Augsburg, Ulmerstraße 52
Augsburg, Grüntenstraße 25
Laufen
Ravensburg
Augsburg, Bärnhornstraße 4
Augsburg, Wertachstraße 1
Augsburg, Widderstraße 35
Augsburg, Brunnenstraße 32
Augsburg, Neuburgerstraße 105
Augsburg, Wertachstraße 1
Rottenburg
Augsburg, Steinerne Furth 28
Dettingen
Augsburg, Gneisenaustraße 2
Einweisung
im Januar 1936
in das KZ Dachau
Haft im
Zuchthaus Ludwigsburg
Vorbeugehaft in
Stuttgart
Schubgefängnis in
Nürnberg
Überstellung
am 13.10.1941
in das KZ Flossenbürg
Dies ist die Geschichte von Christian Lossa, geboren am 28. Juli 1906 in Sandizell, Kreis Schrobenhausen.
Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Kenntnisse über ihn haben wir fast ausschließlich aus der Perspektive der Machthaber und Peiniger, also derjenigen, die ihm und seiner Familie die Lebensperspektive von Anfang an erschweren, dann zerstören und am Ende sogar seine physische Existenz und die seines Sohnes Ernst vernichten.1 Wir wissen nichts über Christians Lebensträume, Vorlieben, Ziele, Sehnsüchte, Empfindungen und Ängste.
Christian Lossas Vater Ernst war wie seine Ehefrau Barbara als Hausierer und Gürtler tätig. Im Jahr 1922 verlässt Barbara Lossa ihren Mann und die 9 Kinder.2 Nach der Trennung von seiner Frau Barbara lässt sich Ernst Lossa mit seiner erheblich jüngeren Geliebten Paula3 in Klein-Eibstadt (Unterfranken) nieder. Barbara Lossa wiederum heiratet in Augsburg einen verwitweten Korbflechter und zieht auch dessen 6 Kinder auf.4
Ernst Lossa ist bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt.5 Er hat eine lange Vorstrafenliste für schweren Diebstahl, Urkundenfälschung, Unterschlagung, Bettelei. Auch seine Ehefrau Barbara ist wegen Diebstahls, Bettelei und Übertretung der Gewerbeordnung und nach der Trennung wegen Konkubinats vorbestraft.6
Für die Behörden im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sind Zigeuner und Jenische identisch mit Landstreichern, Arbeitsscheuen und Asozialen. Die Polizeidirektionen in Bayern halten sie unter strenger Observierung.7 Eine Diskriminierung und Stigmatisierung der Jenischen ist seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa nachweisbar.8
Der Teenager Christian Lossa sieht nach eigenen Aussagen die Mutter kaum, denn von Februar bis November jeden Jahres wird er von ihr bei einem Bauern untergebracht.9 Seine Mutter tingelt durch die Dörfer, als Gürtlerin verzinnt sie Rauchfässer und Lüster, versilbert Lampenständer, bemalt Wände, Decken, Emporen und Orgeln. Sie ist sehr beliebt und angesehen bei den Pfarrern, weil sie vorzügliche Arbeit leistet.10
Christian verlässt das Elternhaus sehr früh und verdient sein Geld wechselweise als Hausierer und Gürtler. Beim Vater hat er den Beruf des Gürtlers erlernt, aber keine Gesellenprüfung abgelegt. Christian ist nur 1,63 cm groß, 70 kg schwer, hat dunkelblonde Haare, blaugraue Augen und lückenhafte Zähne.11
