940 und 1941.
  9. Hist. Arch BKH Kaufbeuren, Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren Nr. 11656.
  10. Hist. Arch BKH Kaufbeuren, Liste der Augsburger T-4 Opfer, erstellt von Frau Dr. Petra Schweizer-Martinschek. Siehe auch: Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.
  11. Götz Aly, Die Belasteten. Euthanasie 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013, S. 174ff.
  12. Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 274.
  13. Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 273f.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekarten II (MK II):
– Alban Kempter

Meldebogen (MB):
– Alban Kempter

Bundesarchiv Berlin (BArch)
– R 179-21753 Patientenakte Aloisia Kempter

Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren (Hist. Arch BKH Kaufbeuren)
– Zu- und Abgangsbücher aus den Jahren 1940 und 1941

– Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren Nr. 11656 Aloisia Kempter

– Liste der Augsburger T-4 Opfer, erstellt von Frau Dr. Petra Schweizer-Martinschek

Veröffentlichte Quellen:

Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung
(https://stolpersteine-augsburg.de/)
– Foto: Stolperstein

Literatur:

Götz Aly, Die Belasteten. Euthanasie 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt 2013.

Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hg.), Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287.