Deportation
am 8. oder 9. März 1943
von Augsburg
über München-Berg am Laim
nach Auschwitz
Adele Hirschmann, geb. Mandelbaum
Adele Mandelbaum wurde am 7. April 1882 in München geboren und war somit Teil der zu diesem Zeitpunkt blühenden jüdischen Gemeinde der bayerischen Landeshauptstadt. Ihr Vater Eugen Mandelbaum (22.06.1848–14.03.1906) leitete gemeinsam mit seinem Bruder Gustav das Unternehmen „Fa. Jakob Mandelbaum – Leder- und Polsterwarengroßhandlung, Treibriemen-, Leder- und Riemenfabrik“ und war ein geachteter Kaufmann. Sie hatte das Privileg, in wohlhabenden Verhältnissen aufzuwachsen.
Die Großfamilie, bestehend aus den Eltern Eugen und Eveline Mandelbaum (14.03.1853–18.08.1915), Adele und vier Geschwistern Robert (23.09.1880–18.10.1944), Selma (21.06.1878–?), Jenny (19.10.1879–?), Pauline (13.10.1887–21.06.1961) sowie den Großeltern Jakob und Rosa Mandelbaum, lebte gemeinsam in einem 1890 erworbenen Haus am Gärtnerplatz 4.1 Drei weitere Geschwister starben im Kleinkindalter: Ernst (06.12.1876–16.12.1878), Rosa (08.05.1893–29.03.1895) und Stephanie (21.10.1894–27.02.1886).2
Pauline heiratete einen Nichtjuden und überlebte die Schoah in München. Jenny emigrierte im März 1937 nach Palästina. Es konnten keine Informationen gefunden werden, wie ihr Leben nach der Emigration verlief. Die älteste Schwester Selma heiratete 1902 Dr. Ernst Cantor aus Teplitz-Schönau (heute: Teplice/Tschechien), wo sie nach ihrer Heirat lebte. Am 2. Juli 1942 wurden Selma und ihre Familie nach Theresienstadt deportiert, sie überlebte das Ghetto.3
Adeles älterer Bruder Robert studierte an der TH München und an der Universität in Kiel. Bevor er Chemiker wurde, nahm er als Leutnant der Landwehr am Ersten Weltkrieg teil. 1916, im Alter von 36 Jahren, heiratete Robert die Kauffrau Rosina Ottilie Mand. Der gemeinsame Sohn Eugen Josef wurde im heutigen Istanbul in der Türkei geboren, dort betrieb seine Frau Rosina bis 1919 ein Geschäft. Die Familie zog dann wieder nach München. Vor seiner Heirat mit der Katholikin war er aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten sowie katholisch getauft worden. Er nahm 1923 auch den Nachnamen seiner Frau an, die sich jedoch 1934 von ihm scheiden ließ. Robert betrieb einen Großhandel mit Maschinen, Handel mit Chemikalien und ein chemisches Laboratorium. Am 23.07.1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, am 28.10.1944 nach Auschwitz weiter verschleppt und ermordet.4
Adele heiratete 1907, mit 25 Jahren, den Kaufmann Louis Lazarus Hirschmann, geboren am 15.08.1865 in Burgpreppach (Unterfranken), und zog einen Monat später von München in ihre erste gemeinsame Wohnung in der Augsburger Kasernstraße 8.5 Sie war sehr wahrscheinlich Hausfrau, ihr Ehemann war ab 1921 alleiniger Inhaber der Firma „Gebrüder Hirschmann Tuchhandlung und Schneidereifournituren“6 in der Annastraße. Das Geschäft wurde folgendermaßen beschrieben: „Durch Fleiß, solides Gebaren und strengste Reellität ist die Firma in allen Kreisen als geachtet und angesehen bekannt.“7
Am 4. November 1907 wurde die gemeinsame Tochter Eugenie Babette geboren. Sie besuchte die Maria-Theresia-Schule von 1918 bis 1924 bis zur sechsten Klasse.8 Sie wohnte bis zu ihrer Heirat mit Julius Silber 1934 bei ihren Eltern und zog dann mit ihm nach Straubing.9
In welchem Umfang die Familie Hirschmann den zum Staatsziel erhobenen Antisemitismus in den ersten Jahren nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu spüren bekam, ist in den wenigen vorhandenen Quellen nicht greifbar. Akten des Bayerische Wirtschaftsarchivs in München zeigen aber, was mit dem von der Gestapo im Zuge der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 beschlagnahmten Warenbestand geschah: Das nichtjüdische Unternehmen „Berger & Bierl, Tuchgroßhandlung Augsburg“ kaufte den Bestand und übernahm zudem die noch ausstehenden Aufträge.10 Die Firma „Gebr. Hirschmann“ wurde abgemeldet.11
1937 zog die Familie in die Gesundbrunnenstraße 4. Von 1941 bis 1943 verbrachten Adele Hirschmann und ihr Ehemann ihre letzte gemeinsame Zeit vor der Deportation in einer Wohnung, in der von den Nationalsozialisten zum „Judenhaus“ gemachten Bahnhofstraße 18 1/5. Zu diesem Umzug wurde das Ehepaar sehr wahrscheinlich gezwungen. Außerdem musste Adele vom 25. Juni 1942 bis zum 3. März 1943 mit vielen anderen jüdischen Mädchen und Frauen Zwangsarbeit in der Ballonfabrik Augsburg leisten.12 Die Eheleute wurden am 8. oder 9. März 1943 von Augsburg über München-Berg am Laim nach Auschwitz deportiert.13 Es gibt keine Quellen, die über das weiteres Schicksal und den Todeszeitpunkt Auskunft geben. Adele und Louis Hirschmann wurden am 4. Juni 1959 vom Amtsgericht Augsburg für tot erklärt. Der Todeszeitpunkt wurde auf den 8. Mai 1945 festgelegt.14
Die Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) strengte 1948 ein Restitutionsverfahren an.15
Die Tochter Eugenie Babette konnte mit ihrem Ehemann Julius Silber und ihrer Tochter Inge Barbara am 13. Dezember 1938 in die Dominikanische Republik auswandern.16 Später lebten sie in den USA.17
Dies ist ein Auszug aus der Biografie, die von Margaryta Paltis, Schülerin des Oberstufenjahrgangs 2016/2018 am Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen, im Rahmen des W-Seminars „Biografien von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus im Großraum Augsburg“ im Fach Geschichte erarbeitet wurde.
Online 2020
Bayerisches Wirtschaftsarchiv (BWA)
– K09-2134
Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– Finanzstelle Augsburg, Rückerstattungsakten 621 und 623
Staatsarchiv Bremen (StABremen)
– http://212.227.236.244/passagierlisten/listen.php?ArchivIdent=AIII15-
Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Familienbogen (FB)
– Louis Hirschmann
Meldebogen (MB)
– Gebr. Hirschmann
Stadtarchiv Straubing (StadtAStraubing)
– E-Mail von Dr. Dorit-Maria Krenn vom 12.06.2017
http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 31.10.2017)
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT430313-8a.jpg (aufgerufen am 23.03.2020)
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/industrie-und-wirtschaft/arisierung.html (aufgerufen am 23.03.2020)
Gernot Römer (Hg.), „An meine Gemeinde in der Zerstreuung.“ Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941–1949 (Materialien zur Geschichte des Bayerischen Schwaben, Bd. 29), Augsburg 2007.