Die Trennung der Eltern setzt ihm sehr zu, er verliert jeglichen Halt, sodass er von 1922 bis 1933 immer wieder vor Gericht steht und zahlreiche Haftstrafen abbüßen muss.12 Es handelt sich um kleinere Vergehen, von Betteln bis Unterschlagung, Erpressung, Meuterei, Diebstahl. Bei seiner ersten Verhaftung ist Christian ist noch keine 17 Jahre alt.13
Jenische sind in der Öffentlichkeit so wenig geduldet wie Sinti und Roma, die Strafen für kleinere Vergehen fallen daher drastisch aus.14
Auf einem Fest der Fahrenden mit Musik und Tanz lernt er Anna kennen, sie ist 19, er ist 22 Jahre. Sie ist fasziniert von seinem eleganten Äußeren. Er kann gut tanzen und spielt wie sie die Ziehharmonika. Am 1. März 1929 heiraten die beiden, ein Baby ist bereits unterwegs.15
Anna Lossa16 , geb. Anger, ist am 25. Oktober 1909 in Ummendorf Kreis Biberach, geboren. Sie wächst in Buchau in der schwäbischen Alb mit 12 weiteren Geschwistern auf. Auch ihre Eltern sind Jenische.17
Nach der Geburt ihrer Kinder Ernst, Amalie und Anna wohnt die Familie im Winter in Augsburg, im Sommer zieht die gesamte Familie zum Broterwerb durch bayerische und württembergische Gemeinden. Christian und seine Frau verkaufen Hosenträger, Schnürsenkel, Kochgeschirr und Halsschmuck. Die Meldebescheinigung der Stadt Augsburg registriert von 1929 bis 1939 28 Zu- und Wegzugsmeldungen der Familie. Allein dieser Tatbestand belegt die zunehmende Schwierigkeit der Ausübung seines Berufes.18
Als Christians Ehefrau Anna am 24. September 1933 im Alter von 23 Jahren im Krankenhaus in Augsburg-Pfersee an Lungentuberkulose stirbt,[noteStadtarchiv Augsburg, Totenschauscheine 1933; Leichenschauschein Krankenhaus Pfersee. Stunde des Todes 19.30 Uhr, Dauer der Krankheit: seit 13.6.1933 im Krankenhaus. Todesursache: offene Lungentuberkulose, gez. Dr. Schnitzler.]] hinterlässt sie ihm vier unmündige Kinder: Ernst ist 4 Jahre, Amalie 2 ½, Anna 17 Monate und Christian ist ein Baby von 3 Monaten. Die Kinder werden durch das Fürsorgeamt Augsburg schon im Juli 1933 ins Kinderheim Hochzoll bzw. ins Säuglingsheim Oberhausen in der Kapellenstraße eingewiesen. Ein solcher Akt, nämlich die Einweisung sämtlicher Kinder in Heime, entbehrt auch nach NS-Gesetzgebung jeglicher Grundlage.19
Weder vor dem Tod seiner Frau noch jetzt ist er in der Lage, den Lebensunterhalt für seine 4 kleinen Kinder zu sichern, geschweige denn, dass er sich um diese kümmern kann.20
Seit Mitte der 1930er Jahre verschärfen die Nationalsozialisten die „Maßnahmen zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ erheblich. Landfahrende werden noch stärker als bisher durch die Polizei überwacht und verfolgt. Die Geschäfte der Zigeuner und Jenischen laufen immer schlechter, das Kontrollnetz wird immer dichter. Vermehrt werden Wandergewerbescheine verweigert und Kinder in Fürsorgeerziehung überwiesen.
Der „Grundlegende Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 193721 ermöglicht die polizeiliche Vorbeugehaft u.a. von Zigeunern und Jenischen. Die 1938 folgenden Verhaftungsaktionen der Gestapo und der Kripo gegen „Gewohnheitsverbrecher“ und „Asoziale“ mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ führen zu Deportationen in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen und Neuengamme.22 Unter den betroffenen Personen befindet sich auch Christians Cousin Walter Lossa; unter den in Kinderheime oder in die Heilanstalt abgeschobenen Personen sind die Kinder seines Onkels Georg Lossa, Philipp, Anton, Victoria und Ernst Lossa. Pauschale Etikettierungen seitens des Gesundheitsamtes Augsburg wie „Krankhafter Wandertrieb“, „streunt und schwänzt die Schule“ (Walter Lossa), „psychopathische Veranlagung; sittlich gefährdet und verwahrlost, streunt und hausiert, zigeunerhaft asoziale Neigungen“ (Victoria Lossa); „manisch-depressiv, Schwachsinn“ (Anton Lossa) oder gar nur das apodiktische Urteil „Sehr ungünstige Erbanlage der Familie Lossa“ genügen, um sie hinter Gitter, in die Heilanstalt oder ins Kinderheim zu verfrachten.23
Christian Lossa selbst wird ebenfalls von der ganzen Härte dieser Erlasse getroffen.24 Im September 1934 wird er in Stuttgart wegen Bettels, im Oktober in Aichach wegen Übertretung der Gewerbeordnung und Bettels, dann erneut im April 1935 in Tübingen wegen Bettels festgenommen und zu Haftstrafen zwischen 3 Tagen und 4 Wochen verurteilt.25
Im September 193526 wird Christian Lossa erneut verhaftet und Ende Januar 1936 ins Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Seine Einlieferung wird mit dem „Arbeitszwang-Gesetz vom 29. Dezember 1935“ scheinlegitimiert.27 Wir wissen so gut wie nichts über seinen Zwangsaufenthalt dort, lediglich dass er für 3 Monate in ein Außenlager kommt. Die Nazis rauben ihm grundlos 3 Jahre seines Lebens, erst an Weihnachten 1938 erhält er seine Entlassung.28
Christian möchte ins Berufsleben zurückkehren, nimmt eine Arbeit in Dettingen an, muss aber wegen gesundheitlicher Probleme die Arbeit kündigen. Ein letztes Mal kehrt er nach Augsburg zurück und wohnt einige Wochen bei seinem Bruder Fritz in der Gneisenaustraße 2.29 Von Anfang April bis zum 5. Mai 1939 zieht Christian Lossa dann durch eine Reihe von bayerischen und württembergischen Gemeinden. Folgt man den Gerichtsakten, so begibt er sich unter falschem Namen zu den Kirchenpflegern der Gemeinden Fulgenstadt, Rederzhausen, Rettenberg, Langweid, Schmieden, Allmendingen, Ziefaltendorf, Dettingen usw. und behauptet, Kirchengeräte wie Monstranzen, Altarleuchter, Weihrauchfässer, Kelche usw. repariert bzw. versilbert zu haben. Hierfür möchte er die Unkosten eintreiben. In den meisten Fällen legt er eine fingierte Rechnung vor, unterschrieben durch den Ortspfarrer mit Zahlungsanweisung. In 11 Fällen kann er einen Betrag zwischen 30 und 40 RM einsammeln, manchmal wird ihm nicht geglaubt und er muss unverrichteter Dinge abziehen. Am 5. Mai 1939 wird er in Wilflingen auf frischer Tat ertappt und verhaftet.
Das Landgericht Rottweil verurteilt ihn am 7.9.1939 zu einer Haftstrafe von 2 Jahren wegen fortgesetzten Betrugs und der Urkundenfälschung und weist ihn ins Zuchthaus Ludwigsburg ein.30 Wegen der Vorstrafen werden ihm keine mildernden Umstände zugebilligt.31
Zwei Briefe geben Einblick in Christian Lossas Denken. Einer ist an seine Schwester gerichtet, welche aber die Annahme des Briefes verweigert.32
Am 11. Februar 1940 schreibt er an seinen Vater Ernst Lossa nach Kleineibstadt:
„Lieber Vater … immer wieder trifft mich das Unglück so hat es sein müssen dass ich wieder 2 Jahre in Gefangenschaft bin … glaubt mir … dieses Mal werde ich es mir merken so lange ich lebe, ich habe nur die hohe Strafe erhalten wegen kirchlichen Arbeiten und ich werde in Zukunft dieses Geschäft bleiben lassen so wahr ich lebe … Lieber Vater ich bitte euch von ganzem Herzen verstoßt mich deswegen nicht und in Zukunft werde ich mich bessern und nach meiner kommenden Freiheit werde ich nur noch arbeiten und sorgen für meine drei kleinen Kinder, und wieder Vater sein wie es sich gehört als rechtschaffener Mensch. Dann weiß ich bestimmt dass ich nie wieder einen falschen Weg gehe, und in einen Abgrund falle so wahr mir Gott helfe …“33
Christian Lossa ist bekannt, dass die Briefe von der Zuchthausverwaltung geöffnet und gelesen wurden,34 so enthält er sich jeglicher Kritik an der harschen Strafe und an den allzu strengen Maßnahmen der Polizeibehörden und nimmt jegliche Schuld auf sich. Kurz vor Ende der Verbüßung der Zuchthausstrafe stellt die Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart eine Anfrage beim Zuchthaus Ludwigsburg, Christian Lossa betreffend.
In dem Schreiben heißt es: „… zur Prüfung der Frage der Anordnung vorbeugender Maßnahmen bitte ich um Fertigung einer Abgangsbeurteilung über ihn sowie um Stellungnahme …, ob seine Freilassung nach Strafverbüßung verantwortet werden kann oder ob er nach wie vor als Asozial anzusehen ist und von ihm weitere Straftaten zu befürchten sind.“35
Um den Erwartungen der Kriminalpolizei Stuttgart nachzukommen, bestätigt der zuständige Beamte im Zuchthaus Ludwigsburg am 13. August 41, dass sich „der Zuchthausgefangene Christian Lossa“ „nicht ganz einwandfrei geführt“ habe.“ Er sei „ein arbeitsscheuer, jähzorniger und lügnerischer Mensch, der sich in der Freiheit nicht halten könne“. Infolgedessen halte er die polizeiliche Vorbeugungshaft für angebracht.36 Die staatliche Kriminalpolizei der Polizeileitstelle Stuttgart kommt daher zum Entschluss, für Christian Lossa nach Verbüßung seiner Strafe „die polizeiliche Vorbeugungshaft als Berufsverbrecher“ anzuordnen.37
Wir halten fest: als Christian Lossa seine Strafe am 7. September 1941 verbüßt hatte, wurde er nicht in die Freiheit entlassen, wie das in einem demokratischen Rechtsstaat der Fall ist, sondern der Polizeileitstelle Stuttgart „zugeliefert“38 und wiederum in Vorbeugehaft genommen.39 Nach einem Monat weiterer Haft in Stuttgart wird Christian Lossa am 7.10.1941 in das Schubgefängnis Nürnberg überstellt.40 Von Nürnberg aus wird Christian Lossa eine Woche später, am 13.10.1941, in das KZ Flossenbürg überstellt und dort „als rückfälliger Vorbeugehäftling“ Nr. 3243 registriert.41 Ob und in welchem Umfang er im KZ Flossenbürg Zwangsarbeit leisten musste, ob er gefoltert, misshandelt, erniedrigt wurde, wissen wir nicht. Fest steht, dass Christian Lossa, der Vater von vier Kindern, im Alter von 36 Jahren durch Nazischergen ermordet wurde. Seine Todesursache ist nicht bekannt. Die ärztliche Bescheinigung, ausgestellt vom SS-Standortarzt des KZ Flossenbürg, SS- Obersturmbannführer Hofmann, konstatiert als Todesursache Herzschwäche an Lungentuberkulose und setzt sein Sterbedatum auf den 30. Mai 1942 fest.42
Die Biografie wurde erarbeitet von: Dr. Bernhard Lehmann, 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53 Tel. 0821/497862 e-mail: bernhard.lehmann@gmx.de
Digitales Archiv ITS Bad Arolsen
Teilbestand: 1.2.2.1
Stadtarchiv Augsburg
Gesundheitsamt
Meldebescheinigung Stadt Augsburg, Christian Lossa
Staatsarchiv Ludwigsburg
Staatsarchiv Nürnberg
Polizeigefängnis in Nürnberg (Schubgefängnis)
Wolfgang Ayaß (Bearb.), „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933–1945, Koblenz 1998.
Robert Domes, Nebel im August, Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa, 4. Auflage, München, 2008.